Ägyptens Präsident Abdelfattah al-Sisi bei einem Treffen im Juni in Rumänien

Foto: Daniel MIHAILESCU / AFP

Seinen "Lieblingsdiktator" nannte ihn US-Präsident Donald Trump vor kurzem beim G7-Gipfel in Biarritz: Kinder und Narren sprechen bekanntlich die Wahrheit, und die ist in diesem Fall, dass Präsident Abdelfattah al-Sisi nicht nur den USA, sondern auch Europa einen Dienst erweist, indem er Ägypten stabil und auf dem vom Westen gewünschten Kurs hält. Mit welchen Methoden auch immer. Die oft beschworenen Horrorszenarien mit hunderttausenden über das Mittelmeer fliehenden Ägyptern, falls das System zusammenbricht, wirken. Und angesichts dessen, was seit dem Revolutionsjahr 2011 in der arabischen Welt geschehen ist, weiß man ja auch, dass sie nicht völlig unrealistisch sind.

Und nun zeigen sich Risse im Gebäude. Ein ausgebooteter Armee-Subunternehmer, der als Freiheitsheld eher unglaubwürdig ist, löst eine ganze Flut von dissentierenden Stimmen aus, übermittelt auf Videos. Einiges weist darauf hin, dass hier ein Machtkampf zwischen Fraktionen in Armee und Geheimdiensten im Gange ist. Sisi reagiert mit einer Mischung aus Drohungen und Schmeicheleien dem "Volk" gegenüber. Die gleichgeschalteten Medien und die üblichen Sisi-Bewunderer schießen ihre Propaganda aus vollen Rohren. Und dennoch gehen in einem System, das jede Opposition unbarmherzig verfolgt, in mehreren Städten Menschen auf die Straße und verlangen Sisis Sturz.

Die Armee, ein wirtschaftliches Monster

Und nein, es sind mit Sicherheit nicht alle Muslimbrüder-Sympathisanten. Als Sisi Kritik in den Videos mit der Ansage beantwortet, er werde "mehr Paläste" bauen, nicht für sich, sondern für die Ägypter, hat er einen Nerv getroffen. 33 Prozent – das ist fast doppelt so viel wie im Jahr 2000 – leben unter der Armutsgrenze. Die Mehrheit der anderen schafft es gerade so, durchzukommen. "Warum provozieren Sie uns?", fragt ein populärer Fitnessguru den Präsidenten auf Facebook.

Aber es geht natürlich um mehr als nur die trüben wirtschaftlichen und sozialen Aussichten. Nach den Korruptionsvorwürfen gegen Sisi und seine Familie, vor allem seinen Sohn Mahmud, tauchten auch Videos auf, in denen der angebliche Ausverkauf Ägyptens an andere Länder thematisiert wird. Dass Sisi Saudi-Arabien die Inseln Tiran und Sanafir im Roten Meer überlassen hat (was völkerrechtlich korrekt sein dürfte), wurde ihm nicht verziehen. Der Sinai ist Kriegsgebiet – und in Videos wird Sisi vorgeworfen, dass er davon persönlich profitiert beziehungsweise bereit ist, ägyptisches Land für Trumps "deal of the century" an die Palästinenser abzugeben.

Was hingegen von außen am meisten schockiert, ist, zu welchem wirtschaftlichen Monster sich die ägyptische Armee unter Sisi entwickelt hat. Es gibt kein Projekt, an dem sie nicht verdient: Geld und Macht. Neben der Behandlung der Opposition ist dies der Punkt, an dem sich das tragische Scheitern der Demokratisierungsbewegung von 2011 am besten festmachen lässt. Und selbst wenn Sisi eines Tages weg sein sollte: Dieses System wird überleben. (Gudrun Harrer, 23.9.2019)