Mit dem Sommer neigt sich auch die Saison für Bade- und Pauschalurlaube dem Ende zu. Europäische Metropolen locken nun mit Städtetrips bei goldenem Herbstwetter: Amsterdam steht dabei hoch im Kurs. So beliebt die Grachtenstadt bei Touristen auch ist, so unliebsam sind diese den Bewohnern. Aber die Amsterdamer geben sich nicht so leicht geschlagen, sie reagieren mit ungewöhnlichen Methoden.

Opfer des eigenen Erfolges

2005 besuchten etwa elf Millionen Touristen Amsterdam. 2018 waren es schon 20 Millionen, und für 2025 werden 29 Millionen Besucher erwartet – bei gerade einmal 850.000 Einwohnern. Die niederländische Hauptstadt ist Opfer ihres eigenen Erfolges geworden: Durch weltweite Werbekampagnen ist sie aus keinem Travelblog mehr wegzudenken, jeder will ein Selfie vor Fahrrädern und Backsteinhäusern. Als die Touristenmassen störende Ausmaße annahmen, stellte die Stadt das Marketing ein – doch zu spät.

Denn mit fotogenen Grachten, einfacher Onlinebuchung, Billigflügen, Coffeeshops und dem Rotlichtviertel zieht die Stadt ein breites Publikum an. Letztere sorgen für Touristen, die nicht unbedingt die besten Manieren mitbringen – besonders verbreitet sollen in Kanäle urinierende Männer sein.

Mancherorts fühlen sich die Einheimischen, als würden sie monatelang auf einem Festivalgelände leben. In ruhigeren Gegenden führt der Airbnb-Trend dazu, dass Nachbarn gegen stets wechselnde Touristengruppen getauscht wurden. Und an öffentlichen Hotspots legen Touristengruppen den (Rad-)Verkehr lahm. "So leidet die Lebensqualität jener, die dort langfristig wohnen", berichtet Vera Al, Pressesprecherin des stellvertretenden Bürgermeisters der Stadt.

Auch im Herbst lockt die niederländische Hauptstadt viele Touristen an – hier im angesagten Jordaan-Viertel.
Foto: IAmsterdam/ Koen Smilde

Stadt im Gleichgewicht

Daher setzt die Stadtverwaltung rigorose Schritte, um der Touristenmassen Herr zu werden. Seit 2014 gibt es das "City in Balance"-Programm, das eine Vielzahl von Maßnahmen mit sich bringt, 2019 wurde es verstärkt. Demnach dürfen keine Hotels mehr neu gebaut werden und keine – für Einheimische unattraktiven – Souvenirshops oder Käseläden neu eröffnet werden. Vermietung via Airbnb oder Booking.com ist beschränkt: Wohnungen dürfen nur an 30 Tagen pro Jahr vermietet werden. Und Wildpinkeln, Grölen sowie Alkoholkonsum auf der Straße sind verboten – Verstöße kosten zwischen 95 und 140 Euro.

So soll erreicht werden, dass sich die Einheimischen in Amsterdam wieder heimisch fühlen. "Denn an erster Stelle ist Amsterdam eine Stadt, in der Menschen wohnen, arbeiten und leben. Erst an zweiter Stelle ist es ein Touristenziel", sagt Al. Dabei wolle man mit den Maßnahmen nicht gegen Touristen ankämpfen oder die Zahl der Besucher verringern. Es gehe vielmehr darum, ein Bewusstsein für angemessenes Benehmen zu schaffen.

Touristen sind in Amsterdam willkommen – solange sie sich angemessen verhalten.
Foto: IAmsterdam/ Karlotta

Alternativen statt Verbote

Doch engagierte Einzelpersonen und NGOs, Hotels und Hostels wollen Alternativen bieten. So haben sie kurzerhand das Projekt "Untourist Guide Amsterdam" ins Leben gerufen. Dieser Reiseführer mit Augenzwinkern soll einen Gegenpol zum Kiff-, Sauf- und Massentourismus darstellen und Reisenden die Möglichkeit geben, Amsterdam wirklich kennenzulernen.

Und was eignet sich dafür besser, als einen Einheimischen zu heiraten? "Marry an Amsterdammer for a Day" heißt das populäre Angebot von "Wed and Walk". Nach ein paar Fragen zur Kompatibilität und 100 Euro "Mitgift" findet man sich Arm in Arm mit einem echten Amsterdamer vor dem Altar wieder. In einer Massenzeremonie wird der Bund für den Tag geschlossen – passende Outfits, Bilder und Ringe inklusive. Durch die symbolische Verbindung der Tagesehe werden zwei Welten zu einer. Den "Flittertag" verbringt das temporäre Pärchen gemeinsam in der Stadt, man erkundet weniger bekannte Ecken, den Amsterdamer Alltag und so manchen Geheimtipp.

Der "Untourist Guide" bietet in Kooperation mit "Wed and Walk" Tagesehen an. So sollen Touristen und Einheimische die Stadt und einander besser kennenlernen.
Foto: Wed and Walk/ Rosa Klamer

Wer für die Ehe noch nicht bereit ist, kann vorerst beim "Weed-Dating" bleiben. Doch die Teilnehmer suchen auch hier keineswegs Coffeeshops auf, sie fahren – wie für Amsterdam üblich mit dem Fahrrad – zu einer Obstplantage außerhalb der Stadt. Dort wird gemeinsam Unkraut (auf Englisch "weeds") gejätet, man lernt die anderen Reisenden kennen, und zum Schluss gibt es Apfelkuchen von der Plantage.

Andere Angebote sind Upcycling-Souvenir-Workshops und Grachtenrundfahrten auf ehemaligen Flüchtlingsbooten, bei denen Flüchtlinge ihre Geschichten erzählen. Auch die Initiative "Plastic Whale" fährt mit Touristen in die Grachten, allerdings zum Plastiksammeln. Selbst deren Boote bestehen aus wiederverwertetem Plastik. Und für "Wasteboards" kann man Plastikflaschendeckel sammeln – aus denen dann Skateboards hergestellt werden.

Mit dem "Untourist Guide" kann man auch Plastikflaschendeckel sammeln gehen. Was nicht gerade ansprechend klingt, ist eigentlich ziemlich cool: Denn "Wasteboards" stellt aus dem gesammelten Abfall hochwertige Skateboards her.
Foto: Wasteboards

Unterstützung von künstlicher Intelligenz

Bei der städtischen Tourismusagentur verfolgt man wieder einen anderen Ansatz: Dort setzt man auf Algorithmen und künstliche Intelligenz. "Denn Touristen an sich", sagt Geerte Udo, Direktorin der Agentur, "stören ja nicht, nur weil sie die Stadt besuchen. Sie stören dann, wenn sie sich nicht korrekt verhalten oder alle zur selben Zeit am selben Ort sind." So bekommt die "I-Amsterdam-City-Card", die Ticket und Rabattkarte für Öffis, Museen und andere Attraktionen ist, einen weiteren Nutzen. Die Daten, die die Karte sammelt, werden interpretiert und für das Tourismusmanagement verwertet.

So zeigt die Artificial Intelligence bestimmte Muster auf: Vormittags werden eher Museen besucht und nachmittags Kanalfahrten unternommen. Dank Geotagging erhalten "Risikogruppen" zudem Warnungen bezüglich Alkoholverbot und Benimmregeln. Mithilfe der Daten können Touristenströme je nach Aufkommen "verteilt" werden, die Plattform "I Amsterdam" schlägt entsprechende Routen oder aktuell wenig frequentierte Sehenswürdigkeiten vor.

Welcher Ansatz am meisten verändert, wird wohl erst die Zeit zeigen. "Wir haben natürlich auch keine goldene Regel, aber es geht uns darum, etwas zu unternehmen", sagt Al. Und das Ziel vereint alle Initiativen: Amsterdam soll für alle – Einheimische wie Touristen – wieder lebenswert gemacht werden. (Martina Reinegger, 27.9.2019)