Nur nicht darunterkommen! Birgit Minichmayr und Tobias Moretti versuchen je, ihr Leben zu ordnen. In München spielten sie schon miteinander im "Weibsteufel".

Foto: Hans Jörg Michel

Birgit Minichmayr passt mit ihrem blassblauen Kleidchen und mit den zarten Riemchenschuhen so gar nicht hierher. Und doch hat sie, nachdem sie den steilen Bloch leichtfüßig herunterbalanciert ist und in einem Gedanken und im tastenden Schritt zugleich innegehalten hat, sich dort hingesetzt und zusammengekauert. Die Zehen ineinander verkeilt und die Arme um die nackten Knie geschlungen, ist sie weit vorne an der Rampe in sich eingesunken. Die Lippen kauen an ihrem Arm. Sie sieht aus wie der verletzteste Mensch der Welt. Doch mitten hinein in diese atemberaubend stille Zerbrechlichkeit stachelt sie mit Worten plötzlich die beiden Rivalen weiter an.

Der eine ist ihr Gatte (Werner Wölbern), die Hochzeit verschlug sie hierher. Nach sechs Jahren Ehe ist noch keine Schwangerschaft über die Braut gekommen, schmucke Kleider drückt der Schmuggler ihr stattdessen an die Brust. Das Geschäft brummt, ein Haus am Marktplatz soll es demnächst auch noch sein. Sie dankt ihm das mit Fürsorge. Der andere ist der neue junge Grenzjäger (Tobias Moretti). Er will sich ein "Sternderl" verdienen, weil er den Schmuggler schnappt. Die Frau wird zum Spielball der beiden.

Rückzug aus Ärger

Gegeben wird Karl Schönherrs Weibsteufel (1914). Mit dieser Inszenierung sagte Regisseur Martin Kušej dem Burgtheater 2008 Baba. Es war seine letzte Produktion, ehe er aus Ärger darüber, nicht nächster Direktor geworden zu sein, und weil er mit dem erwählten Mat thias Hartmann nicht die Köpfe zusammenbrachte, abzog. Als Triumph wurde das Stück gelobt und mit Preisen überschüttet. Hartmann kübelte es aber prompt nach Amtsantritt vom Spielplan. Nun hat Kušej das Burgtheater endlich übernommen und seinen Weibsteufel wieder ins Programm gehievt.

In die Falle alpiner Hüttenromantik tappt man damit nicht. Die Bretter für eine solche Hütte sind vorsorglich noch nicht einmal geschnitten – als mächtige schwarze Stämme wuchtet Bühnenbildner Martin Zehetgruber sie auf die Bühne, hoch aus dem Schnürboden stürzen sie herab. Die Bloche geben der Szenerie ab dem ersten Moment eine Urwucht. Auf dieser Dramatikkulisse kraxelt das Trio infernale herum. Auch der älpelnden Kunstsprache fehlt jede Zier.

Leichtfüßige Klettereien

Manche im Publikum bekannten zwar, sie seien nur wegen Moretti da. Er ist als neuer Grenzjäger die größte Veränderung zu 2008 (damals hatte Nicholas Ofczarek die Rolle inne). Es ist aber denk unmöglich, dass sie nicht sofort Augen und Ohren auch für die Minichmayr bekommen haben. Denn wie ein Feenwesen waltet die gemeinsam mit Kušej nach Wien Zurückgekehrte auf den Stämmen. So leichtfüßig klettert sie auf ihnen herum – grad wie auch auf den Männern. Wenn sie schaut und spricht, sind Täuschung und Wahrhaftigkeit nicht auseinanderzuhalten.

Umstandslos schlägt die Atmosphäre zwischen Minichmayr und Moretti immer wieder um. Sie ringen um die Deutungshoheit: Legt sie ihm die gespreizten Beine auf die Knie, wird er ganz knieweich; foppt sie ihn, steht der steife Kerl in seiner Uniform hilflos wie ein Spielzeugsoldat vor ihr. Dem Gatten, den sie aus Mitleid genommen hat, ist sie im Herzen verschlossen geblieben. Und jetzt kommt dieser Kerl mit seinen starken Armen und drischt damit den Deckel der Truhe ein, in der sie vergeblich Kinderkleider hortet.

Prost auf die Zukunft

Eineinhalb Stunden lang zeigt sich an dieser intensiven Inszenierung kein unnötiger Schnörkel. Zwischen den Szenen wird die Bühne schwarz, dann klettern die drei vorsichtig auf die ihnen neu zugedachten Positionen. Nach dem letzten Szenenwechsel tanzt Minichmayr mit Weinflaschen im Arm halb heiter und halb im Wahn um ihren Mann herum, der seiner Frau im Falle seines Todes das soeben erstandene Haus am Marktplatz überschreibt. Dass dieser aus der Flasche gelassene Geist nie mehr dorthin zurückwill, weiß er noch nicht. Grandios. (Michael Wurmitzer, 23.9.2019)