Frage:

Meine Tochter ist 16 Jahre alt und geht in die 2. Klasse BHAK. In der Unterstufe war sie noch eine sehr gute, glückliche Schülerin. Sie ist jeden Tag gerne morgens aufgestanden und gutgelaunt nach Hause gekommen. Doch seit sie in der Oberstufe ist, haben sich ihre Noten verschlechtert, und auch ihre Stimmung zu Hause ist nicht mehr gut. Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass sie nun in der Pubertät ist, oder daran, dass sie neue Lehrer und Mitschüler hat. Sie tut sich plötzlich total schwer mit dem Lernen und sagt, dass die Lehrer sie unfair behandeln. Es ist, als hätte sich ihre Persönlichkeit plötzlich gedreht. Sie weint viel und ist auch oft krank. Dabei klagt sie über Magenschmerzen und Übelkeit und möchte nicht in die Schule gehen. Ich habe ihr vorgeschlagen, mit ihrem Klassenvorstand zu sprechen, aber das möchte sie auf keinen Fall. Sie sagt, das würde alles "noch schlimmer machen". Nachhilfe hält sie auch für unnötig.

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Für Jugendliche gehören in einer Phase der Identitätsfindung oft auch Schritte der Abgrenzung gegenüber den Eltern.
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Nun bin ich ratlos, weil es mir das Herz bricht, meine Tochter so depressiv und unglücklich zu sehen und ich das Gefühl habe, dass sie mich genauso doof findet wie ihre Lehrer. Wie finde ich wieder einen guten Zugang zu meiner Teenager-Tochter? Soll ich sie zu Hause lassen, wenn sie "krank" ist? Wie kann ich ihr helfen, dass sie wieder gerne in die Schule geht? Wäre eine Psychotherapie eine Lösung?"


Antwort von Hans-Otto Thomashoff

Hans-Otto Thomashoff ist Psychiater, Psychoanalytiker, zweifacher Vater und Autor. Zuletzt veröffentlichte Bücher: "Das gelungene Ich" (2017) und "Damit aus kleinen Ärschen keine großen werden" (2018).
Foto: Alexandra Diemand

Der Weg ins Erwachsenwerden ist für viele Heranwachsende schwierig. Gerade in einer Zeit, in der Rollenbilder und Berufsmöglichkeiten viel freier gewählt werden können als jemals zuvor, ist es nicht einfach, seinen eigenen Weg zu finden. Zur Identitätsfindung gehören oft auch Schritte der Abgrenzung gegenüber den Eltern. Die sollten Eltern respektieren, sofern sie nicht das eigene Wohlbefinden im Zusammenleben stören, wie etwa laute Musik nachts um zwei oder Ähnliches. Ist das der Fall, sind Klärungen gefragt – mit Kompromissen und verlässlichen Absprachen als Ergebnis.

Was Sie von Ihrer Tochter beschreiben, ist aber mehr als eine einfache Abgrenzung. Ihr mütterliches Gefühl signalisiert Ihnen ganz richtig, dass Ihrer Tochter etwas auf der Seele liegt. Sie hat Symptome einer Depression – Leistungsabfall, Stimmungstiefs, sozialer Rückzug, psychosomatische Beschwerden –, und da besteht Handlungsbedarf. Sie von der Schule fernzuhalten wird das Problem nicht lösen. Besser ist es, den Hintergrund ihrer Verstimmung abzuklären. Oft sind es nur irgendwelche psychischen Knoten, die sich einfach nicht lösen wollen, Konflikte mit Mitschülern oder Lehrern, eine unglückliche Verliebtheit. Knoten, die ein Außenstehender erkennt und beim Erklären und Auflösen helfen kann.

Da Ihre Tochter nicht mit Ihnen reden möchte, ist eine neutrale Person gefragt. Ihre Idee, dass Ihre Tochter zu einem Psychotherapeuten geht, ist eine gute Idee. Eben zur Abklärung. Vielleicht lässt sich der Knoten in einer Sitzung lösen, vielleicht ist auch eine Psychotherapie nötig – das lässt sich ohne einen tieferen Einblick nicht entscheiden. In jedem Fall steht Ihnen als Mutter und Erziehungsberechtigte zu, dass diese Abklärung erfolgt. (Hans-Otto Thomashoff, 24.9.2019)

Antwort von Linda Syllaba

Linda Syllaba ist diplomierte psychologische Beraterin, Familiencoach nach Jesper Juul und Mutter. Aktuelles Buch: "Die Schimpf-Diät" (2019).
Foto: Bianca Kübler Photography

Wenn Menschen sich unverstanden fühlen, reagieren sie oft unwirsch. Gleichzeitig wird nun, da ihre Tochter in der Pubertät ist, der eigene Erwartungsdruck höher, die Herausforderungen des Lebens selbst zu meistern. In diesem Spannungsfeld scheint Ihre Tochter zu stehen. Also, wie umarmt man einen Kaktus? Indem man keinesfalls etwas persönlich nimmt, größtmögliche Klarheit bezüglich der gegebenen Unterstützung sowie Erwartungen liefert und geringstmöglichen Schaden anrichtet, indem wie man das tut.

Auch wenn die Schule gerade erst wieder angefangen hat, vielleicht tut es Ihrer Tochter gut, ein paar Tage zu Hause zu verbringen, es könnte die notwendige Ruhe und Nähe zu Ihnen ermöglichen, um unaufgeregte Gespräche zu führen. "Ich sehe, dass es Dir nicht gut geht. Ruh Dich jetzt mal aus, und später will ich gerne mit Dir darüber sprechen, was genau momentan so belastend für Dich ist." Ob es gelingt, dass sie wieder gerne zur Schule geht, bleibt ungewiss. Doch es wäre schon mal fein, herauszufinden, ob etwas Konkretes vorgefallen ist (oder welche Dynamik in Schule oder Clique wirkt), das für Ihre Tochter schwer zu verdauen oder gar "zum Speiben" ist. Psychosomatisch würde es jedenfalls gut mit den von Ihnen beschriebenen Magenschmerzen und der Übelkeit zusammenpassen. Ernst zu nehmen ist es allemal!

Bitte löchern Sie ihre Tochter nicht mit Fragen. Drängen Sie sie nicht in der Sekunde zu Antworten. Geben Sie ihr Zeit, sich zu überlegen, was und wie sie Ihnen etwas erzählen will. Beziehungen brauchen Zeit und Vertrauen, dass das, was wir erzählen, gut aufgehoben ist und keinesfalls gegen uns verwendet wird. Erzählen Sie ihr eher etwas darüber, wie es für Sie ist, sich momentan so hilflos zu fühlen – jedoch ohne Schuldgefühle bei ihr aufzubauen. Sagen Sie ihr ruhig, dass sie merken, für manches nicht die richtige Person zu sein. Auch dass sie jetzt die Unterstützung der Tochter brauchen, um ihr die Mutter sein zu können, die sie gerade braucht. Vertrauen Sie ihr und der Basis ihrer bisherigen Beziehung. Geben Sie sich und Ihrer Tochter diese Chance. Psychotherapie kann notfalls, wenn es noch mehr eskaliert, immer noch in Anspruch genommen werden. Eine gute Eltern-Kind-Beziehung ersetzt die Therapie keinesfalls und braucht ebenfalls Zeit, um zu wirken. (Linda Syllaba, 24.9.2019)