Die solidarisch finanzierten Gesundheitssysteme sind kostentechnisch unter Druck, die hohen Preise für manche Medikamente sprengen die Budgets.

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Schwierige Mission: Stella Kyriakides, die neue EU-Gesundheitskommissarin, hat von EU-Präsidentin Ursula von der Leyen den Auftrag, die Pharmaindustrie in der EU zu unterstützen.

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Stella Kyriakides weiß, was es heißt, Patientin zu sein. An ihrem 40. Geburtstag entdeckte sie einen Knoten in ihrer Brust. Acht Jahre später kam der Krebs wieder. Mit bewundernswerter Stärke bezwang sie ihn ein zweites Mal. Ihrer Mutter ist das nicht gelungen. Sie ist viele Jahre davor an Brustkrebs gestorben. Kyriakides besiegte ihre eigene Krankheit und führte den Kampf gegen Krebs als Patientenvertreterin auch auf politischer Ebene weiter. Seit 2006 sitzt die Kinderpsychologin in ihrer Heimat Zypern für die konservative Partei im Parlament, von 2017 bis 2018 war sie Präsidentin der Parlamentarischen Versammlung des Europarats.

Nun soll Stella Kyriakides EU-Gesundheitskommissarin werden. Für die Patientenorganisationen in Brüssel ein Grund zum Jubeln. Sie erwarten sich eine mächtige Fürsprecherin und eine Aufwertung ihrer Aktivitäten. In der Tat steht "Europe's Beating Cancer Plan" ganz oben auf der Agenda der neuen Kommissarin.

Schon gehört? Journalistin Andrea Fried erklärt im Podcast die Einflussnahme der Pharmaindustrie auf die EU-Politik.

Von der Leyens Auftrag

In einem sechsseitigen Brief hat ihr EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ihre bevorstehende Mission mitgeteilt. Demnach soll sie sich neben dem Kampf gegen Krebs auch um die Digitalisierung kümmern, Maßnahmen gegen Antibiotikaresistenzen fördern und Impfkampagnen entwickeln. Auf ihrer To-do-Liste steht auch die Sicherung der europaweit leistbaren Versorgung mit Medikamenten. Dabei soll Kyriakides, so der explizite Wunsch der Kommissionspräsidentin im "mission letter", die europäische Pharmaindustrie unterstützen.

Dieser Auftrag lässt aufhorchen und kommt nicht bei allen gut an. "Die EU-Gesundheitspolitik muss sich um die Patienten drehen und nicht um die Wettbewerbsfähigkeit eines Wirtschaftssektors", fordert Yannis Natsis von der European Public Health Alliance (EPHA). Beim Thema Krebs sollte es seiner Meinung nach vor allem um die Prävention gehen und nicht nur um die Frage der Behandlung mit Medikamenten.

In der Tat ist der Einfluss der Industrie in Brüssel bereits sehr stark. Mehr als 40 Millionen Euro gibt Big Pharma laut dem Transparenzregister jährlich für Lobbying in der EU aus. Die inoffiziellen Schätzungen liegen weit darüber.

Viel Geld

Eine beliebte Methode, um Entscheidungen auf EU-Ebene zu beeinflussen, ist die Teilnahme an Expertengruppen. Dort sind seit einigen Jahren auch Patientenorganisationen vertreten. Ein Beispiel dafür ist die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA), zuständig für die Zulassung und Überwachung von Medikamenten. In ihren Gremien und Arbeitsgruppen haben auch Patientengruppen einen Sitz. Im Management Board vertritt etwa das European Patients' Forum (EPF) 74 Patientenorganisationen aus allen Mitgliedsstaaten. Nach eigenen Angaben sprechen sie für 150 Millionen Betroffene. Im Jahr 2018 verfügte das EPF über ein Gesamtbudget von 2,1 Millionen Euro. 1,6 Millionen kamen von der Industrie. Allein die Pharmafirma MSD spendete mehr als 100.000 Euro.

Nicola Bedlington, langjährige Generalsekretärin und heute Sprecherin des EPF, ist sich der unschönen Optik bewusst. Sie beklagt, dass die öffentlichen Fördergelder der EU im Jahr 2017 plötzlich gestoppt wurden: "Wir mussten neue Finanzierungsquellen erschließen, um unsere Organisation zu erhalten." Das EPF bemühe sich weiterhin um öffentliche Gelder, um seine Unabhängigkeit zu stärken. In der Regel sind es derzeit jedoch die großen Vereine mit viel Pharmageld – das oft mehr als 80 Prozent ihres Budgets ausmacht –, die auf EU-Ebene mitspielen. Trotz aller wohlklingenden Selbstverpflichtungserklärungen und Bekenntnisse zur Transparenz lässt sich der Einfluss der Sponsoren erkennen, die versteckten Agenden sind besonders trickreich.

Noch mehr Lobby

"Korruptionsbekämpfung im Gesundheitswesen bedeutet insbesondere, Interessenkonflikte der zahlreichen Akteure zu erkennen und ihre schädlichen Auswirkungen transparent zu machen", heißt es auf der Website der Anti-Korruptions-NGO Transparency International. Oft geht es gar nicht darum, Themen zu puschen, sondern sie vielmehr zu verhindern. "Die EU-Kommission muss dem Druck der Pharmalobby widerstehen, bestimmte Themen auf ihrer Agenda für die nächsten fünf Jahre auszulassen. Dazu gehören etwa die Fragen von Monopolen und langem Patentschutz für teure Arzneimittel", so Yannis Natsis von der European Public Health Alliance.

Die Beteiligung von Patienten an den Entscheidungsgremien der EU halten viele Experten für wichtig. Das dürfe allerdings nicht dazu führen, dass die Interessen der Industrie damit über die Hintertür hereinkommen. "Wir sind hier in einem heftigen Clinch mit Europa", sagt Ursula Helms von der deutschen Selbsthilfeorganisation Nakos. In Deutschland gebe es klare Regelungen, welche Patientenvertreter auf politischer Ebene mitwirken dürfen. Wer zu viel Geld von der Pharmaindustrie nimmt, scheidet aus. In Deutschland ist die Förderung der Selbsthilfe Auftrag der gesetzlichen Krankenversicherung: Von ihr gibt es rund 82 Millionen Euro pro Jahr. Das sind 1,30 Euro pro Versicherten. (Andrea Fried, 24.9.2019)