Welche Koalition wird sich nach der Nationalratswahl finden? Im Gastkommentar widmet sich Politik- und Medienberater Peter Plaikner möglichen Koalitionsvarianten.

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Viele Parteigranden, eine (Dirndl-)Koalitionsmöglichkeit: Neos-Chefin Meinl-Reisinger, Ober-Grüner Kogler, ÖVP-Vorsitzender Kurz.
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Zack, Zack, Zack: So wie es seit dem Ibiza-Video Politsprech für böses Tempo ist, hätte es danach laufen müssen. Zumindest aus Sicht der türkis gewandeten ÖVP, die einst in existenzialistischem Schwarz noch "speed kills" im Schilde führte – bei ihrer ersten Koalition mit der FPÖ. Doch nicht nur für die Volkspartei, auch für die Grünen wäre die Nationalratswahl am besten schon gewesen. Beide haben den günstigsten Zeitpunkt sowohl für das höchste eigene Ergebnis wie auch für eine Koalition versäumt. Diese These untermauern nicht nur die Umfragen mit sinkenden Werten für die ÖVP.

Wenn Bundespräsident Alexander Van der Bellen im Wahlaufruf mit Übergangskanzlerin Brigitte Bierlein vor allem den Klimaschutz erwähnt, ist dies auch eine Reaktion auf den abflauenden Medienhype zu diesem Thema. Denn Fridays for Future nutzen den hiesigen Grünen ebenso wie das Hoch ihrer deutschen Schwesterpartei.

Doch das Augenmerk für die von Greta Thunberg ausgelöste Bewegung sinkt infolge des Abnutzungseffekts durch Wiederholung. Und die Aufmerksamkeit für die nachbarlichen Ökopaxe um Robert Habeck hat durch enttäuschte Erwartungen bei den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg den Zenit überschritten. Der Wunsch des einstigen Grünen-Chefs Van der Bellen nach einer früheren Wahl war ein aus Parteisicht gutes Gespür.

Heimliche Hybris der ÖVP

Sebastian Kurz hingegen hat sich mit seiner Ansage zur besten Sendezeit am Abend nach Ibiza überhoben. Statt eine Rede an die Nation zu halten – wie der Präsident –, spekulierte der Noch-Kanzler vorzeitig in einer Wahlkampfbotschaft unterschwellig mit dem Übertrumpfen von Wolfgang Schüssel. Sein Vorvorvorvorgänger hatte der ÖVP 2002 nach dem ersten Ende von Schwarz-Blau ein Plus von 15 Prozentpunkten beschert. Würde der angeblich neuen Volkspartei das unter Kurz gelingen, wäre infolge höherer Ausgangsbasis die absolute Mandatsmehrheit greifbar – gewesen. Das Spiel mit dieser zwar uneingestandenen, aber allzu hohen Erwartungshaltung ist längst gescheitert. Keine Umfrage sah die ÖVP 2019 in Schüssel'schen Steigerungsdimensionen oder auch nur klar über 40 Prozent.

Je jünger die Prognosen, desto knapper liegt sie über ihrem Ergebnis von 2017. Weniger als 35 Prozent und einen nur einstelligen Vorsprung empfände die triumphschwangere Partei aber nun geradezu als Niederlage. Die Geister, die Kurz rief, hätte er schneller loswerden müssen. Sein Sturz per Misstrauensvotum und der spätere als erhoffte Wahltermin werden den türkisen Sieg schmälern.

Diese heimliche Hybris ist die Ursache für verzögerte Koalitionsüberlegungen der Volkspartei, deren Folgen allerdings durch den noch eklatanteren Strategiemangel der Sozialdemokraten abgefedert werden. Sie hätten einen deklarierten Wahlkampf in Richtung flotter Dreier führen müssen. Nun wirkt eine solche Partnerschaft mit Grünen und Neos rechnerisch kaum noch erreichbar, gerät aber immer mehr zum besten Ausweg der ÖVP. Nur so kann diese den Makeln der für sie wahrscheinlich einzig möglichen Zweierkoalitionsvarianten entkommen.

Moralische Bedenken

Eine weitere Regierung mit der SPÖ litte schon vorab unter dem Stillstand-Image. Auch bei einem Wechsel des roten Spitzenpersonals bliebe die wechselseitige tiefe Abneigung weiter Parteikreise als schwer zu überwindende Barriere. Gegen eine Neuauflage mit der FPÖ sprechen aus türkiser Sicht nicht etwa moralische Bedenken, sondern vor allem das internationale Ansehen, auf das insbesondere Kurz persönlich größten Wert legt. Ungeachtet aller rechtspopulistischen Trends ist die Partei von Haider und Strache – seit Ibiza mehr denn je – ein globales Symbol demokratiepolitischer Misfits.

Türkis-Grün-Pink hingegen hat als Basis, dass die Neos nach Ibiza ebenso auf einen solchen Paarlauf gesetzt hatten wie bescheidenere ÖVP-Kreise. Dass eine Duo-Konstellation rechnerisch dann eher mit den Grünen möglich schien, hat bei ihnen wie in der Volkspartei die Pioniere einer solchen Zusammenarbeit auf den Plan gerufen. Von Oberösterreich, wo das zwölf Jahre funktioniert hat, bis nach Vorarlberg und Tirol, wo es bereits eine Neuauflage gibt. Ebenso wie in Salzburg, das mittlerweile durch die Beteiligung der Neos die regionale Vorlage für eine erste Dreierkoalition auf Bundesebene liefert.

Die stärksten Vorab-Argumente gegen eine solche Regierung liegen weder in unvereinbaren Programmen noch in persönlichen Abneigungen, sondern in Flügelkämpfen. 2003 hatten die linken Wiener Grünen einen Vizekanzler Van der Bellen verhindert, sie würden sich nun aber gegen die enorm erstarkten Realos aus dem Westen kaum durchsetzen. Ähnliches gilt für die ÖVP, deren schwarze Parteien von dort heute mehr Gewicht gegenüber der türkisen Partie rund um Sebastian Kurz haben als 2017.

Regierungshungrige Neos

Die regierungshungrigen Neos wären ohnehin an Bord eines solchen Dreiers mit Steuermann, dessen Gendering der SPÖ trotz Aufholtendenz laut Umfragen kaum möglich sein wird. Doch ausgerechnet ein Sozialdemokrat liefert Kurz das beste strategische Argument für die Mühsal einer Koalition mit zwei Partnern: Peter Kaiser schuf 2013 in Kärnten den regionalen Prototyp einer solchen Konstellation. 2018 erhielt die SPÖ dort fast die absolute Mehrheit, und der grüne Regierungspartner flog aus dem Landtag. Kurz' allfällige Juniorpartner müssen ihre Verzwergung fürchten. (Peter Plaikner, 23.9.2019)