In Südafrika wurde demonstriert – aber mit weniger Menschen.

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Die halbe Welt war auf den Beinen. Hunderttausende drängelten sich in der australischen Universitätsstadt Melbourne, vor den Londoner Houses of Parliament, im New Yorker Stadtteil Manhattan oder auf dem Hamburger Jungfernstieg – insgesamt sollen mehr als vier Millionen auf der Welt auf den Straßen gewesen sein.

Auch in Afrika fanden am vergangenen Freitag einige der mehr als 2.500 Protestkundgebungen zur Klimaerwärmung statt. Doch auf dem zweitgrößten Erdteil wurden die Demonstranten nicht in Hunderttausenden oder Millionen, sondern im Dutzend gezählt. Viele Dutzend in der kenianischen Hauptstadt Nairobi, mehrere Dutzend in der nigerianischen Megacity Lagos, ein paar Hundert im südafrikanischen Kapstadt. Und das, obwohl Afrika als eines der ersten und verletzlichsten Opfer des Klimawandels gilt: Auf dem Erdteil schrumpfen einst riesige Seen zu Tümpeln zusammen, fegen Zyklone über einst stille Küstenregionen hinweg oder trocknet die Wasserversorgung einer Millionenstadt aus.

In Afrika werden mit Flüchtlingsströmen, neuen Hungersnöten und Kriegen ums Wasser die schlimmsten Folgen für die Bevölkerung erwartet: Die Internationale Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung rechnete aus, dass der Klimawandel bereits in drei Jahrzehnten rund 200 Millionen Menschen in die Abhängigkeit von fremder Hilfe treiben wird, die jährlich bis zu 50 Milliarden Dollar ausmachen werde. Trotzdem ist von Wut oder Verzweiflung auf dem ohnehin erhitzten Kontinent kaum etwas zu spüren.

Gegenwärtige Probleme

Die Gründe für die scheinbare Gleichgültigkeit liegen auf der Hand: Die Afrikaner haben dringendere Probleme, als sich um die ferne Zukunft zu kümmern. Menschen pflegten künftigen Risiken wesentlich weniger Aufmerksamkeit zu schenken als gegenwärtigen, sagen die Autoren des jüngst erschienenen Bestsellers How Your Brain Works: Wer sich um sein morgiges Essen sorgen muss, zerbricht sich nicht auch noch den Kopf um seine Ernährungslage in mehreren Jahrzehnten. Hinzu kommt, dass die Klimaerwärmung für Afrikaner ein Phänomen ist, zu dem sie so gut wie nichts beigetragen haben: Sie können deshalb auch nichts tun, um den rasanten Temperaturanstieg abzubremsen. Schlimmer noch: Inzwischen wird von ihnen verlangt, dass sie im Namen des Klimawandels auf Dinge verzichten, die im Norden der Welt selbstverständlich sind und von denen ihre Entwicklung abhängt: Straßen und Autos, Flugzeuge und Elektrizitätswerke, Industrieparks oder Klimaanlagen.

Nirgends ist dieser Konflikt augenfälliger als in Südafrika, das wirtschaftlich aus zwei Ländern besteht: einer hochentwickelten Industrienation und einem bettelarmen Entwicklungsland. Hier wurde das berüchtigte Konzept der Apartheid erfunden, das heute in dem Begriff der "Klima-Apartheid" weiterlebt: der Beschreibung dafür, dass die Welt in Klimatäter und -opfer auseinanderfällt. Südafrikas einzige noch ernstzunehmende überregionale Tageszeitung, der Business Day, hatte am Freitag eine einzige Geschichte zum Thema, das die Welt bewegt, im Blatt: dass sich die hiesigen Industriekapitäne vehement gegen die von der Regierung erlassene Treibhausgasabgabe aussprechen. Sie füge der lahmenden Ökonomie unnötig noch zusätzlichen Schaden zu, hieß es.

Dazu muss man wissen, dass Südafrika zu den schlimmsten Kohlenwasserstoff-Emittenten der Welt gehört. Die hiesige Elektrizität wird zu 90 Prozent in Kohlekraftwerken hergestellt, außerdem produziert der Staatskonzern Sasol auch noch Benzin aus Kohle. 37 Prozent der Rohstoffexporte, fast fünf Milliarden Dollar im Jahr, werden hier mit der Ausfuhr von Kohle eingenommen.

Kein Trinkwasser

Umgekehrt ist Südafrika eines der ersten Opfer der Klimaerwärmung. Der Temperaturanstieg ist hier doppelt so hoch wie im weltweiten Durchschnitt. Kapstadt ging im vergangenen Jahr bereits das Trinkwasser aus, dafür ging in Durban Anfang dieses Jahres eine "Regenbombe" nieder. Die von ihr ausgelösten Schlamm- und Wassermassen kosteten mehr als 80 Menschen das Leben. Trotzdem brachte eine Umfrage kürzlich zum Vorschein, dass fast 60 Prozent aller Südafrikaner nichts mit dem Begriff der Klimakrise anzufangen wussten: Obwohl sich ein großer Teil der Bevölkerung sehr wohl bewusst ist, dass die Regensaison inzwischen gut einen Monat später einsetzt und in weiten Teilen des Landes sehr viel spärlicher ausfällt. Das weltweit angesehene Forschungsinstitut Council for Scientific and Industrial Research (CSIR) arbeitet derzeit an einem "Grünbuch", in dem die Auswirkungen der Klimaerwärmung für sämtliche südafrikanischen Kommunen sowie mögliche Gegenmaßnahmen aufgezeigt werden. Eine Errungenschaft, auf die andere afrikanische Staaten wohl verzichten müssen.

Dafür hat es das Kap der Guten Hoffnung mit Gewerkschaften zu tun, die sich beharrlich gegen den Ersatz des Kohlestroms durch Sonne- und Windkraftwerke sperren. Die Genossen, denen Cyril Ramaphosa seine Präsidentschaft verdankt, wollen verhindern, dass die Kumpels in den Kohleminen und Kohlekraftwerken ihre Jobs verlieren. Der Mensch treffe ständig Entscheidungen, die kurzfristig gut aber langfristig katastrophal seien, schreiben die Autoren von How Your Brain Works: Der "komplizierteste Gegenstand im uns bekannten Universum", so ihr Untertitel, ist zuweilen überfordert. (Johannes Dieterich, 23.9.2019)