Ganz rund läuft es nicht für Labour-Chef Jeremy Corbyn.

Foto: imago images/PA Images

Überschattet von der Pleite des Tourismusgiganten Thomas Cook sowie von PR-trächtigen Auftritten Boris Johnsons in New York hat die oppositionelle Labour Party am Montag ihren Streit über die beste Brexit-Politik fortgesetzt. Beim Parteitag im südenglischen Seebad Brighton bekräftigten prominente Proeuropäer wie Emily Thornberry und Keir Starmer im Einklang mit der überwältigenden Mehrheit der Mitglieder ihren Wunsch nach einem klaren Eintreten der Arbeiterpartei für den EU-Verbleib. Im Gegensatz dazu setzt die europaskeptische Parteispitze um Jeremy Corbyn, unterstützt von den wichtigsten Gewerkschaften, weiterhin auf einen neutralen Kurs in der wichtigsten Frage der britischen Politik.

Während in der britischen Politik normalerweise die Parteitage der landesweiten Parteien uneingeschränkte Aufmerksamkeit genießen, sieht sich Labour diesmal erheblichem Störfeuer ausgesetzt.

Offensiv vermarkten die Spindoktoren des Premierministers in der Downing Street die Auftritte Johnsons beim New Yorker Klimagipfel sowie seine Treffen mit wichtigen EU-Partnern, etwa der deutschen Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Am Montag war außerdem ein Termin mit dem scheidenden EU-Ratspräsidenten Donald Tusk vorgesehen, am Dienstag ist der irische Premierminister Leo Varadkar an der Reihe, dessen Zustimmung zu einem neuen Brexit-Kompromiss als unerlässlich gilt.

"Inakzeptabel"

Johnson setzt dieser Tage alles daran, beim EU-Gipfel Mitte Oktober unbedingt einen Erfolg im Brexit-Tauziehen präsentieren zu können. Dafür legte seine Regierung am vergangenen Donnerstag erste Ideen zur Vermeidung einer festen Grenze mit Irland nach dem EU-Ausstieg in Brüssel vor. Die bisher im Ausstiegsvertrag vorgesehene und als Backstop bekannte Lösung – die Ausweitung der EU-Zollunion auf das britische Nordirland – lehnt Johnson ab. Am Montag ließ EU-Chefverhandler Michel Barnier London allerdings ausrichten, dass Johnsons in der vergangenen Woche präsentierte Vorschläge keineswegs die angestrebte Basis für ein Abkommen darstellten. Konkret nannte er Johnsons Ideen für einen überarbeiteten Backstop nach einem Treffen mit dem deutschen Außenminister Heiko Maas am Montag in Berlin "inakzeptabel". Sie seien nicht mit seinem Mandat vereinbar, die Integrität des EU-Binnenmarkts zu schützen. Bei den derzeit von London geäußerten Vorstellungen werde es schwierig, zu einer Lösung zu kommen. Die Verhandlungen gingen aber weiter, sagte Barnier.

Urteilsspruch erwartet

Und doch läuft es derzeit auch für die größte britische Oppositionspartei alles andere als rund. Das Labour-Jahrestreffen in Brighton stand unter dem Vorbehalt des Urteilsspruchs, den der Supreme Court in London für Dienstag angekündigt hat. Dabei geht es um die Zwangspause bis zum 14. Oktober, die Johnson dem Parlament verordnet hat. Sollten die Höchstrichter die Maßnahme für illegal erklären, könnte es zu einer Verkürzung oder gar zum Abbruch des Labour-Parteitags kommen.

Das wäre vielen Delegierten und womöglich manchen Vertretern der Parteispitze gar nicht so unrecht. Die Stimmung steht in krassem Kontakt zum letztjährigen Parteitag in Liverpool, wo sich der Veteran Corbyn noch in der Zustimmung seiner 500.000 Mitglieder sonnen konnte. Diesmal liegen der Brexit-Streit und die schlechten Umfragewerte vielen einfachen Delegierten im Magen, der Chef selbst wirkte gereizt und angestrengt.

Wie viele Besucher vom Kontinent nutzen auch deutsche Politiker das Stelldichein am Ärmelkanal zum Gedankenaustausch mit Mitgliedern der größten Partei Westeuropas. Beim parallel zum Parteitag veranstalteten Graswurzeltreffen "The World Transformed" sprachen am Montag sowohl Katja Kipping, die Vorsitzende der Linken, wie auch SPD-Jungstar Kevin Kühnert. Man werde den britischen Parteifreunden gewiss keine klugen Ratschläge erteilen, sagte der Juso-Chef dem STANDARD. Immerhin könne er zur Brexit-Strategie der Neutralität aus bitterer eigener Erfahrung berichten: "Es kommt bei den Leuten nicht gut an, wenn man ihnen vor der Wahl sagt, man werde ihnen irgendwann später sagen, was man eigentlich will."

Angst vor Fiasko

Genau diese Befürchtung haben viele Europafreunde bei Labour für den noch in diesem Jahr erwarteten vorgezogenen Urnengang. Sie stützen sich dabei auf eine Vielzahl von Umfragen und akademischen Studien.

Einer Untersuchung der London School of Economics zufolge halten weniger als zehn Prozent potenzieller Labour-Wähler den EU-Austritt für richtig. Corbyn laufe also Gefahr, ohne Not seine proeuropäische Wählerschaft zu vergrämen, analysiert LSE-Politikprofessorin Sara Hobolt. (Sebastian Borger aus Brighton, 23.9.2019)