Geht es nach den Plänen von ÖVP und FPÖ, soll künftig jeder im Gesundheitsbereich die Pflicht haben, Vergewaltigungen anzuzeigen.

Foto: APA/dpa/Holger Hollemann

Die Polizei fand ihren Körper nur noch leblos in der Wohnung, mehrere blutige Wunden klafften an ihrem Hinterkopf. Ihr Mann hatte zuvor der Polizei gestanden, sie mit einer Holzlatte erschlagen zu haben.

Es war einer von zahlreichen Frauenmorden 2019 in Österreich. Anfang des Jahres hat die türkis-blaue Regierung auf eine Häufung der Frauenmorde reagiert und ein Gewaltschutzpaket angekündigt. Dann kam Ibiza, die Absetzung der Regierung, und der Beschluss wurde auf Eis gelegt. Nun soll das Gesetz am Mittwoch mit der Mehrheit von ÖVP und FPÖ im Nationalrat beschlossen werden – unter lautstarker Kritik von Expertinnen und Experten.

Vor allem die geplante Erhöhung des Strafausmaßes und die Ausweitung der Anzeigepflicht bei Verdacht auf Vergewaltigung sorgen für Empörung. Ein höheres Strafausmaß wäre "kein brauchbares Mittel" und würde "Täter nicht von einer Gewalttat abhalten", schreibt der Österreichische Frauenring, die Dachorganisation österreichischer Frauenvereine, in einer Stellungnahme. Der bestehende Strafrahmen werde schon jetzt nicht ausgenutzt und nur wenige Gewalttäter verurteilt oder in U-Haft genommen. Die Verurteilungsraten seien für strafbare Formen von Gewalt gegen Frauen in den vergangenen Jahren zurückgegangen, kritisiert Frauenring-Vorsitzende Klaudia Frieben – und das trotz einer Erhöhung des Strafausmaßes bei Gewalt- und Sexualdelikten im Jahr 2016. Frieben sieht keinen Zusammenhang mit "fehlenden juristischen Möglichkeiten", sondern die Schuld "vor allem beim noch immer geringschätzigen Umgang mit Gewalt an Frauen".

"Heikle" Anzeigepflicht

Ursula Kussyk vom Verein Notruf für vergewaltigte Frauen und Mädchen bezeichnet die geplante Ausweitung der Anzeigepflicht bei einem Verdacht auf eine Vergewaltigung als "extrem heikel".

Bisher mussten Ärztinnen, Pflegepersonal, Sanitäter, Psychologinnen, Röntgenassistenten – kurz: alle Beschäftigten im Gesundheitsbereich – im Falle des Todes und schwerer Körperverletzung von Patientinnen und Patienten eine Anzeige erstatten. Das Gewaltschutzpaket sieht diese Verpflichtung nun für alle Gesundheitsberufe auch bei einem Verdacht auf Vergewaltigung vor.

"Betroffene allein sollten die Entscheidung treffen, was nach sexueller Gewalt passiert", kritisiert Kussyk das Vorhaben im Gespräch mit dem STANDARD. "Sexuelle Gewalt bedeutet einen massiven Kontrollverlust, deshalb ist es besonders wichtig, die Betroffenen dabei zu unterstützen, wieder die Kontrolle zu erlangen." Opfer müssten auch die Zeit und die Möglichkeit haben, sich beraten zu lassen, eine Prozessbegleitung zu bekommen, oder einfach das Wissen, was auf sie mit so einer "enorm belastenden Strafanzeige" zukommt, sagt Kussyk. Auf keinen Fall dürfe hinter dem Rücken der Opfer diese Maschinerie angeworfen werden, "wir haben nichts davon, wenn Betroffene sagen, das Verfahren war für mich genauso schwierig wie die Gewalttat".

Klaudia Frieben vom Frauenring warnt zudem davor, dass dadurch womöglich weniger Opfer medizinische Hilfe suchen. Sie sieht durch das Gesetz "keine einzige Vergewaltigung verhindert und kein Opfer geschützt". Die Aktivisten und Aktivistinnen des Frauenvolksbegehrens bezeichnen die geplanten Maßnahmen als "populistische Politik auf dem Rücken von Frauen" und wollen mit den Verein One Billion Rising am Mittwoch vor dem Parlament gegen das Gewaltschutzpaket protestieren. (Beate Hausbichler, Noura Maan, 24.9.2019)