Lange war der geflochtene Zopf von der Bildfläche verschwunden: Seinen letzten großen Auftritt hatte er höchstwahrscheinlich irgendwann Mitte der 1990er. Es war die Zeit des Discman, der Arschgeweihe, der Tamagotchis – und natürlich von Marusha. Ihre Single "Somewhere Over the Rainbow" wurde damals von 14-jährigen "Bravo"-Leserinnen in Dauerschleife gehört. Die CD-Hülle zierte die DJane (so nannte man sie damals) selbst: grün gefärbte Augenbrauen, unter der Baseballkappe schaut links und rechts jeweils ein geflochtener Zopf hervor. Die Zöpfe hatten nichts Kindliches und nichts Braves, sie hingen als ironischer Kommentar über den Schultern.

Ein Relikt aus den 1990ern: Marushas alte Zöpfe.
Róbert Lukács

Heute ist Marusha Aphrodite Gleiß Anfang 50 und trägt eine Kurzhaarfrisur, die Zöpfe überlässt sie der Generation Klimaschutz. Mit der 16-jährigen Greta Thunberg ist das geflochtene Haar nämlich wieder zurück. Im Unterschied zum Techno-Revival vor 25 Jahren werden sie von der Schwedin aber ungefähr so ernsthaft wie in der Serie "Unsere kleine Farm" getragen. Als Thunberg im August die ersten Schulstreiks initiierte, schleppte sie stets ein Schild mit der Aufschrift "Skolstrejk för klimatet" mit. Sie erinnerte mit ihren altmodischen Zöpfen daran, dass es wichtigere Dinge als fancy Frisuren gibt.

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Greta Thunberg meint es ernst, nicht nur die Sache mit den Zöpfen.
Foto: AP Photo/Markus Schreiber

Miuccia Prada hat den Braten wieder einmal frühzeitig gerochen: Sie ließ den Models für die Präsentation ihrer Herbstkollektion Zöpfe flechten. Ihr Stilvorbild ist allerdings nicht Greta Thunberg, sondern Gothic-Ikone Wednesday Addams, die weiß getünchte, schwarz bezopfte Tochter der "Addams Family".

Pradas Herbstkollektion: so düster wie romantisch.
Foto: Marco BERTORELLO / AFP
Mit Zopf und Kragen: Wednesday Addams aus der "Addams Family".
Lindsay Holiday

Dass es auch weniger schreckhaft geht, führt das Kopenhagener Label Blanche in seiner Frühjahrskollektion vor. Hier baumeln lange "Bauernzöpfe" über dicken Strick-Cardigans. Genauso beim LVMH-Label Dior: Designerin Maria Grazia Chiuri hat nach den Frauenrechten den Klimaschutz für sich entdeckt, in der Show-Location Bäume aufgestellt und die Models als bezopfte Gärtnerinnen über den Pariser Laufsteg geschickt.

Auch das Kopenhagener Label Blanche lässt Zöpfe flechten.
Foto: Blanche
Wenn es nach der Dior-Designerin Maria Grazia Chiuri geht, laufen Frauen im kommenden Frühjahr als bezopfte Gärtnerinnen durch die Welt.
Foto: Christophe ARCHAMBAULT / AFP

Wer nun auf den Geschmack gekommen ist, teilhaben will an diesem ernsthaften Revival, noch nicht über die nötige Haarlänge verfügt und auf Extensions verzichten will, wird sich in Geduld üben müssen. Es ist noch kein hüftlanger Zopf vom Himmel gefallen. (Anne Feldkamp, 26.9.2019)