Wenn "eine neue Regierung nicht zuallererst auf den ORF zugreift", dann ist Alexander Wrabetz (59) noch bis Ende 2021 Geschäftsführer des ORF, des weitaus größten österreichischen Medienkonzerns mit gut einer Milliarde Euro Umsatz, größtenteils aus GIS-Gebühren.

Das soll auch so bleiben, auch wenn zuletzt ÖVP und FPÖ recht intensiv an eine Budgetfinanzierung des ORF dachten statt der GIS-Gebühren. Schnell wünscht sich Wrabetz von der Politik nur digitale Erleichterungen (etwa für die Social-Streaming-Plattform ORF-Player). Alle anderen Themen wie die Gebührenfrage oder wie der ORF künftig geführt wird, würde Wrabetz (naturgemäß) lieber am Ende der nächsten Legislaturperiode geklärt wissen.

"Sadismus" der Privatsender

Die Privatsender haben es eiliger – vor allem mit Vorgaben für Programmanteile in jedem ORF-Hauptkanal sowie Budget- und Werbebeschränkungen. Ihr Forderungspaket an die nächste Regierung, präsentiert vorige Woche, muss wohl an einem "heiteren Abend" der Verbandschefs Ernst Swoboda (Kronehit) und Markus Breitenecker (ProSiebenSat1Puls4) entstanden sein, sagt Wrabetz: "Ich weiß nicht, was sie zu sich genommen haben, aber es muss sehr heiter gewesen sein. Offenbar wollten sie da einen gewissen Sadismus ausleben: Wie kann man den ORF quälen, was dem ORF wie abhacken? Und dann musste das die Geschäftsführerin des Privatsenderverbands in ein scheinbar medienpolitisches Papier verpacken. Ehrlicher, als das auf 25 Seiten auszuwalzen, wäre ein Satz gewesen: Abschaffung des ORF."

Wrabetz vermutet im STANDARD-Interview etwa: "Markus Breitenecker und Ernst Swoboda sind österreichischer Content, österreichische Musik, österreichische Filmwirtschaft wurscht, ganz vereinfacht gesagt. Es geht darum, den ORF programmiertechnisch so zu beschränken, dass sie noch mehr Geld verdienen. Das ist unternehmerisch legitim."

Beliebte Angriffsziele der Privaten sind ORF 1 und Ö3. Die Quotenentwicklung von ORF 1 seit Beginn des Umbaus im Frühjahr beschreibt Wrabetz so: "Aber es verschlechtert sich ja nichts mit den neuen Programmen – es wird nur noch nicht in wünschenswertem Ausmaß verbessert."

Vorstand für den ORF "jedenfalls kein Vorteil"

Seit 1998 ist der Sozialdemokrat und Jurist Wrabetz nach Engagements in der ÖIAG und beim Spitalserrichter Vamed im Management des ORF, seit 2007 führt er den öffentlich-rechtlichen Medienriesen als Alleingeschäftsführer. So lange wie keiner vor ihm am Stück.

ÖVP, FPÖ, aber auch Stimmen in der SPÖ wollen den ORF künftig von mehreren Vorständen statt von einem Alleingeschäftsführer gelenkt sehen. Wrabetz hält das weiterhin für eine Schnapsidee, gibt er im STANDARD-Interview zu verstehen – das erschwere die Führung und sei jedenfalls kein Vorteil für den ORF. Und wenn dann Parteien ihre "Schräubchen" im Vorstand installieren, an denen sie drehen können, wie es FPÖ-Mediensprecher Hans-Jörg Jenewein formulierte, "wird es besonders schwer".

"Das bedeutet die Abschaffung des ORF": Wrabetz im STANDARD-Interview

"Was nicht geht" für ORF-General Alexander Wrabetz bei der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks: "Dass man alle Jahre, alle zwei oder alle fünf mit einem Finanzminister oder einem Medienminister grundsätzlich über die Finanzierung verhandeln muss."
Heribert Corn

STANDARD: Kommenden Sonntag wählt Österreich, und damit unter vielem anderen auch die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Wie wird denn der ORF in fünf Jahren aussehen? Wird es ihn noch geben?

Wrabetz: Ziel ist, dass es den ORF gibt mit all seinen heutigen Broadcast-Programmen und dass wir zusätzlich mit dem ORF-Player als Plattform für unsere Video- und Audioinhalte einen sehr großen Teil der Österreicherinnen und Österreicher erreichen.

STANDARD: Und ist dieses Ziel realistisch?

Wrabetz: Natürlich wird das so sein. Und der ORF wird ausreichend, vernünftig und nachhaltig finanziert sein.

1. ORF-Finanzierung und GIS-Gebührenfrage: "Gerade in den aktuellen Debatten etwa um das Bundesheer zeigt sich wieder, wie wichtig es ist, den ORF budgetunabhängig zu finanzieren."

STANDARD: Die FPÖ und eigentlich auch die Bundes-ÖVP wollten in ihrer Koalition die GIS-Gebühren abschaffen und den ORF aus dem Bundesbudget finanzieren. Wie sieht denn Ihr Idealmodell dafür aus?

Wrabetz: Gerade in den aktuellen Debatten etwa um das Bundesheer zeigt sich wieder, wie wichtig es ist, den ORF budgetunabhängig zu finanzieren. Das Bundesheer zeigt gerade, wie rasch man budgetabhängig durch kurzfristige und sonstige Budgetüberlegungen deutlich weniger Geld hat. Da steht der ORF dann in unmittelbarer Konkurrenz zu Panzern und Schulen. Und er hat keine wirklich starke Budgetlobby hinter sich, weil er sich ja mit unabhängiger und eigenständiger Berichterstattung nicht nur Freunde in der Politik macht. Noch gar nicht zu reden von der durch Budgetfinanzierung sehr direkten politischen Einflussnahme.

"Alle anderen Dinge macht man dann am Ende der nächsten Legislaturperiode – Streaminglücke, Haushaltsabgabe, andere Modelle" für die ORF-Finanzierung: ORF-Chef Alexander Wrabetz hätte gern noch eine Weile die GIS, wie wir sie kennen.
Heribert Corn

STANDARD: Hätte Budgetfinanzierung nicht ganz pragmatische Vorteile für den ORF? Wenn alle über Steuern den ORF zahlen, dann zahlen – im Gegensatz zur GIS – auch Haushalte, die nur streamen. Und im ÖVP-geführten Medienministerium war die Rede von Budgetdotierung in bisheriger Gebührenhöhe und gleich für einen Zeitraum von fünf Jahren, womöglich inflationsangepasst, und berechnet und womöglich auch vergeben von einer unabhängigen Stelle. Wie klingt das?

Wrabetz: Fünf Jahre können rasch vorbei sein. Ich habe beim ORF zweimal Budgetfinanzierung miterlebt. 1999 hat der Gesetzgeber beschlossen, dem ORF die Gebührenbefreiungen abzugelten. Noch bevor die Abgeltung erstmals ausbezahlt wurde, war sie auch schon wieder von Finanzminister Karl-Heinz Grasser gestrichen unter dem Motto, den Staatshaushalt zu konsolidieren. 2010 bis 2013 haben wir tatsächlich einen Teil der Befreiungen abgegolten bekommen – und auch das wurde nicht verlängert. Das bestätigt meine These, dass es sehr schwer ist, Budgetfinanzierung wirklich langfristig sicherzustellen.

STANDARD: Das ideale Modell ist also: wie jetzt weiterhin GIS-Gebühr?

Wrabetz: Natürlich ist die Streaminglücke ein Thema. Aber derzeit haben wir stabile Gebühreneinnahmen mit kontinuierlich wachsenden Teilnehmerzahlen. Bevor solche Debatten in Phasen des Wahlkampfs und der Regierungsbildung eine falsche Richtung nehmen, plädiere ich: Konzentrieren wir uns in einer ersten Phase einer ORF-Novelle auf das, was das Land, der ORF und sein Publikum brauchen – ein umfassendes Digitalisierungspaket. Alle anderen Dinge macht man dann am Ende der nächsten Legislaturperiode – Streaminglücke, Haushaltsabgabe, andere Modelle. Was nicht geht: dass man alle Jahre, alle zwei oder alle fünf mit einem Finanzminister oder einem Medienminister grundsätzlich über die Finanzierung verhandeln muss.

2. ORF 1, Quoten und Privatisierung: "Ich kann nicht ausschließen, dass wieder jemand auf die Idee kommt, unsere Flotte zusammenzustutzen oder Teile davon irgendjemandem zu versprechen wie 2017 auf Ibiza."

STANDARD: Der ÖVP-Entwurf für ein neues ORF-Gesetz soll keine konkreten Vorgaben mehr machen, wie viele und welche TV-Kanäle, Radioprogramme und Onlineangebote der ORF haben muss. Sondern: Der ORF soll so viele Kanäle und Plattformen betreiben, wie für den öffentlich-rechtlichen Auftrag nötig sind. Was halten Sie davon?

Wrabetz: Das kenne ich aus der deutschen Debatte über Rundfunkgebühren: Die Politik will die Gebühren nicht mit der Inflation erhöhen – und ARD und ZDF sollen selbst entscheiden, welche Körperteile sie sich abhacken, weil ihnen in ein paar Jahren ein bis zwei Milliarden Euro fehlen.

STANDARD: Also wenig Begeisterung? Man könnte das ja auch als neue gesetzliche Freiheit sehen.

Wrabetz: Ich halte davon nichts – und auch die EU hat eine genaue Definition des Angebots verlangt. Das ist ein Einfallstor für Privatisierungen. Erst vorige Woche hat mir ein Wissender gesagt: Wenn unser ORF-Gesetz gekommen wäre, hättest du dir die aktuelle Debatte über die Verjüngung von FM4 damit schon erspart. Natürlich gibt es Begehrlichkeiten, uns Sender wegzunehmen. Und eine solche Bestimmung macht natürlich Budgetfinanzierung noch angenehmer: Wir geben euch nur noch 80 Prozent der Mittel – und ihr entscheidet völlig frei und unabhängig, welches Angebot ihr deshalb streicht. Ich bin also im Gegenteil für eine Erweiterung des bisherigen Auftrags, nämlich um – zusätzlich – einen Generalauftrag für ein digitales Zugangsportal für öffentlich-rechtliche Inhalte, also den ORF-Player.

STANDARD: Ihr Wunschprogramm ist auch in fünf Jahren ein ORF mit allen bisherigen TV- und Radiokanälen. Wird ORF 1 tatsächlich in fünf Jahren noch beim ORF sein, oder auch Ö3 und FM4?

Wrabetz: Sie meinen: wenn heuer ein Ibiza-2-Paket vereinbart wurde, das wir noch nicht kennen? Ich kann nicht ausschließen, dass wieder jemand auf die Idee kommt, unsere Flotte zusammenzustutzen oder Teile davon irgendjemandem zu versprechen wie 2017 auf Ibiza. Aber ich werde alles tun, dass es bei unserer heutigen Flotte bleibt – plus einem ORF-Player. Wir werden deutlich machen, dass öffentlich-rechtlicher Rundfunk nur mit einer gewissen Bandbreite auch von linearen Programmen funktionieren kann. Nur dann kann er den Auftrag umfassend und breit gefächert erfüllen.

STANDARD: ORF 1 müht sich als Fernsehsender doch sichtlich, ein jüngeres Publikum anzusprechen und zu halten. Würde man die Zielgruppe nicht viel besser mit Streamingangeboten erreichen als mit klassischem Fernsehen? Player statt ORF 1?

Wrabetz: ORF 1 erreicht jeden Tag knapp zwei Millionen Zuschauer, mehr als fast alle anderen Medien und TV-Sender. So eine Plattform aufzugeben ist für mich keine Option. Und sie aufzugeben macht's auch nicht leichter. Rein digitaler Ersatz funktioniert nicht – das haben wir bei BBC 3 oder dem deutschen Social-Media-Angebot Funk gesehen.

STANDARD: Es braucht ORF 1 also als Fernsehkanal für ein jüngeres, urbaneres Publikum.

Wrabetz: Ja, und ORF 1 ist zudem unsere wichtigste Plattform für Sport, für einen großen Teil unserer Fiction, für Comedy. Die Inhalte für die Zielgruppen braucht man ja ohnehin auf jedem Ausspielkanal, und die Kosten für die Verbreitung sind vernachlässigbar. Da ist es besser, die Inhalte auch linear auszustrahlen.

"Aber es verschlechtert sich ja nichts mit den neuen Programmen – es wird nur noch nicht in wünschenswertem Ausmaß verbessert." ORF-Chef Wrabetz über die ersten Umbauten in ORF 1.
Heribert Corn

STANDARD: Die Quoten von ORF 1 entwickeln sich auch nach den ersten Reformschritten nicht sehr befriedigend, und damit auch die Werbeeinnahmen. Wann werden Sie nervös?

Wrabetz: Natürlich: Würden manche Dinge besser gelingen, wäre das gut für die Werbeeinnahmen. Aber es verschlechtert sich ja nichts mit den neuen Programmen – es wird nur noch nicht in wünschenswertem Ausmaß verbessert. Man muss sich das Produkt für Produkt anschauen und fragen, ob das richtig überlegt ist. Und: Was kann man tun, um das Ganze zu entwickeln? Die Neuerungen haben erst vor ein paar Monaten begonnen. Man muss daran hart arbeiten und dranbleiben, niemand lehnt sich da zurück. Dann wird das schon ...

STANDARD: Und wie steht ORF 1 da, wenn es einmal geworden ist – also: Was ist das Ziel? Mehr Österreich, mehr Eigenproduktion, weniger Kaufserien, aber unterwegs kein Publikum verlieren?

Wrabetz: Wir ersetzen amerikanische Serien und Filme durch Eigenproduktionen – aus unternehmenspolitischen Gründen und weil die Attraktivität dieser Programme sinkt. Eigenproduktionen kosten mehr, also sollten sie tendenziell mehr bringen. Und sie sollen der allgemeinen Erosion so entgegenwirken, dass die Quoten stabil bleiben. Es wäre – mit unseren Mitteln – vermessen zu sagen, wir können die Quoten von ORF 1 maßgeblich steigern. Es ist der zweitstärkste Sender in Österreich, und das soll gut und stabil so bleiben.

STANDARD: Die gemeinsamen Marktanteile von ORF 1 und ORF 2 sind 2019 schon mehrfach unter die 30-Prozent-Marke gefallen, die früher als Grenzwert für Relevanz galt. Wo ist für Sie die Grenze?

Wrabetz: Unsere Tagesreichweiten um 50 Prozent sind wichtiger als Marktanteile. Aber um die 30 Prozent Marktanteil sind schon der richtige Wert für die nächsten zehn Jahre. Wir sehen gerade in unserer Information, dass es geht: Wir haben mit unseren Formaten derzeit All-Time-High-Werte. Das zeigt: Mit gutem Livecontent funktioniert das.

"Ich kann und will die Politiker nicht davon abhalten, selbst zu Streamingformaten zu gehen, von deren Existenz nicht einmal ich wusste." Alexander Wrabetz über die Vielzahl der TV-Wahlformate.
Heribert Corn

STANDARD: Die Vielzahl von Wahlformaten und -konfrontationen bei ORF und Privaten ist manchen allerdings auch schon zu viel.

Wrabetz: Beim ORF scheint es nicht zu viel zu sein: Bei uns läuft rund ein Viertel der Formate zur Wahl – aber 75 Prozent der davon tatsächlich gesehenen Sendeminuten kommen vom ORF.

STANDARD: Was halten Sie von gemeinsamen Runden von ORF und Privaten?

Wrabetz: Ich kann und will die Politiker nicht davon abhalten, selbst zu Streamingformaten zu gehen, von deren Existenz nicht einmal ich wusste. Aber eine Dualität – einmal öffentlich-rechtlich, einmal privat wie bei der "Elefantenrunde" – würde viel von diesem Arbeitsleid der Politiker lösen. Ich glaube, das Angebot ist weltweit einzigartig. Unsere Erfindung und langjährige Tradition des Jeder-gegen-jeden wird nun von den Privaten vervielfacht.

STANDARD: Sie können sich zurücklehnen und sich sagen: Bei uns schauen die Konfrontationen derselben Personen vielfach mehr als bei den Privaten.

Wrabetz: Sechs- bis zehnfach mehr. Es gibt eben eine Plattform, der die Menschen vertrauen und wo sie ein gewisses Qualitätsniveau und eine Verlässlichkeit gewohnt sind. Das widerspricht auch den oft gehörten Thesen, die Sender spielten immer weniger Rolle im Fernsehen.

STANDARD: Wie viel teurer ist denn das neue ORF 1 gegenüber dem alten ORF 1?

Wrabetz: Das sind schon einige Millionen Euro. Aber die Dimensionen sind nicht komplett andere.

3. Die Forderungen der Privatsender für den ORF: "Offenbar wollten sie da einen gewissen Sadismus ausleben: Wie kann man den ORF quälen, was dem ORF wie abhacken?"

STANDARD: Die Privatsender wollen die ORF-Einkaufsbudgets für Premiumsport und für außereuropäische Kaufserien und -filme per Gesetz auf 35 Millionen Euro pro Jahr begrenzt wissen. Wie viel geht sich damit noch aus?

Wrabetz: Mir scheint, Markus Breitenecker (ProSiebenSat1Puls4) und Ernst Swoboda (Kronehit) haben da einen lustigen Abend gehabt. Ich weiß nicht, was sie zu sich genommen haben, aber es muss sehr heiter gewesen sein. Offenbar wollten sie da einen gewissen Sadismus ausleben: Wie kann man den ORF quälen, was dem ORF wie abhacken? Und dann musste das die Geschäftsführerin des Privatsenderverbands in ein scheinbar medienpolitisches Papier verpacken. Ehrlicher, als das auf 25 Seiten auszuwalzen, wäre ein Satz gewesen: Abschaffung des ORF.

STANDARD: Also: In dem von den Privatsendern geforderten Rahmen ist kein sinnvoller ORF mehr möglich?

Wrabetz: Breitenecker und Swoboda sind ja Profis, sie wissen, wie abstrus sie formulieren. Man kann Sender nicht so programmieren, wie sie das per Gesetz vorgeben wollen. Daher formulieren sie ihre Forderungen so, dass alle Sender des ORF kaputt sind, wenn solche Vorgaben kommen. Man verbietet de facto nachhaltig wichtige Inhaltskategorien. Mit abstrusen Programmierungsvorgaben werden die Sender noch einmal geschwächt. Und mit Werbebeschränkungen entzieht man dem ORF so viel Geld, dass das Ganze nicht finanzierbar ist. Für einen lustigen Abend ist das schon ein ganz dichtes Programm.

STANDARD: Diese Forderungen sind also alle nicht realisierbar?

Wrabetz: Sie sind realisierbar, aber sie werden hoffentlich nicht realisiert. Ich hoffe sehr, dass das niemand aus der Politik jemandem versprochen hat. Damit würde der ORF in griechische oder ungarische Verhältnisse gebracht: In Griechenland hat man den Rundfunk gleich ganz geschlossen, um ihn ein paar Monate danach wieder aufzusperren, ohne Chance auf Erholung. Und in Ungarn wurde der öffentliche Rundfunk marginalisiert. Wenn man das will, soll man es sagen und sich der Debatte stellen.

"Ich glaube: Markus Breitenecker und Ernst Swoboda sind österreichischer Content, österreichische Musik, österreichische Filmwirtschaft wurscht, ganz vereinfacht gesagt. Es geht darum, den ORF programmiertechnisch so zu beschränken, dass sie noch mehr Geld verdienen. Das ist unternehmerisch legitim." Alexander Wrabetz über die private Konkurrenz.
Heribert Corn

STANDARD: Der ORF wäre unter den Bedingungen der Privatsender zu vergessen?

Wrabetz: Ja. So kann man nicht programmieren. Livesport ist wichtig für das Publikum. Die geforderten Werbebeschränkungen wären de facto Werbeverbote. Das Papier der Privatsender ist ärgerlich, weil es so unernst ist – und zugleich so tut, als wäre es eine ernsthafte Diskussion. Man kann ja sagen: Man möchte eine Art Monopolsituation in Österreich für die ProSieben-Gruppe, der es in Deutschland schlecht geht, und möchte als österreichischer Statthalter ein größeres Stück vom Kuchen nach Deutschland oder nach Italien zu Investor Berlusconi liefern. Das wäre ehrlich, sollte aber keine medienpolitische Kategorie sein.

STANDARD: Die Privaten verlangen 40 Prozent Österreich-Anteil im Fernsehen und 20 Prozent im Radio zwischen 6 und 23 Uhr. Geht das denn nicht für einen österreichischen öffentlich-rechtlichen Rundfunk, das weitaus größte Medienunternehmen im Land?

Wrabetz: Es gibt ja ein ganzes Bündel von Forderungen, um Ö3 zu ruinieren.

STANDARD: Das laut Privaten weniger Wortanteil als alle kommerziellen Sender hat – je Sender, nicht zusammen.

Wrabetz: Das kann man doch überhaupt nicht vergleichen. Hochwertige Information mit Korrespondentenberichten aus der ganzen Welt und vieles mehr werden hier verglichen mit irgendwelchen Gewinnspielen ... Das ist ein netter Versuch, aber nicht ernst zu nehmen. Da will Kronehit-Chef Ernst Swoboda zeigen, er richtet sich gemeinsam mit Wolfgang Fellner und dessen überregionalem Radiosender eine Art Duopolsituation ein, indem er Ö3 aus dem Weg räumt.

STANDARD: Vielleicht sollten Sie das aber doch ernst nehmen: Es könnte ja sein, dass der eine oder andere Parteichef und/oder Medienpolitiker für die Forderungen ein offenes Ohr hat.

Wrabetz: Natürlich muss man aufpassen. Die Herren sind ja sehr aktiv, und wir müssen wieder vieles erklären. Ich hatte eigentlich gedacht, wir sind darüber hinweg. Zwei, drei Jahre versicherten alle, die Medien müssten zusammenarbeiten. Es braucht einen Schulterschluss und gemeinsame Plattformen. Und parallel hat ein internationaler Konzern es geschafft, dass der ORF-Fernsehwerbemarktanteil von 84 auf 31 Prozent gesunken ist und ein Großteil des TV-Werbekuchens aus Österreich nach Deutschland fließt. Es ist nicht wahr, dass es keine Luft zum Atmen für internationale Konzerne gäbe.

STANDARD: Mindestanteile für österreichische Inhalte haben auch ÖVP, FPÖ und SPÖ im Programm.

Wrabetz: Wir haben uns längst zu österreichischen Inhalten in Musik, Film, Serie und ihrer Unterstützung verpflichtet und leben diese Verpflichtung. Ich glaube: Markus Breitenecker und Ernst Swoboda sind österreichischer Content, österreichische Musik, österreichische Filmwirtschaft wurscht, ganz vereinfacht gesagt. Es geht darum, den ORF programmiertechnisch so zu beschränken, dass sie noch mehr Geld verdienen. Das ist unternehmerisch legitim. Aber medienpolitisch nicht sinnvoll, wenn man sich auf ein duales System verständigt hat – dazu gehören eben zwei, private und öffentlich-rechtliche Medien.

4. Das Social- und Streamingprojekt des ORF: "Wenn wir nicht diese offensive digitale Plattformzukunft entwickeln können, dann hat der ORF längerfristig keine Zukunft. Genau darum geht es ja den Privatsendern."

STANDARD: Nicht wurscht ist ProSiebenSat1-Chef Markus Breitenecker jedenfalls das ORF-Großprojekt einer Social-Streaming-Plattform, des ORF-Players. Die Politik soll Ihnen den schlicht verbieten, sagt Breitenecker im STANDARD, es gebe ja schon seine App "Zappn" als gemeinsamen Austrian Player.

Wrabetz: ORF-Stiftungsrat Franz Maurer hat das gerade sehr treffend im STANDARD als "Schmarrn" bezeichnet, und ablehnend haben sich die Räte der ÖVP und der SPÖ geäußert. Jedem, der medial bis drei zählen kann, ist klar: Wenn wir nicht diese offensive digitale Plattformzukunft entwickeln können, dann hat der ORF längerfristig keine Zukunft. Genau darum geht es ja den Privatsendern.

STANDARD: Und wenn der online schon jetzt den Markt dominierende ORF freie Hand bekommt, können die Privaten einpacken – sagen die Privaten.

Wrabetz: Wir haben in den vergangenen zehn Jahren gesehen, was Beschränkungen für europäische öffentlich-rechtliche Angebote, auch des ORF, bringen. Das Resultat: Amazon, Netflix, Google dominieren den Markt. Und keine dieser Beschränkungen hat das Wachstum europäischer Pflänzchen in dem Sektor gefördert. Im Gegenteil: Wenn wir nicht seit 2010 die Sieben-Tage-Beschränkung hätten, könnten die öffentlich-rechtlichen Sender Europas längst eine videobasierte Enzyklopädie des Weltwissens schaffen.

STANDARD: Oder eben auch ein öffentlich-rechtliches Netflix gegen die Privaten.

Wrabetz: Ich finde es ja gut, wenn auch die Privaten draufkommen, dass sie Plattformen brauchen, womöglich gemeinsame. Aber selbst bei ProSiebenSat1 scheinen die Investoren nicht davon überzeugt zu sein, dass hohe zweistellige Millionenbeträge pro Jahr für Joyn eine so gute Idee sind. Glauben Sie wirklich, dass diese Projekte deswegen ein europäischer Erfolg werden, weil der ORF seinen Player nicht machen darf? Ich bin erstaunt über die geringe Ernsthaftigkeit dieser Diskussion.

STANDARD: Aber wäre ein gemeinsamer Player von ORF und Privaten nicht standortpolitisch sinnvoller?

Wrabetz: Der Austrian Player, der da im Raum steht, soll natürlich nicht der ORF-Player sein, bei dem die Privaten mitmachen können. Wir müssen unseren ORF-Player mit seinen Modulen entwickeln können; und wir müssen ihn offen konstruieren für ein gemeinsames Login, wechselseitige Empfehlungen, gemeinsame Vermarktung mit anderen Angeboten von privaten Anbietern. Das ist für mich der Austrian Player. Ich bin für Zusammenarbeit auf Augenhöhe.

STANDARD: Kurzum: Der ORF möchte seine Streamingaktivitäten nicht auf eine ProSiebenSat1-Plattform konzentrieren.

Wrabetz: Nicht nur der ORF. Ich schaue mir an, wie Wolfgang Fellner reagiert, wenn er mit Oe24TV auf Joyn gehen soll. Oder umgekehrt: Würde Fellner Puls 24 auf seine Plattform einladen – und was würde Markus Breitenecker davon halten?

STANDARD: Aber es gibt international gemeinsame Plattformen, auch von Öffentlich-Rechtlichen und Privaten.

Wrabetz: Bei Salto in Frankreich oder der Britbox bringen auch die Privaten große Mengen an Fiction-Eigenproduktionen ein. Das – auf Augenhöhe – zu bündeln ergibt schon Sinn. Wir in Österreich, aber auch in Europa müssen so realistisch sein, dass wir ein Netflix oder ein Amazon Prime oder Disney+ schwer zustande bringen. Beim ORF-Player steht für mich sehr stark Information im Vordergrund, Diversität von Programmen aus Kultur und Wissenschaft. Das wird kein reines Fictionportal. Ich appelliere, nach den generell turbulenten Vorwahlzeiten wieder an den Gesprächstisch zurückzukehren und gemeinsam mit Zeitungsherausgebern und Privatsendern an einer modernen Medienordnung zu arbeiten, die das Gemeinsame über das Trennende stellt.

STANDARD: Vom Player werden wir als Erstes den Social-Programmführer im ersten Quartal 2020 sehen?

Wrabetz: Noch heuer kommt die Radiothek mit eigenen regionalen Angeboten auch für alle Bundesländer. Und der langersehnte Program Guide kommt nun wirklich Anfang 2020.

5. Zores in ORF-Personalfragen – Bernhofer, Brunhofer, Strobl, multimediales Arbeiten und der künftige ORF-Vorstand: "Je nach Größe und Zusammensetzung eines Vorstands wird es schwieriger, das Unternehmen zu führen. Für das Unternehmen ist das jedenfalls kein Vorteil."

STANDARD: Die ersten Ressorts und Abteilungen im ORF – Wetter, Religion, Wissenschaft – sollen nun multimediale Zusammenarbeit proben, bis der gemeinsame Newsroom für TV, Radio, Online und Co 2021 fertig ist. Und bei allen gibt es schon jetzt Zores. Die Radiowetterleute fragen sich, warum sie schon jetzt von ihrem Sender wegsollen, was alles nur komplizierter macht. Die Radioreligion ist besorgt, weil sie dem Fernsehen zugeordnet wird ...

Wrabetz: Die Wahrheit ist immer konkret. Jetzt haben sich alle an den Gedanken gewöhnt, dass sie künftig multimedial arbeiten, und das auf dem Küniglberg. Aber wenn erstmals jemand tatsächlich ins ORF-Zentrum übersiedeln soll oder organisatorisch neu zugeordnet wird, ist das was anderes, dann gibt es plötzlich wieder Vorbehalte, die wir ausräumen werden. Diese beiden Bereiche sind gut und richtig gewählt. Die Mitarbeiter zeigen hohe Bereitschaft zum multimedialen Arbeiten, die Führungskräfte wollen das. Und bei der Wetterprognose ist Pluralität auch kein sinnvolles Ziel. Wir lernen jetzt aus den Erfahrungen dieser ersten Abteilungen, damit das auch insgesamt ein Erfolg wird. Die Aufregung hier war eine konstruktive und ernsthafte: Es geht nicht um das Ob, sondern darum, wie man das gescheit macht.

STANDARD: Warum haben Sie sich für Martin Bernhofer, den bisherigen Ö1-Wissenschaftschef, als neuen Senderchef von Ö1 entschieden?

Wrabetz: Ich vertraue auf sehr erfahrene Führungskräfte aus der Ö1-Struktur. Ö1 ist ein Erfolg, läuft gut. Es gibt keinen Grund für radikale Veränderung.

STANDARD: Warum bekommt Pius Strobl eigentlich so viele Aufgaben – ein 300-Millionen-Bauprojekt ORF-Zentrum, Facility-Management, Sicherheit, Humanitarian Broadcasting, Mutter Erde ...?

Wrabetz: Wir haben am Beginn des Bauprojekts gelernt, dass es nicht klug ist, ein solches Vorhaben auf mehrere Direktionen und Abteilungen aufzuteilen. Das muss aus einer Hand geführt werden, das sind sehr verwandte Aufgaben. Deshalb ist das Projekt jetzt auch gut unterwegs und im Plan. Und von der Barrierefreiheit, die ja auch mit baulichen Aspekten zu tun hat, ist es nicht weit zu Social Responsibility und Humanitarian Broadcasting, von der Nachhaltigkeit beim Bau nicht weit zu Mutter Erde.

"Derzeit bin ich Vorstand. Der Vorstand besteht derzeit aus einer ungeraden Zahl kleiner als drei." ORF-Alleingeschäftsführer Wrabetz über einen Vorstand für den ORF.
Heribert Corn

STANDARD: Vielleicht noch eine Grundsatzfrage, wo wir schon beim Bauprojekt sind. Was hat der Gebührenzahler eigentlich davon, dass der ORF seine Firmenzentrale um 300 Millionen Euro saniert und erweitert?

Wrabetz: Erstens klingen 300 Millionen viel, man muss aber sehen, dass das ein Bau-Investment ist, das über Jahrzehnte abgeschrieben wird, das heißt, das belastet den ORF im operativen Budget relativ gering. Auch das bestehende Gebäude wurde in der Vergangenheit abgeschrieben. Zwei Drittel der 300 Millionen sind Sanierung der Bestandsbereiche, ein Drittel der Neubaukomplex, vereinfacht gesprochen. Beim Bestand muss man nach 40 Jahren etwas tun – vor allem wenn man aus Kostengründen dort eine Zeitlang gespart hat. Und wenn man es schon tut, muss man das mit einer Modernisierung verbinden. Und die Neubaubereiche sollen verbessertes Arbeiten und mehr Produkt fürs gleiche Geld für das Publikum bieten. Wir hätten im Funkhaus aufwendig sanieren müssen – und hätten die Verkaufserlöse nicht. Dafür bekommt man einen zukunftsträchtigen Medienstandort, ich denke, das sind betriebswirtschaftliche Notwendigkeiten und kann man gut argumentieren.

STANDARD: Einer der beliebtesten Namen im ORF neben Pius Strobl ist Roland Brunhofer. Der ehemalige Salzburger ORF-Landesdirektor prozessiert gerade gegen den ORF, weil er ihm aus seiner Sicht aus politischen Gründen keinen adäquaten Job gibt. Donnerstag dieser Woche soll der Prozess in Steyr fortgesetzt werden. Wie lösen Sie dieses Problem?

Wrabetz: Ich kann mich damit nicht im Detail beschäftigen, das machen unsere Anwälte.

STANDARD: Aber als ORF-Geschäftsführer sind Sie für die Jobvergabe verantwortlich.

Wrabetz: Das ist eine arbeitsgerichtliche Auseinandersetzung, zu der ich grundsätzlich nichts sage. Jedes öffentliche Wort dazu ist schlecht für das Unternehmen.

STANDARD: Kommen wir – eh auch eine Personalfrage – noch einmal zur Fünfjahresperspektive und zum ORF-Gesetz. Das soll statt des Alleingeschäftsführers einen Vorstand einsetzen zur Führung des ORF. Was wäre denn der perfekte Vorstand für den ORF aus Ihrer Sicht, einmal abgesehen von einem Vorstandsvorsitzenden Wrabetz?

Wrabetz: Die Alleingeschäftsführung nach dem Intendantenprinzip ist das Richtige für ein öffentlich-rechtliches Unternehmen wie den ORF. Je nach Größe und Zusammensetzung eines Vorstands wird es schwieriger, das Unternehmen zu führen. Für das Unternehmen ist das jedenfalls kein Vorteil. Es kann ein großer Nachteil sein oder ein kleiner. Und wenn, wie Herr Jenewein es genannt hat, "Schräubchen" im Vorstand installiert werden, wird es besonders schwer.

STANDARD: Sie würden sich für einen ORF-Vorstand bewerben?

Wrabetz: Derzeit bin ich Vorstand. Der Vorstand besteht derzeit aus einer ungeraden Zahl kleiner als drei. (lacht)

STANDARD: Und unter diesen Bedingungen würden Sie auch nach 2021 weitermachen?

Wrabetz: Die Frage stellt sich nicht. Ich bin gerade in der Mitte der Geschäftsführungsperiode.

STANDARD: Und Sie werden die volle Funktionsperiode aus heutiger Sicht durchdienen?

Wrabetz: Ja, wenn eine neue Regierung nicht zuallererst auf den ORF zugreift. (Harald Fidler, 24.9.2019)