Die Maienkönigin hat wenig Grund zum Lachen: Florence Pugh in Ari Asters ungewöhnlichem "Midsommar".

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Hilft Weinen gegen den Schmerz einer abrupten Trennung? Im Fall von Dani (Florence Pugh) muss man das negativ beantworten. Die bloße Erwähnung ihres Traumas genügt, um bei der jungen Frau die Tränen emporsteigen zu lassen. Ihre Familientragödie steht am Anfang von Midsommar, und sie bietet US-Regisseur Ari Aster eine erste Gelegenheit, sein Geschick in der Form eines morbiden Tableaus zu demonstrieren. Von den Auspuffrohren in der Garage über das Schlafzimmer mit den erstickten Eltern bis zur Todesfratze der Schwester lüftet die Kamera eine Szenerie des Grauens.

Wahrlich ein schwer verdaubares Geschehen. Wie bereits in seinem erstaunlichen Debüt Hereditary (2018) geht es Aster auch in seinem Nachfolgefilm nicht um Schrecken auf Knopfdruck, sondern um ein tiefgründigeres Zusammenwirken von Trauer und Horror. In den USA verbucht man den 33-jährigen neben Kollegen wie Jordan Peele (Us) deshalb neuerdings unter dem Begriff "elevated horror" – auf Deutsch könnte man sagen: Horror für Feinspitze. Natürlich ist das auch ein Versuch, allen, die gegenüber dem Genre Vorbehalte hegen, eine edlere Einladungskarte auszustellen. Man bekommt mehr als die übliche Dosis Angst auf Rezept.

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Aster mag ein Trickser sein, der weiß, mit welchen Mitteln man Aufmerksamkeit schafft. Was hält man von jemandem, dessen Abschlussfilm am American Film Institute von einem Vater handelte, der von seinem eigenen Sohn sexuell drangsaliert wird? Midsommar hat er dagegen kontrapunktisch in die Nähe des "Break-up-Movies" gestellt, mithin von Filmen, die vom herausgezögerten Ende einer Beziehung erzählen.

Ganz von der Hand zu weisen ist das nicht: Dani, die gepeinigte Heldin, hat einen Freund, Christian (Jack Reynor), der ihr keine große Stütze ist. Statt die Freundin zu trösten, will er lieber mit seinen Kumpels vom Anthropologieseminar nach Schweden reisen. Am Ende kriegt er es doch nicht übers Herz und lädt sie zum Männertrip hinzu. Trauer und Beziehungsstress bilden damit die Metaebene für das kathartische Spektakel, das der Film in der Ferne einlöst.

Schweden existiert in Midsommar dann nur als abgeschiedene Enklave in der Natur. Die Sommersonnwendfeierlichkeiten stehen vor der Tür. Die in weiße Gewändern gehüllten Ortsansässigen verabreichen sich magische Kräuter, ihre heidnischen Rituale verfolgen sie jedoch mit heiligem Ernst – und mit apokryphen Ausschweifungen. Das wird spätestens beim zeremoniellen Abschied von den Dorfältesten klar. Um es allgemein zu sagen: Der Tod hat in dieser Kommune einen weniger tabuisierten Stellenwert als in der westlichen Welt. Es beginnt alles wieder von vorne!

Stufe um Stufe bizarrer

Ari Asters Originaldrehbuch – das sich offen auf der Spur von "Folk-Horror"-Klassikern wie The Wicker Man bewegt – setzt nicht zwanghaft darauf, Neuland abzustecken. Seine Akzente findet er vielmehr im filmisch hervorgehobenen Detail. Auf fast unspektakuläre Weise, oft im Off der Bilder entledigt er sich der ohnehin oberflächlich hedonistisch gezeichneten US-Jungmänner. Gar nicht sattinszenieren kann er sich dagegen an den Abläufen im Dorf, die Stufe um Stufe bizarrer anmuten. Stur bleibt Pawel Pogorzelskis Kamera auf die Durchführung von Choreografien gerichtet, zu denen auch Aufgaben der Reproduktion gehören. Und alles vollzieht sich bei heiterem Tageslicht.

Midsommar ist mehr ein böses Märchen als gängiger Horror. Das Unbehagen ist impliziter Natur, es entsteigt der verbindlichen Freundlichkeit einer Sippe mit geheimer Mission. Aster lässt sich viel Zeit für die Exekution seiner Mausefalle (der Film dauert 140 Minuten). Sein Gespür für uneindeutige Atmosphären und visuelle Auflösungen ist ungebrochen hoch. Den Wahnwitz von Hereditary erreicht der Film dennoch nicht ganz. Wie viel an dem Brimborium Schaulaufen ist, bleibt ungewiss. Die Katharsis, die Reinigung aller Affekte, verabreicht er jedoch hintersinnig. Das "final girl" kommt auf einer überraschenden Seite zu sich. (Dominik Kamalzadeh, 25.9.2019)