Journalisten beklagen zunehmenden Druck auf den öffentlich-rechtlichen Bulgarischen Nationalen Rundfunk.

Grafik: BNR

Sofia – Journalisten des öffentlich-rechtlichen Bulgarischen Nationalen Rundfunks (BNR) haben vor vermehrter politischer Einflussnahme gewarnt. Anlass war eine kurzfristige Entlassung der regierungskritischen BNR-Moderatorin Silvia Velikova – die Intendanz hatte sie nur wenige Stunden vor ihrer Sendung vor die Tür gesetzt, um sie dann wieder zurückzuholen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt.

"Auf stumm schalten"

"Vier verschiedene Leute haben mich angerufen, um dich auf stumm zu schalten" – das habe der erst im Juli gewählte Intendant des BNR, Swetoslaw Kostow, der populären Reporterin und Radiomoderatorin Velikova nach ihren Angaben bei einem vertraulichen Gespräch am Donnerstag vor zwei Wochen in einem Park gesagt. Und weiter zitierte Velikova ihren Vorsitzenden: "Ich oder du – darum geht es. Wenn du nicht gehst, fliege ich raus, ich finde keinen Job mehr, meine Kinder werden verhungern." Das Morgenmagazin am darauffolgenden Freitag durfte Velikova nicht mehr moderieren. Aus bisher ungeklärter Ursache wurde in der dreistündigen Sendezeit des Morgenmagazins der FM-Empfang des öffentlich-rechtlichen Radiosenders zum ersten Mal seit seiner Gründung 1935 landesweit abgeschaltet.

Kostow erklärte in einem offenen Brief diese Woche, er habe die Meinungsfreiheit im öffentlich-rechtlichen Sender "in keiner Weise eingeschränkt". In seiner Stellungnahme geht der BNR-Chef jedoch auf keinen der konkreten Vorwürfe der politischen Einflussnahme ein.

Die Journalistin gab bei einer Anhörung durch den Rundfunkrat an, sie wisse nicht, wer den Intendanten kontaktiert habe. Ihre Vermutung sei, dass ihre geforderte Absetzung im Zusammenhang mit der bevorstehenden Wahl des neuen Generalstaatsanwalts Ende Oktober stehe.

Offene Kritik

Sie hatte als für die Justiz zuständige Reporterin den Wahlvorgang offen kritisiert. Für den einflussreichen Posten steht nur ein Kandidat zur Wahl – und zwar der aktuelle, stellvertretende Generalstaatsanwalt Iwan Geschew, der als regierungsnah gilt. Seit Wochen gehen Menschen in Sofia und anderen Großstädten Bulgariens gegen die "intransparente Nominierung" und "vorentschiedene Wahl" auf die Straße.

Die Einschätzung Velikovas teilte auch die renommierte Medienwissenschaftlerin Nelly Ognjanowa. "Der Posten des Generalstaatsanwalts ist zweifelsohne sehr wichtig für die Festigung der Macht im Staat. Daher auch der Druck, just jene Reporterin auf stumm zu schalten, die über das Justizsystem berichtet. Man will, dass der BNR nicht mehr kritisch und objektiv berichtet", kommentierte die Expertin.

Mittlerweile hat sich auch die Staatsanwaltschaft eingeschaltet. Sie ermittelt wegen der dreistündigen Abschaltung des öffentlich-rechtlichen Radios, das in Bulgarien als Informationsquelle Bestandteil des Systems für nationale Sicherheit ist, in Sachen Amtsmissbrauch. Auch die von den Journalisten erhobenen Vorwürfe des politischen Drucks auf den öffentlich-rechtlichen Sender sollen untersucht werden.

Parlamentarischer Untersuchungsausschuss gefordert

Die oppositionellen Sozialisten fordern die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses. Selbst Ministerpräsident Bojko Borissow unterstützte den Vorstoß, nachdem Abgeordnete seiner Partei die Forderung der Opposition zunächst als "überflüssig" abgelehnt hatten. Der Politikwissenschaftler Dimiter Ganew begründete den Schwenk des Vorsitzenden der konservativen GERB: "Borissow braucht wirklich keinen Skandal in der heißen Wahlkampfphase."

Denn zwei Tage nach der geplanten Wahl des Generalstaatsanwalts finden am 27. Oktober in Bulgarien Kommunalwahlen statt. Es wird ein erbitterter Kampf um die Hauptstadt Sofia erwartet, wo der bürgerlichen Regierungspartei GERB droht, die Wahl zum ersten Mal seit 2005 zu verlieren. Politische Beobachter sehen die Kommunalwahlen als Test für die Regierung Borissows, dessen Popularität allmählich schwindet. Eine Wahlschlappe in Sofia, wo ein Drittel der Bevölkerung lebt, könnte die Stimmung im ganzen Land kippen.

Der Bulgarische Nationale Rundfunk wird zwar aus dem Staatsbudget finanziert, gilt allerdings als letzte Hochburg des freien, professionellen und glaubwürdigen Journalismus in dem südosteuropäischen EU-Land. "Wir sind ein Dorn im Auge der Regierenden, weil für uns die objektive Berichterstattung schon immer oberstes Gebot war. Und so wird es auch bleiben", sagten Journalisten des BNR bei ihrem spontanen Protest nach dem Vorfall mit Velikova. Unterstützt wurden sie dabei auch von Kolleginnen und Kollegen von anderen Medien, sie sehen die mutmaßliche Einmischung in die Redaktionspolitik des Radiosenders als einen erneuten Versuch, die Pressefreiheit in Bulgarien einzuschränken.

Investigativjournalisten zur Kündigung gezwungen

Seit Jahresbeginn wurden drei bekannte Investigativjournalisten des drittgrößten Fernsehsenders, nach eigenen Angaben zu ihrer Kündigung gezwungen worden. Die private TV-Anstalt Nova TV wechselte ihren Eigentümer und ist nun im Besitz eines Geschäftsmanns, der als regierungsnah gilt.

Im jährlichen Ranking von Reporter ohne Grenzen (ROG) belegt Bulgarien den 111. Platz und ist damit Schlusslicht in der EU. Die Korruption und das nicht funktionierende Gerichtssystem werden von der internationalen Organisation als Hauptgrund für die eingeschränkte Pressefreiheit genannt. Ein zentrales Problem ist demnach auch die Monopolstellung bestimmter Zeitungen, hinter denen der Geschäftsmann und Parlamentsabgeordnete Deljan Peewski stehen soll. Die teilweise ungeklärten und intransparenten Eigentumsverhältnisse auf dem Zeitungsmarkt werden im diesjährigen Bericht von ROG ebenfalls kritisiert. Kritik übte die Organisation an der Vorgehensweise des BNR gegen Velikova. (APA, 25.9.2019)