Berlin – Ein Turm in der Mitte Berlins ist zum Symbol des wiedervereinigten Deutschland geworden. Anfang Oktober 1969 zum 20. Jahrestag der DDR eröffnet, sollte der Fernsehturm auch die Leistungskraft des Sozialismus demonstrieren. Nach dem Mauerfall blieben die Besucher nicht aus.

Echte Schildkrötensuppe für 3,30 Mark (Ost), Kaffee französisch im Glas für 4,90 oder sowjetischer Wodka – etwas Besonderes mit dem Hauch von weiter Welt sollte den Besuchern des neuen Ost-Berliner Tele-Cafes in 207 Metern Höhe geboten werden. Auf der Speisekarte zur Eröffnung des Fernsehturms vor 50 Jahren am 3. Oktober 1969 wünscht das Jugendkollektiv des Cafes "seinen verehrten Gästen einen angenehmen Aufenthalt". Ostdeutsche standen im Zentrum der DDR-Hauptstadt Schlange, Touristen ebenso. Der Clou: Das Cafe in der charakteristischen Kugel des über 360 Meter hohen Turms bis zur Antennenspitze bewegte sich in der Regel in einer Stunde einmal um sich selbst.

"Telespargel" nannten DDR-Bürger liebevoll-spöttisch den über 360 Meter hohen Fernsehturm in Berlin.
Foto: imago images / Metodi Popow

Das ist auch heute noch so – anders ist aber, dass Besucher mehr als eine Runde drehen dürfen. Und das einstige Tele-Cafe heißt jetzt Restaurant Sphere. Ohne Delle nach dem Mauerfall sei aus dem DDR-Vorzeigeprojekt ein gesamtdeutsches Wahrzeichen geworden, sagt der junge Leiter des Besucher-Service, Stephan Vogel. "Ist eine Ehre, in einem so geschichtsträchtigen Objekt zu arbeiten", bekennt der 31-Jährige. Von hier aus habe man damals über die Mauer nach West-Berlin schauen können, weiß Vogel, der diese Zeit nicht miterlebt hat.

Etwa 60 Millionen Besucher kamen seit der Eröffnung. Der Fernsehturm gilt als das höchste Bauwerk Deutschlands. Derzeit kämen pro Jahr etwa 1,6 Millionen Interessierte, so der gelernte Tourismus-Kaufmann. Sie speisen in luftiger Höhe, trinken Kaffee oder entdecken eine Etage tiefer im Panoramadeck pur die deutsche Hauptstadt von oben. Ost oder West spiele keine Rolle mehr, sagt Vogel. Er erzählt aber, dass schon mal die Frage gestellt wurde, ob ein Teil der Fenster früher undurchsichtig gewesen sei – wegen der West-Sicht.

Vier Jahre Bauzeit für ein Prestigeprojekt

Es ist wohl ein Zufall der Geschichte, dass der Jahrestag der Deutschen Einheit und das Fernsehturm-Jubiläum zusammenfallen. Der "Telespargel" – so die ostdeutsche Wortschöpfung laut Zentral- und Landesbibliothek – wurde nach knapp vier Jahren Bauzeit nahe dem Alexanderplatz am 3. Oktober wenige Tage vor dem 20. Jahrestag der DDR (7. Oktober) eröffnet. "Der Fernsehturm sollte auch die Leistungsfähigkeit der DDR zeigen", sagt Pressesprecher Dietmar Jeserich.

Anfangs sollte der Sendeturm für das DDR-Fernsehen am Stadtrand in den Müggelbergen gebaut worden – bis die DDR-Oberen feststellten, dass er dann in der Einflugschneise des Flughafens Schönefeld stehen würde. Den neuen Standort soll dann SED- und DDR-Staatschef Walter Ulbricht persönlich festgelegt haben. Der passte dann auch bestens zur sozialistischen Neugestaltung des Alexanderplatzes gleich nebenan. Dort wurde wenige Tage vor dem Fernsehturm die spektakuläre Weltzeituhr mit einem Modell des Sonnensystems der Öffentlichkeit übergeben (30. September 1969).

Antrieb aus Trabant-Getriebe

Das Werk des DDR-Formgestalters Erich John steht ebenfalls unter Denkmalschutz und ist bis heute ein beliebter Treff. John erinnert sich, es sei fast unmöglich gewesen, sich auf ein solches Projekt einzulassen. Kugellager hätten aus dem Westen beschafft werden müssen, als Antrieb sei ein Trabant-Getriebe umgebaut worden. Seine Uhr sei ein Gegenkonzept zur nicht offenen Gesellschaft gewesen, so John.

Auch beim Fernsehturm ging es ums Material. Der Stahl sei aus Schweden eingekauft worden, auch Techniker aus dem Land seien nach Ost-Berlin gekommen, sagt Sprecher Jeserich. Um das innenliegende Metallgerüst wuchs dann laut Fernsehturm-Website der äußere Betonschaft. Die Kugel habe an sowjetische Sputnik-Satelliten erinnern sollen. Deren Segmente seien per Kran hinaufgehievt worden.

Baukosten vier Mal höher als geplant

Laut DDR-Museum wurden 8.000 Kubikmeter Beton verbaut. Und der Bau sei mit 132 Millionen DDR-Mark mehr als viermal teurer geworden als ursprünglich geplant. Die SED-Parteizeitung "Neues Deutschland" schrieb damals, an dem "Wunderwerk der Technik" hätten mehr als 300 Betriebe mitgearbeitet.

Doch eine Sache machte den DDR-Oberen zu schaffen. Durch eine Reflexion sei auf der Kugel ein Kreuz zu erkennen gewesen, plaudert der Sprecher. Es sei versucht worden, andere Materialien einzusetzen, das Ganze zu streichen – das Kreuz sei geblieben. Über die "Rache des Papstes" sei viel gespöttelt worden.

Der Fernsehturm gehört heute der Deutschen Funkturm GmbH, einer Telekom-Tochter. Eine extra Gastronomiegesellschaft ist für die Besucher zuständig. Der schlanke Turm ist verewigt auf T-Shirts, Tassen und Gläsern sowie als Backform oder Babyrassel zu haben.

Prägende Kugelform zieht sich durch

Auch die prägende Kugelform findet sich überall – im Glas der Treppenbegrenzung im Eingangsbereich, im Fußboden, in Deckenelementen und Lampen. "Der Turm ist denkmalgeschützt, jede Renovierung muss abgestimmt werden", sagt Sprecher Jeserich. "Von den Glaselementen sind noch einige Originale da." Der 69-Jährige schwärmt immer wieder vom Ausblick über die Stadt. "Da können Sie jeden Dackel erkennen – und die Entwicklung der Stadt verfolgen."

In zwei Aufzügen, die in einer Sekunde sechs Meter schaffen, rauschen die Besucher nach oben. Dort ist im Restaurant Sybille Janke Restaurantleiterin, 1996 hat sie hier als Azubi angefangen. Sie sagt, damals habe man die Leerstellen nach dem Mauerfall noch erkannt. "Heute ist alles zugebaut. Aber viele wollen auch die Geschichte Berlins sehen."

Essen wird per Aufzug gebracht

Janke ist auf die Technik angewiesen. Wegen des begrenzten Platzes werde das Essen unten in einer Küche vorbereitet und dann per Aufzug gebracht. Öfter wird auch eine kulinarische Zeitreise angeboten, bei der die beliebte "Soljanka" nicht fehlen dürfe.

Auch die Getränke müssten früh vor den Besuchern in die Höhe geschafft werden, so die 42-Jährige. Gäste an 40 festgeschraubten Tischen werden bedient, während in dem sich drehenden Restaurant immer neue Aussichten vorbeiziehen. Die Berlinerin Janke weiß ihren "besonderen Arbeitsplatz" zu schätzen. Abends sei sie hier die Letzte. "Da ist es dann ruhig und ich gucke gern mal raus." (APA, dpa, 25.9.2019)