Er hat die Haare schön – und lässt sich das makellose Big Hair was kosten, das wissen dank Falter nun alle. Drei Mal 300 Euro, fand das Wiener Wochenmagazin heraus, waren Sebastian Kurz Make-up und Haar-Grooming, wert.

Unsinn, widersprach sein Friseur, 39 Euro bezahle Sebastian Kurz in seinem Salon für einen Haarschnitt, genauso wie jeder andere Kunde. Doch der "Wiener Starfigaro" sprang umsonst für Kurz in die Bresche. Der Friseur, der sich bei Oe24 beschwert habe, sei nicht der Rechnungssteller, sondern eine andere Stylistin, zwitscherte Falter-Chefredakteur Klenk auf Twitter.

Solch ein Wirbel um drei Friseurrechnungen: Die Diskussionen um die Haare des österreichischen Altkanzlers erinnern an die Make-up-Affäre des französischen Präsidenten Emmanuel Macron. 2017 gerieten die Honorare von dessen Chefvisagistin ans Licht der Öffentlichkeit. Der Staatschef hatte ihr in den ersten drei Monaten seiner Amtszeit 26.000 Euro ausgezahlt. 26.000 Euro! Die Empörung der Medien folgte auf dem Fuß.

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Über Trumps ausgebeulte Anzüge wird allzu gern gelästert. Dabei trägt er doch hauptsächlich Brioni.
Foto: AP Photo / Olivier Matthys

Dabei sollte die Eitelkeit männlicher Spitzenkräfte nur mehr wenig überraschen. In den vergangenen Jahren folgte ein Haar-Gate dem nächsten. François Hollande ließ sich in seiner Amtszeit die Pflege seiner Halbglatze monatlich mehr als 9000 Euro kosten, Silvio Berlusconi hielt die italienische Presse mit Haartransplantationen in Atem, 2002 klagte der damalige deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder gegen die Behauptung, seine Haarfarbe sehe, nun ja, gefärbt aus.

Doch der Blick auf Politiker hat sich in den vergangenen Jahren grundlegend geändert. Ihre Anzüge, Uhren und Socken werden heute mit einer ähnlichen Selbstverständlichkeit bewertet wie zuvor die Hosenanzüge ihrer weiblichen Kolleginnen und nicht zuletzt die Gewichtsschwankungen und Schönheitsoperationen von Hollywood-Stars: "Politiker leben unter einem Vergrößerungsglas. Es gibt keine Unterscheidung mehr zwischen ‚On‘ und ‚Off‘, einem vor der Bühne und einem hinter der Bühne", erklärt Antonella Giannone, Professorin für Modegeschichte an der Berliner Kunsthochschule Weißensee.

Sebastian Kurz mit Haifischkragen und im Slim-Fit-Anzug: Die schmalen Silhouetten dominieren die politische Bühne.
Foto: APA / Georg Hochmuth

Der schlanke Körper

Daran ist nicht nur die Lifestylisierung der Medienlandschaft schuld. Macron, Kurz, Trudeau, die Männer in den schmalen Anzügen und den Hemden mit den Haifischkrägen, spielen das Spiel allzu bereitwillig mit. Sie signalisieren mit ihren körpernah geschnittenen Anzugsilhouetten (und Trudeau mit seinen bunten Socken), Wert auf ihr Äußeres zu legen.

Das hat Konsequenzen für die politische Bühne. "Gewisse Aspekte von Männlichkeit, die früher in der Politik keine große Rolle gespielt haben, sind heute wichtig. So ist der Slim-Fit-Anzug natürlich mit einem schlanken Körper verbunden", meint Giannone. Dass heute viel mehr über den männlichen Körper gesprochen wird, ist eine Entwicklung der letzten zwanzig Jahre. Sie hat vor der Politik nicht haltgemacht.

Bloß keine Krawatte! Peter Pilz hält an seiner T-Shirt-Sakko-Kombination fest.
Foto: APA / Georg Hochmuth

Spätestens seit man um die Jahrtausendwende an der öffentlichen Selbstkasteiung des deutschen Grünen Joschka Fischer hautnah teilhaben konnte, ist klar: Auch Politiker sind Menschen mit Gewichtsproblemen. Fischer machte aber auch vor, dass ein joggender Körper Wahlkämpfe gewinnen kann. Der Grüne halbierte die Figur, in seinem Buch zelebrierte er die Gewichtsabnahme als "langen Lauf zu sich selbst".

Vorbei waren die Zeiten, in denen selbst ein sozialdemokratischer Bundeskanzler wie Bruno Kreisky bei Humhal am Ring Anzüge schneidern ließ und entkörperlichte Politiker wie Helmut Kohl in ihren maßgeschneiderten Anzügen den statuesken Sandsack, den über alle Äußerlichkeiten erhabenen Patriarchen abgaben.

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Boris Johnson wie er leibt und lebt. Sein Markenzeichen: der strubbelige Haarschopf.
Foto: Reuters / Tom Brenner

Dass Maßgewand zum Problem werden kann, das hat der deutsche Ex-Kanzler Schröder Ende der 1990er-Jahre erfahren. Er ließ sich für das Boulevardmagazin Gala vom Starfotografen Lindbergh in feinem italienischen Zwirn fotografieren: Ausgerechnet ein Sozialdemokrat in Brioni, das geht gar nicht, da waren sich die deutschen Wähler einig.

Aus PR-Pannen wie diesen scheint die Politikergeneration von heute (teilweise) gelernt zu haben. Die smarte Politikerriege übt sich vorsichtshalber in textiler Zurückhaltung. Seit Emmanuel Macron Premier ist, gibt er sich neben Ehefrau Brigitte, die gern in Louis Vuitton auftritt, volksnah.

Er trägt Anzüge von der Stange, bevorzugt Modelle des französischen Unternehmens Jonas & Cie, sie kosten, verkündete seine Pressesprecherin triumphierend, zwischen 340 und 380 Euro. Keine Selbstverständlichkeit für einen, der zuvor Exklusiveres gewohnt war. Als Banker hatte Macron noch bei Lagonda, einem Pariser Schneider, Nadelstreifenanzüge für 800 bis 1200 Euro geordert.

Nicht ohne meine Sonnenbrille: Der Grüne Werner Kogler will den grasgrünen Sonnenschutz gar nicht mehr absetzen.
Foto: APA / Hans Punz

Dass Strache über ein schlechtsitzendes T-Shirt und nicht über seine 7000 Euro teure Rolex Daytona stolperte, ist nur einem idiotensicheren Schmäh zu verdanken: Die Uhr war, so der gefallene FPÖ-Mann, nur "ein Geschenk".

Einer von euch

Durch schlichte Kleidung versuchen Politiker zu zeigen: Ich bin einer von euch", erklärt Giannone. Diese Botschaft ist heute wichtiger denn je. Wer sich abgehoben gibt, darf mit einem Shitstorm rechnen. In den USA wurde die demonstrative Bescheidenheit schon Ende der 1960er-Jahre kultiviert.

Damals schrieb das deutsche Magazin Spiegel über Robert F. "Bobby" Kennedy: "Seit dem 16. März 1968 wirkt er nicht mehr wie ein später Twen. Jetzt trägt er kürzere Haare und derbe braune Schuhe, jetzt sehen seine Anzüge aus wie Konfektionsware von der Stange eines Kaufhauses in der Provinz."

Die "Ich bin einer von euch"-Attitüde hat auf der politischen Bühne "Stilblüten" hervorgebracht. "Es haben Kleidungsstücke Einzug in die Politik gehalten, die früher so nicht denkbar waren", beobachtet Antonella Giannone. Es sind heute längst nicht mehr nur Grüne wie in Österreich Werner Kogler, die sich der Krawatte verweigern.

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Wenn er nicht zum Hoodie greift, gibt er sich hemdsärmelig: der italienische Populist Matteo Salvini.
Foto: Reuters / Flavio Lo Scalzo

Auch Populisten wie der Italiener Matteo Salvini haben die hemdsärmelige Kommunikation für sich entdeckt. Der ehemalige Innenminister trat zu gern in Hoodies und Sweatshirts auf: "Dieses Kleidungsstück, ein typisches Everyman-Outfit, steht nicht in Verdacht, mit Luxus verbunden zu werden", so Giannone. Bisher scheinen beide Schmähs aufzugehen. (Anne Feldkamp, RONDO, 27.9.2019)