STANDARD: Salopp formuliert: Haben Sie schon einmal "die Sau rausgelassen"?

Thomas Schäfer-Elmayer: Ich bin in jungen Jahren deutlich schneller Ski gefahren, als es meinem Können entsprach. Es gab sogar Beschwerden bei meinen Eltern.

STANDARD: Kommen Sie ... Ist das alles?

Schäfer-Elmayer: Nein, aber man muss ja nicht unbedingt im STANDARD darüber berichten.

STANDARD: Was halten Sie vom Image des Musterknaben?

Schäfer-Elmayer: Musterknaben sind meistens unbeliebt, haben ein Streberimage. Ich denke, Neid spielt dabei auch eine Rolle.

STANDARD: Sie selbst haben bei vielen Menschen auch dieses Musterschüler-Image.

Schäfer-Elmayer: Und ich bemühe mich, es zu erfüllen. Ich stehe in der Öffentlichkeit, und jede Person, die das tut, sollte sich dieser Verantwortung stellen. Das hat auch mit Vorbildwirkung zu tun. Ich kann deswegen nicht auf Neid oder Antipathien Rücksicht nehmen. Laut einer Psychotherapeutin, die ich kenne, muss man damit leben, dass einen 25 Prozent der Mitmenschen nicht mögen. Es gibt angeblich Versuche, bei denen Menschen Filme vorgeführt werden, in denen gezeigt wird, wie Prominenten etwas Unangenehmes widerfährt. Angeblich schütten dabei sehr viele Zuseher Glückshormone aus, als hätten sie im Lotto gewonnen.

Thomas Schäfer-Elmayer leitet in der dritten Generation die Wiener Tanzschule Elmayer.
Foto: Heribert Corn www.corn.at

STANDARD: Sind Sie jemandem etwas neidig?

Schäfer-Elmayer: Ich hoffe nicht. Neid zerfrisst Menschen, und darauf hab ich keine Lust. Ich gönne anderen ihr Glück oder ihre Ferraris.

STANDARD: Ihre Tanzschule feiert heuer den 100. Geburtstag. Glauben Sie, dass eine Institution wie die Ihre auch Aussichten auf einen 200. Geburtstag hat?

Schäfer-Elmayer: Ich bin davon überzeugt, dass die Tanzschule Elmayer für viele nicht wegzudenken ist. Immerhin leben mehr als 200.000 Personen in Wien, die bezeugen können, dass sie sich an eine unvergessliche Zeit beim Elmayer erinnern.

STANDARD: Unter diesen 200.000 Menschen befinden sich aber auch bestimmt eine Menge Tanzmuffel, die weniger gern daran zurückdenken.

Schäfer-Elmayer: Ganz im Gegenteil! Nehmen Sie unseren Direktor, Rudolf Peschke. Der musste einst in die Tanzschule gehen, weil ihn seine Schwester mitgeschleppt hat. Er wollte partout nicht. Was ist geschehen? Er schmiss sein Medizinstudium und arbeitete fortan für die Tanzschule.

STANDARD: Aber es gibt auch Unbekehrbare, oder?

Schäfer-Elmayer: Leider ja. Vielleicht deshalb, weil sie keine Musterschüler sein wollen. Weil sie das Tanzen für unmännlich halten.

STANDARD: Warum gilt Tanzen bei vielen als unmännlich?

Schäfer-Elmayer: Es ist mir ein völliges Rätsel. Ich habe in den 60er-Jahren in Liverpool an der Baumwollbörse gearbeitet und bin abends öfter ausgegangen. Ich besuchte gern ein Lokal namens The Blue Angel, das auch viele sehr attraktive Frauen aufsuchten. Liverpool war das Mekka der Krankenschwesternschulen. Die anderen Männer im Lokal standen alle an der Bar herum, und ich hab derweil mit jeder getanzt. Traumhaft. Also ich verstehe das mit dem "Unmännlichen" nicht. Gerade beim Tanzen kommt man einer Frau sehr nahe.

STANDARD: Haben Sie bei der Aufforderung zum Tanz schon einmal einen Korb bekommen?

Schäfer-Elmayer: Natürlich! Schon oft. Die Namen der Damen kenne ich leider nicht. Einen Korb muss man sportlich zur Kenntnis nehmen.

STANDARD: In den Medien taucht regelmäßig die Frage nach der Rolle des "neuen" Mannes auf. Wie sollte diese definiert sein?

Schäfer-Elmayer: Er sollte seine Rolle als körperlich meist überlegener, aber hilfsbereiter, zuvorkommender, taktvoller und einfühlsamer Mensch damit verbinden, Verantwortung zu tragen, selbstbewusst, verlässlich, aber auch humorvoll und selbstkritisch sein. Gepflegtes Aussehen ist unbedingt zu empfehlen. Der Feminismus hat natürlich seine Berechtigung wegen der immer noch beklagenswerten Ungleichheit der Stellung der Frau in einigen Bereichen. Ich finde aber, dass manche seiner Vertreterinnen über das Ziel hinausschießen, wodurch oft der Eindruck entsteht, dass Männer grundsätzlich im Verdacht stehen, Frauen auszunutzen und zu bedrohen.

STANDARD: Was meinen Sie mit "über das Ziel hinausschießen"?

Schäfer-Elmayer: Wenn ein Mann einer Frau die Tür aufhält oder auf eine andere Art behilflich ist, handelt es sich um ein Zeichen von Respekt. Alice Schwarzer bezeichnete das einmal als Patronizing, also als Bevormundung. Das ist keine Bevormundung. Es ist Hilfsbereitschaft. Einem Mann die Chance zu geben, sich respektvoll zu benehmen, schafft Lebensqualität.

STANDARD: Sie sprachen von Aussehen. Wie wichtig ist die Optik?

Schäfer-Elmayer: Wie heißt es so schön? Man bekommt nie eine zweite Chance für den ersten Eindruck! Wenn man jemandem zum ersten Mal begegnet, hat man ja nichts anderes als dieses Aussehen. Hinter die Kulissen kann man erst später schauen. Ich empfehle zwei Dinge: saubere Schuhe und gepflegte Hände.

Foto: Heribert Corn www.corn.at

STANDARD: Schuhe kann man putzen, zur Maniküre gehen auch. Die Physiognomie kann man sich nicht aussuchen.

Schäfer-Elmayer: Ja, das ist reine Glückssache, wobei man schon etwas zum Ausdruck beitragen kann, ohne gleich zum plastischen Chirurgen zu gehen. Aber klar, das hat Grenzen.

STANDARD: Nehmen wir an, Sie glaubten an Wiedergeburt. Würden Sie lieber als Mann oder als Frau auf die Welt kommen?

Schäfer-Elmayer: Als Mann. Eindeutig. Ich kann es mir anders nicht vorstellen. Allein schon, weil ich mich davor fürchten würde, Kinder auf die Welt zu bringen. Ich liebe meine Rolle als Mann.

STANDARD: Die Café-Korb-Besitzerin Susanne Widl trat 1980 am Wiener Opernball im Frack auf, einem sehr männlichen Kleidungsstück. So wollte sie die Gleichstellung und die Gleichberechtigung der Frau visualisieren. Sie wollte einen Code knacken. Was sagen Sie dazu?

Schäfer-Elmayer: Der Frack ist sehr elegant und passend zum Opernball. Ich habe mich überhaupt nicht daran nicht gestört. Ich fände es aber sehr schade, würden Frauen auch nur schwarz-weiß gekleidet auf die Bälle kommen. Dennoch finde ich es sehr schön, dass unsere Gesellschaft viel toleranter geworden ist. Es ist doch furchtbar, wenn zum Beispiel "schwul" immer noch als Schimpfwort benutzt wird. Genauso übel finde ich es aber auch, wenn mich jemand "alter weißer Mann" nennt, wie es mir bei einer Fernsehdiskussion passiert ist. Diese Formulierung ist inakzeptabel. Ich kann doch nichts dafür, dass ich ein alter, weißer Mann bin.

STANDARD: Die Formulierung beruht auf einem politischen Schlagwort. Ein Begriff, der sich auf eine gesellschaftliche Hegemonie bezieht.

Schäfer-Elmayer: Schon klar, dennoch ist das keine Art. Das heißt, alte, weiße Männer seien intolerant, dominant etc. Das ist ein Vorurteil.

STANDARD: Sie wurden des Öfteren kritisiert, Sie würden Verhaltensweisen tolerieren, die früher als Benimmfehler galten. Was sind denn das für Verhaltensweisen?

Schäfer-Elmayer: Ich glaube, dass ich zum Beispiel mit meinem Engagement am Life Ball für manche eine Grenze überschritten habe. Man kann diesem ja auch ablehnend gegenüberstehen. Der Life Ball ist eine der größten karitativen Veranstaltungen Europas. Sich karitativ zu engagieren war schon für meinen Großvater eine wichtige Angelegenheit.

STANDARD: Sie halten unter anderem Seminare in Gefängnissen. Das klingt interessant. Wie kam es dazu?

Schäfer-Elmayer: Schon mein Großvater Willy hat dies in der Zwischenkriegszeit getan. Er hat auch Radios in den Gefängnissen installieren lassen, weil ihm die Insassen so leidgetan haben.

STANDARD: Sind Sie denn im Gefängnis willkommen?

Schäfer-Elmayer: Sehr sogar. Bei den Besuchen geht es darum, den Menschen Tipps für den Wiedereinstieg ins Berufsleben zu geben. Mit ihnen über Dinge zu sprechen, die beim Gegenüber negativ ankommen. Vielen Insassen sind diese Dinge gar nicht bewusst.

STANDARD: Zurück zu den Geschlechterrollen. Haben Sie den Eindruck, dass in Sachen Gleichberechtigung etwas weitergeht?

Schäfer-Elmayer: Absolut, und ich begrüße diese Entwicklung sehr. Außerdem ist es schön, dass auch Männer heute viel mehr mitbekommen, wie ihre Kinder aufwachsen, weil sie vielleicht öfter daheim sind, als dies früher der Fall war. Kinder brauchen beide Eltern. Dem wirkt wiederum die hohe Scheidungsrate entgegen.

Foto: APA / Georg Hochmuth

STANDARD: Woraus resultiert diese?

Schäfer-Elmayer: Ich denke, da gibt es viele Faktoren. Empfehlenswert ist auf jeden Fall ein Besuch unserer Tanzschule. Hier entstehen lebenslange Freundschaften, weil man zahlreiche Leute trifft, die auf derselben Wellenlänge sind.

STANDARD: Sie empfehlen einem Paar in der Krise, andere Leute kennenzulernen und mit ihnen zu tanzen. Paartherapeutisch gesehen ist das ein interessanter Ansatz.

Schäfer-Elmayer: Aber nein, ich spreche von den Kursen für Jugendliche. Ich denke, ein Tanzkurs ist auch sehr hilfreich, wenn es darum geht, Menschenkenntnis zu sammeln. Menschenkenntnis halte ich für einen der wichtigsten Erfolgsfaktoren im Leben. Wer mit Menschen gut umgehen kann, der hat bessere Chancen als jemand ohne Taktgefühl.

STANDARD: Sie haben mehrere "Benimmbücher" geschrieben. Es ist immer öfter von einer Verrohung der Gesellschaft zu hören. Was sind die Gründe dafür?

Schäfer-Elmayer: Oberflächlichkeit, Faulheit, unsachgemäße und unsachliche Kritik an anderen usw. Leider ist es vielen Menschen nicht bewusst, dass sie viel mehr vom Leben haben, wenn sie positiv denken und im anderen das Gute suchen, achtsam, freundlich, höflich und hilfsbereit sind. Hier sind Eltern und Erziehung gefragt. Zum Teil wurden diese wichtigen Dinge der heutigen Elterngeneration schon nicht weitergegeben. Ich denke, das ist ein falsches Freiheits- und Toleranzdenken. Hinzu kommt, dass viele Väter und Mütter sich auch die Zeit nicht mehr nehmen. Ein Grund dafür ist auch die hohe berufliche Belastung. Manche Eltern haben einfach keine Energie mehr, diesbezüglich etwas von ihren Kindern einzufordern. Ist ja auch mühsam. Das sollte man sich vielleicht schon überlegen, bevor man Kinder in die Welt setzt.

STANDARD: Es heißt, dass Sie bereits mit sieben Jahren Damen mit Handkuss zu begrüßen hatten. Wie war das für Sie?

Schäfer-Elmayer: Ich mochte das gar nicht. Aber wenn man diese Übung so früh erlernt, kann man dies ganz natürlich zelebrieren.

STANDARD: Stimmt es eigentlich, dass man einen Handkuss niemals unter freiem Himmel geben darf?

Schäfer-Elmayer: So apodiktische Vorgaben finde ich übertrieben. Es ist nur unüblich.

STANDARD: Welche Benimmfehler sind denn in unserer Zeit die gravierendsten?

Foto: Heribert Corn www.corn.at

Schäfer-Elmayer: Beim Essen ist es sehr unappetitlich, mit vollem Mund zu sprechen. Gruß- und danklos durch die Welt zu gehen schadet der Atmosphäre. Sogar im Tierreich gibt es Grußrituale. Hunde beispielsweise begrüßen einander und senden Signale der Sympathie, Rangordnung, Freude, Anspannung, die sofort verstanden und erwidert werden.

STANDARD: Welche Benimmregel gibt es noch, die Sie für übertrieben halten, aber trotzdem pflegen?

Schäfer-Elmayer: Die Serviette auf den Sessel zu legen, wenn man kurz den Tisch verlässt.

STANDARD: Aha, was bedeutet das?

Schäfer-Elmayer: Dass man sie nicht auf den Tisch legt, denn derjenige, der das tut, beendet das Essen und hebt damit die Tafel auf. Bei Benimmregeln kommt es auch auf die Umgebung an. Zum Beispiel stößt man streng genommen nur mit Wein an. In Frankreich wird sogar nicht einmal mit Champagner angestoßen. Der Franzose sagt, damit erschlägt man den Geist des Champagners. Also ich hab schon unzählige Male entgegen der Regel mit Bier angestoßen.

STANDARD: Apropos, wie ruft man im Wirtshaus nach einer Kellnerin? "Fräulein" darf man heute angeblich nicht mehr sagen.

Schäfer-Elmayer: In Österreich und Bayern ist "Fräulein" als Berufsbezeichnung für eine Kellnerin korrekt.

STANDARD: Hoffentlich wissen das auch die Kellnerinnen ... (Michael Hausenblas, RONDO, 27.9.2019)

Thomas Schäfer-Elmayer, Anne Wizorek, Alexandra Stanic und Maximilian Pütz in einer Diskussionssendung zum Thema: "Die Grenze zwischen Flirt und Belästigung".
Matscho Matscho