Es waren Krisenmonate für den Fußballspieler Jérôme Boateng. Erst entschied sich der deutsche Bundestrainer Joachim Löw dafür, ihn nicht mehr in die DFB-Elf zu berufen. Dann stand er bei seinem Verein Bayern München nicht nur oft in der zweiten Reihe, sondern mehr als einmal auf der Verkaufsliste. Auch wenn Boateng in dieser Saison wieder für Bayern spielt, ist klar: Fußballkarrieren haben ein Ablaufdatum.

Deshalb setzen viele Profifußballer auf weitere Standbeine. Boateng und Kollegen sind heute Modevorbilder wie Werbefiguren. Der Bayern-Star beweist sein Verkaufstalent seit Ende vergangenen Jahres mit BOA. Nach dem Vorbild von Barbara oder JWD, den Personality-Magazinen der Fernsehgesichter Barbara Schöneberger und Joko Winterscheidt, erscheint das rund 120 Seiten dicke Heft sechsmal jährlich.

Bild nicht mehr verfügbar.

Der Bayern-München-Star Jérôme Boateng ist der Prototyp des fußballspielenden Influencers: Er hat ein eigenes Lifestylemagazin und entwirft Brillen.
Foto: Getty Images / Bongarts / Alexander Hassenstein

Es ist gespickt mit Themen, die sich rund um den Kosmos des Weltmeisters von 2014 drehen: Mode, Schmuck, Heldenfiguren und Hip-Hop. Auf der aktuellen Ausgabe posiert Boateng sogar mit seinen Kindern, den Zwillingen Lamia und Soley und dem jüngsten Sohn Jermar, darunter der Hashtag #familyfirst.

Das Blatt macht keinen Hehl daraus, was es sein will. Anzeigen für Streetwear, Luxusuhren und Männerpflegeprodukte finden sich auf fast jeder zweiten Seite. In der Rubrik "Gönnung des Monats" wird Luxuskram vorgestellt, etwa eine "Monopoly"-Edition mit Dauphin-Kalbsleder und vergoldeten Figuren für 13.000 Euro.

Stilikone

Warum gerade Boateng für so ein Magazin infrage kam? "Jérôme ist einer der erfolgreichsten Fußballer aller Zeiten. Er verkörpert ein neues, urban geprägtes Deutschland und ist eine Stilikone", erklärt Co-Chefredakteur Adrian Pickshaus. GQ wählte ihn vor vier Jahren zum stilvollsten Mann Deutschlands. Dieser Ruf lässt sich gut verkaufen.

Seit 2015 hat die Vermarktung niemand Geringerer als US-Rapper Jay-Z mit seinem Entertainmentlabel Roc Nation übernommen. Auf Instagram folgen Boateng rund sechs Millionen Menschen. Er trifft den Zeitgeist, besonders den Geschmack junger Leute.

In Sachen Mode bedeutet das: lässige Streetwear, die ruhig auch einmal etwas mehr kosten darf. Auf dem Platz ist Boateng Fußballer, außerhalb ein Influencer. Das wissen natürlich auch Marken wie Nike und Braun, bei denen er als Testimonial unter Vertrag steht.

Bild nicht mehr verfügbar.

Die bunte Lifestylewelt der fußballspielenden Influencer: Héctor Bellerín (links) auf dem Laufsteg von Louis Vuitton, eine Kappe von David Alaba und das Magazin von Jérôme Boateng.
Foto: AP Photo / François Mori, DA27, BOA

Ein Blick auf die Instagram-Accounts der anderen Profis zeigt, dass dieser Fall keine Ausnahme ist. Junge deutsche Fußballhoffnungen wie Julian Brandt von Borussia Dortmund und Kai Havertz von Bayer Leverkusen lassen sich regelmäßig in austauschbaren Outfits fotografieren.

Leroy Sané, aktuell in England bei Manchester City unter Vertrag, geriet wegen eines sündhaft teuren Outfits bei der DFB-Elf in die Schlagzeilen: Graffiti-Shearling-Jacket von Balenciaga im Wert von rund 4500 Euro, Nike-Off-White-Jordan-1-Sneaker (1800 Euro) und ein Rucksack von Louis Vuitton für rund 18.000 Euro. Die Bild-Zeitung sprach danach nur noch vom "Luxus-Sané".

Ösi-Influencer

Aus Österreich ist David Alaba das beste Beispiel für ein fußballspielendes Modevorbild. In der zweiten Ausgabe von BOA spricht er zusammen mit Boateng in einem Interview über Siege und Niederlagen.

Regelmäßig lässt Alaba sich in angesagten Marken wie Off-White, Amiri oder anderen Luxuslabels sehen. Oder in der eigenen Marke DA27. Auf seiner Website verkauft der Bayern-Verteidiger Caps und T-Shirts mit seinen eigenen Aufdrucken und Sprüchen.

Auch Jérôme Boateng vertreibt seine eigenen Produkte. Mit seiner Brillenkollektion JB, die natürlich auch in BOA vertreten ist, hat der gebürtige Berliner bereits ein zweites Standbein aufgebaut. Pickshaus glaubt: "Ich kann mir vorstellen, dass er nach seiner aktiven Karriere im Bereich Mode und Design seine eigene Nische suchen wird, anstatt wie viele andere Fußballer als Trainer oder Sportdirektor weiterzumachen."

Blickt man über die sportlichen Landesgrenzen hinaus, wird man auf der Suche nach modischer Extravaganz in England fündig: Héctor Bellerín, Verteidiger bei Arsenal London und der spanischen Nationalmannschaft. Der Mann mit den langen, schwarzen Haaren sticht aus der Masse der modeaffinen Fußballer hervor, weil er mehr wagt.

Während Boateng oder Alaba auf Outfits und Marken setzen, die ihre Follower bereits kennen und lieben, provoziert Bellerín gern mit einem eigenen Stil. Ein weißer, weiter "I love New York"-Pullover von Raf Simons zusammen mit einer weißen Nadelstreifenhose von Haider Ackermann und dazu Gucci-Rhytons? Ein ganz normaler Tag im Leben des Spaniers. Zuletzt durfte er sich für Virgil Abloh während der Louis-Vuitton-Show auf dem Laufsteg präsentieren.

Mehr Konzentration auf Fußball

Nicht alle sind von Entwicklungen wie dieser begeistert. "Örks", kommentierte das deutsche Fußballkulturmagazin 11 Freunde die erste Ausgabe von BOA. Auch die Vereine bemühen sich, den Fokus ihrer Kicker zurück auf das runde Leder zu lenken.

2016 kommentierte Bayern-Boss Karl-Heinz Rummenigge Boatengs Unterschrift bei Roc Nation mit einem: "Jérôme muss wieder ein bisschen mehr zur Ruhe kommen. Seit dem Sommer ist mir das ein bisschen zu viel." Presse und Fans stimmen zu. Denen geht es doch gar nicht mehr um den Fußball, heißt es häufig.

Eine Kritik, die BOA-Chefredakteur Pickshaus nicht verstehen kann: "Den Jungs vom heimischen Sofa aus vorzuwerfen, sie würden sich nicht auf den Fußball konzentrieren, ist anmaßend. Die mussten seit ihrer Kindheit viele Opfer bringen."

Leute wie Jérôme Boateng werden sich ohnehin um kritische Kommentare wenig scheren. Sollte die Kickerkarriere zu Ende gehen, hat der Familienvater mit seinem zweiten Standbein vorgesorgt. (Thorben Pollerhof, RONDO, 11.11.2019)