Der Komponist Péter Eötvös.

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Péter Eötvös ist wohl einer der fleißigsten Opernkomponisten der Gegenwart. Der Ungar, der schon ein Dutzend Musiktheaterwerke verfasst hat, erlebt ab Donnerstag in Wien die Premiere seiner Oper Angels in America und kommt 2020 wieder in die Stadt, um an der Staatsoper die Wiederaufnahme seiner Drei Schwestern zu dirigieren. Überhaupt sei Wien für ihn, der in Budapest lebt, "seit den 1980ern eine zweite Heimat geworden".

STANDARD: Sie haben ein Dutzend Musiktheaterwerke geschrieben. Auf welche Aussagen zielen Sie mit Ihren Stücken ab?

Eötvös: Mein Interesse ist das Theater. Nicht dass ich die Oper abwerten möchte – aber es ist mein Wunsch, dass etwas auf der Bühne passiert, zu dem ich die geeignete Musik liefern kann und das Publikum zu dem, was ich zeigen möchte, hinführe. Da bin ich fast Regisseur, indem ich ein Thema, das ich gewählt habe, erlebbar mache. Ich möchte eine Musik von einer Anziehungskraft schaffen wie in einem guten Film.

STANDARD: Suchen Sie immer neue Stilmittel, eine neue Sprache?

Eötvös: Mir ist schon die eigentliche Sprache sehr wichtig. Dass ich noch keine einzige Oper auf Ungarisch geschrieben habe, zeigt mir, dass ich ein begeisterter Ausländer bin. Seit ich meine Heimat 1966 zum ersten Mal verlassen habe – nicht als Dissident, sondern ganz offiziell –, war es entscheidend für mich, viele Sprachen um mich zu haben. Jede Sprache hat eine andere Kultur, einen anderen Rhythmus und ein eigenes Tempo. Wenn ich auf Französisch komponiere, kommt eine völlig andere Musik heraus als beim selben Text auf Deutsch. Ich suche mir bei jedem Stück musikalische Anhaltspunkte. In meiner neuen Oper für die Staatsoper Berlin nach einem Libretto von Jon Fosse spielt eine nordische Fidel eine Hauptrolle – das gibt mir klanglich eine Richtung. Und ich stelle mir das Licht in einem Land vor und die Wolken, die mir sehr wichtig sind, ob in Wien, Budapest oder Paris. Oder in Deutschland. Dort ist es sowieso immer grau.

STANDARD: Bei Le Balcon nach Jean Genet sind Sie gewissermaßen in die Welt der französischen Chansons eingetaucht. Wie klingt bei Angels in America ein amerikanischer Eötvös?

Eötvös: Ich bin für zwei Wochen nach New York gefahren und habe mir alle Musical-Produktionen am Broadway angesehen. Es ist ein Musical-Stil à la Eötvös geworden: eine Mischung, die davon ausgeht, dass Darsteller sprechen, singen und tanzen können. Diese Bewegungskultur, die Musicals haben können, schätze ich sehr.

STANDARD: Was hat Sie zu diesem Stoff gezogen?

Eötvös: Als ich das Stück von Kushner zum ersten Mal gelesen habe – noch im vorherigen Jahrhundert – fand ich es wunderbar, das ein todgeweihter Mensch die Kraft hat, sich eine Aufgabe zu geben: einen Engel zu erfinden, ihn selbst zu beauftragen, die Menschheit zu retten. Da gibt es kein Pardon: Er muss das machen und hat keine Zeit zu sterben. Das ist eine solche Lebensweisheit. Wenn nur jeder diese Kraft entwickeln könnte – das wäre wunderbar.

STANDARD: Geht es Ihnen in einer Zeit voller Verunsicherung, wo Solidarität mit Schwächeren infrage gestellt wird, auch um eine Botschaft des Humanen?

Eötvös: Ich hatte durch verschiedene Auftragswerke Gelegenheit, in diese Richtung zu arbeiten. In einer Komposition für vier italienische Orchester, die 2015 bestellt wurde, geht es um Migranten, die aus dem Süden kommen und an der Küste landen würden, wenn sie nicht vorher gestorben wären: Alle vittime senza nome ist jenen Boat People gewidmet, die die Hoffnung haben, die Küste zu erreichen, und von denen auch heute noch Tausende sterben. Dass so etwas noch möglich ist, ist verrückt. Dabei interessiert mich jedoch nicht der politische Aspekt, sondern der humane.

STANDARD: Ist das dann Ihre Art zu sagen, dass Sie mit der Politik in Ungarn, Österreich oder Italien nicht einverstanden sind?

Eötvös: Darum geht es nicht. Ich bin auch mit dem Guten nicht "einverstanden". Ich bin Künstler, ich kann auf etwas reagieren oder etwas vorschlagen. Das ist die Aufgabe eines Künstlers – etwas für die Zukunft vorzuschlagen und die Zuhörer in meine Welt hineinziehen. Das möchte ich ausdrücklich sagen: Ich habe keine politische Funktion.

STANDARD: Aber Humanität ist Ihre Vision?

Eötvös: Ja, absolut.

STANDARD: Und man darf sich eine humane Politik wünschen?

Eötvös: Wünschen ja.

STANDARD: Sie bereiten eine Oper auf Ungarisch vor?

Eötvös: Es ist tatsächlich geplant, dass ich endlich einmal auch eine Oper auf Ungarisch schreibe, nach einem Text von László Krasznahorkai, der für die Filme von Béla Tarr die Drehbücher schreibt – aber das steht noch in den Wolken. (Daniel Ender, 25.9.2019)