Regieanweisung: "das stück spielt in keinem garten nahe wien" – und so sieht er aus: zwei Damokles-Rispentomaten über Jedermann (Alexander Hetterle).

Herwig Prammer

Blutige Macht: Königin Elisabeth (Theresa Palfi) im Trauerspiel "Maria Stuart" (mit Christian Taubenheim als Burleigh).

Foto: Petra Moser

Eines ist klar: Dieser Jedermann wird die Kurve ins Seelenheil nicht kriegen. Dem Mann in royalblauen Glitzerbermudas ist so ziemlich alles egal. Er lebt verschwenderisch (will keine Reste vom Vortag essen), ist ein eiskalter Aktienspekulant; Tierwohl: Fehlanzeige; und trotz seines in blindwütiger Gewinnorientierung verdienten Reichtums will der Rüpel, dem zu allem Überfluss auch noch stets die Zunge heraushängt, nicht einmal Almosen geben! Arme Nachbarn können ihn einmal. Kann auf dem Domplatz in Salzburg das Festspielpublikum immer noch aufatmen, weil den Gierhals vor dem jüngsten Gericht doch Ehrfurcht ereilt, so hat Ferdinand Schmalz in seiner Neudichtung 2018 keine Läuterung implementiert. In jedermann (stirbt) nimmt der Magnat den Tod wie ein neues Spekulationsobjekt entgegen und zeigt aus dem Totenreich mit dem Finger zurück auf uns.

Jedermann soll aber nicht sagen, er sei nicht gewarnt worden. In den Kammerspielen des Linzer Landestheaters steht der Aufruf zur Besserung von Anfang an gut lesbar auf einer Rolle geschrieben: "Start today" – es ist das phallischste Requisit von allen (Bühne: Hartmut Meyer). Wie schnell sich die Bedeutung dieses Schriftzugs aber in "Start to die" verändert, macht in der formidablen, von Katka Schroth popkulturell fitgemachten Inszenierung die "teuflisch gute gesellschaft" klar. Schroth verkleidet diese als harmlose Hasen, die mit schnuckeligen Kopfmasken die verlogen-süße Fratze der Konsumwelt zur Schau tragen. Mit ihnen fängt die ganze Chose an.

Das "alte Möhrchen"

Sie schieben sich, Karotten leckend und laut knackend, kokett vom Bühnenrand herein und kündigen in einem der schönsten Theaterintros überhaupt das "alte Möhrchen" vom Jedermann an. Dazu legen sie dann und wann ihre Pfoten auf den elektrisch geladenen Stacheldraht des Hausherren, damit es ordentlich brutzle. Grusel! Ach ja, und damit das alles Hand und Fuß hat, wird auch der Autor namentlich genannt: Schmerdinand Falz! Der Schüttelreim auf Ferdinand Schmalz verrät, dass die Linzer Fassung sich einige Freiheiten genommen hat. Die "guten werke" sind gestrichen, den Mammon übernimmt Jedermann selbst, und dem Versdrama wurden noch mehr, als dies Schmalz bereits erledigt hatte, zwischendurch schäbige Alltagsdialoge verpasst. Diese mehrfach ausgereizte sprachliche Fallhöheverfehlt ihre Wirkung nicht. Von mancher Schnoddrigkeit mag der eine oder andere Hofmannsthal-Fan getroffen sein, aber dem Schmalz-Text entspricht das schon, zumal eine Spur von Schnoddrigkeit in ihm schon angelegt war. Einmal heißt es: "mama, du rauchst?!"

Ja, Mama Jedermann (Katharina Hofmann), esoterisch erleuchtet, pafft viel, um den Stress abzubauen, den ihr die Geschäfte ihres Sohnes bereiten. Regisseurin Schroth hat die Figuren entschlossen von der Lehrstückpatina befreit und trumpft mit einer fantastischen Comic-Lesart auf. Jedermanns Frau (Inga Wolff) gleicht Uma Thurman aus Pulp Fiction, und die Buhlschaft Tod (Angela Waidmann) rückt zum Rolling-Stones-Evergreen Out of Time im Miss-Universe-Einteiler mit frisch gedengelter Sense an. Der "arme nachbar gott" (Sebastian Hufschmidt) erscheint als klappriger Mann mit Rucksack, der auch gerne einmal einen Cocktail trinken würde. Würde! Das alles ist überaus genau gearbeitet und ausgeführt, verebbt aber nach dem famosen ersten Teil etwas.

Puristisches Kammerspiel

Die zweite Eröffnungsproduktion des Linzer Schauspielprogramms, Friedrich Schillers Trauerspiel Maria Stuart, nimmt einen konventionelleren Weg. Susanne Lietzow inszeniert das von Intrigen begleitete Duell der Monarchinnen als puristisches Kammerspiel, in dem vor allem Theresa Palfi als Elisabeth alles überragt. Sie zieht in ehrwürdigen Bewegungen durch ihr Büro, ein EU-konformes Sitzungszimmer mit etwas unentschlossener Heckendekoration am Rand. Die Macht bezieht diese Herrscherin aus der Freiheit, die sie sich in kleinen Gesten nimmt. Es entfährt ihr – nicht alles kommt, wie sie es wünscht – einmal ein so derart königliches und wohlklingendes "Fuuuck!", dass man gern auf die Rewind-Taste gedrückt hätte.

In dieser übersichtlichen Arbeit prangt derweil die Stuart (Gunda Schanderer) auf einer hochaufragenden Treppe wie das böse Omen. Eine präsentable Idee, die aber viel Turnarbeit verlangt. (Margarete Affenzeller, 26.9.2019)