Die höflichen und immer verfügbaren weiblichen Assistentinnen könnten Geschlechterstereotype weiter verfestigen.
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Smartphones, die zu groß sind für durchschnittliche Frauenhände, Spracherkennungs-Software, die auf Männerstimmen trainiert ist und deshalb Frauen schlechter versteht – Beispiele, die Caroline Criado Perez in ihrem Buch "Invisible Women" versammelt, für das sie kürzlich mit dem renommierten Royal Society Science Book Prize ausgezeichnet wurde. Perez spürt darin den geschlechtsspezifischen Ungleichheiten in einer "von Männern gemachten Welt" nach und macht deutlich, dass Technik nicht so neutral ist, wie viele annehmen. Für Oxford-Professor Nigel Shadbolt, der zu künstlicher Intelligenz forscht, ein geradezu augenöffnendes Buch, wie er in der Begründung der Jury formulierte.

Sexy Siri

Technik von Männern für Männer: Dort, wo besonders homogene Teams arbeiten, sind blinde Flecken vorprogrammiert. Dass es mit der Diversität im Feld der künstlichen Intelligenz (KI) nicht weit her ist, zeigt eine Erhebung des Weltwirtschaftsforums, die auf Daten des sozialen Netzwerks Linkedin beruht. Nur 22 Prozent der KI-Fachkräfte weltweit sind demnach Frauen. "Im Grunde entscheiden also bestimmte Gruppen von Männern darüber, wie unsere Zukunft gestaltet wird", sagt Brigitte Ratzer, die die Abteilung Genderkompetenz an der Technischen Universität Wien leitet.

Ein Resultat: Technologien, die nur so vor Geschlechterstereotypen strotzen. "Das ist nett, dass du das sagst", antwortete Apples Sprachassistentin Siri noch bis vor kurzem, wenn NutzerInnen sie als "heiß" bezeichneten. Auf sexistische Beleidigungen reagierte sie hingegen mit einem Erröten. Sprachassistentinnen wie Siri, Alexa oder Microsofts Cortana sind meist standardmäßig weiblich, Stimmen von Frauen werden eher als angenehm und warm wahrgenommen, zeigen Studien.

Die gehorsamen, höflichen, immer verfügbaren Assistentinnen würden Geschlechterstereotype weiter verfestigen, kritisiert ein im Mai veröffentlichter Bericht der Unesco. Die Studien-AutorInnen befürchten, dass Millionen Menschen sich daran gewöhnen werden, "weibliche" Assistentinnen, die immer mehr Lebensbereiche durchdringen, nach Belieben herumzukommandieren. "Wenn wir an die Robotik denken, gewinnt die Geschlechterfrage in der Mensch-Maschinen-Interaktion zusätzlich an Brisanz", sagt Ratzer.

Leaky Pipeline

Trotz unzähliger Initiativen, die versuchen, Mädchen und junge Frauen für eine technische Ausbildung zu begeistern, steigt der Frauenanteil an HTLs und technischen Universitäten nur sehr langsam. Seit hundert Jahren dürfen Frauen sich in Österreich an einer technischen Hochschule einschreiben, an der TU Wien sind mittlerweile rund dreißig Prozent der Studierenden weiblich.

Zwischen einzelnen Fächern fallen die Schwankungen allerdings groß aus: Während Frauen in der Architektur bereits die Mehrheit stellen, muss man sie in der Elektrotechnik und im Maschinenbau noch immer mit der Lupe suchen. "Wir sehen es als unsere wichtigste Aufgabe an, die Frauen, die trotz aller Hürden bei uns angekommen sind, nicht vor dem Studienabschluss zu verlieren", sagt Ratzer im Gespräch mit dem STANDARD. Das passiert unter anderem mit Mentoring-Programmen für StudienanfängerInnen, bei der Arbeit mit den Lehrenden sei hingegen noch "sehr viel Luft nach oben".

Tatsächlich haben Frauen, die sich für ein technisches Studium entscheiden, bereits zahlreiche Hürden übersprungen: Für eine technische Ausbildung gehen Mädchen in der Regel sehr viel früher verloren. Schon in jungen Jahren werden Buben eher dazu angehalten, zu tüfteln und zu entdecken, in der heiklen Phase der Pubertät gewinnen diese Geschlechterstereotype an zusätzlicher Bedeutung: Um bei der Peergroup Anerkennung in der eigenen Geschlechtsidentität zu erfahren, wird das Interesse an Technik von Mädchen abgelehnt, Buben hingegen demonstrieren ihre Männlichkeit als Gamer und Computerspezialisten.

In der LehrerInnenausbildung und im Lehrplan wird darauf immer noch zu wenig eingegangen, kritisieren ForscherInnen seit Jahrzehnten. Förderprogramme, die sich speziell an Mädchen richten, können so zwar Einzelnen den Weg in die Technik eben, gegen gesellschaftliche Rollenerwartungen und medial vermittelte, sexistische Stereotype kommen aber auch sie nicht an.

"Es ist schön, dass es mittlerweile so viele Initiativen gibt, die Mädchen für Technik begeistern wollen, aber sie können eben nur in einem begrenzten Rahmen arbeiten", sagt auch Helga Hansen. Die Naturwissenschafterin arbeitet als Tech-Journalistin beim deutschen "Make"-Magazin und bloggt zu feministischen Geek-Themen. Auch wenn es gelinge, Mädchen zu motivieren – spätestens im Studium oder im Beruf würden sie immer noch auf große Hürden stoßen. "Nach über zehn Jahren in dem Feld bin ich es leid, jeden kleinen Fortschritt feiern zu müssen", sagt Hansen. Hansen kann viele Geschichten erzählen von Professoren mit hartnäckigen sexistischen Vorurteilen und von kosmetischen Maßnahmen ohne jede Nachhaltigkeit.

Gleichstellungs-Paradox

Technikaffinität ist aber auch eine Frage der Kultur: Österreich und Deutschland schneiden in puncto Gender-Gap in der Technik im internationalen Vergleich ganz besonders schlecht ab. In einer Studie zu technischen und naturwissenschaftlichen Abschlüssen stellten die beiden Psychologen David C. Geary und Gijsbert Stoet ein "Paradoxon der Gleichberechtigung" fest: In Ländern im arabischen Raum, in denen es um die Gleichberechtigung der Geschlechter schlecht bestellt ist, ist der Frauenanteil in diesen Fächern etwa besonders hoch. Auch an der TU Wien kommen rund vierzig Prozent der Studentinnen nicht aus Österreich.

"Kolleginnen aus der Türkei, aus dem Iran oder Ägypten verstehen oft die Frage nach Frauen und Technik gar nicht. In diesen Ländern ist Bildung vorrangig eine Klassenfrage", sagt Brigitte Ratzer. Aber auch in Südeuropa ist der Frauenanteil unter den Technik-AbsolventInnen höher – das Ansehen dieser Berufe aber auch entsprechend gering. Unterschiedliche Begabungen konnten Geary und Stoet im internationalen Vergleich nicht ausmachen: Anhand der Pisa-Daten von über 400.000 15- bis 16-jährigen Jugendlichen zeigten sich ähnliche Leistungen der Burschen und Mädchen in Mathematik und den Naturwissenschaften.

Förderprogramme werden indes nicht nur von öffentlichen Stellen und Universitäten betrieben, auch Unternehmen – insbesondere Global Player wie Microsoft – werben eifrig um Frauen, veranstalten Nachwuchswettbewerbe oder vergeben Stipendien an Studentinnen. Schließlich gehen auch ihnen dringend benötigte Fachkräfte verloren, wenn talentierte Mädchen sich von der Technik abwenden.

Die Notwendigkeit eines Kulturwandels innerhalb von Unternehmen bleibt hingegen vielerorts ein blinder Fleck. Dass etwa Tech-Start-ups ein massives Sexismusproblem haben, ist längst bekannt: Wiederholt berichteten ehemalige Mitarbeiterinnen über die "Bro-Culture" in Unternehmen, die von Konkurrenz, Machtstreben und Grenzüberschreitungen geprägt ist.

"Vielleicht könnte man einfach mal weggehen von diesem Denken, Frauen einzustellen, damit sie ein Unternehmen von innen verändern", sagt Tech-Journalistin Hansen. Sexismus in Unternehmen sei eben kein Problem der Frauen, sondern eine Führungsaufgabe. Und auch dass sich künstliche Intelligenz als diskriminierend erweist, sei schlichtweg eine Frage von Qualitätsmängeln. "Wir haben Qualitätsstandards für Lebensmittel, Sicherheitsstandards für Autos, dann brauchen wir eben auch Standards für Technologien, damit diese diskriminierungsfrei gestaltet werden", so Hansen. Wenn Sprachsoftware also nur Männerstimmen registriert oder Bilderkennungsprogramme weiße Haut besser erkennen, hätten Unternehmen also vor allem eines produziert: ein schlechtes Produkt. (Brigitte Theißl, 30.9.2019)