"Das Gericht hat falsch entschieden.", sagte Premier Boris Johnson, Altphilologe, über die Meinung der elf HöchstjuristInnen.

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London – Von Reue keine Spur: Boris Johnson hat den Supreme Court scharf kritisiert, weil dieser die fünfwöchige Zwangspause fürs Parlament als "ungesetzlich" aufgehoben hatte. "Das Gericht hat falsch entschieden. Es handelt sich um eine politische Frage in dieser Zeit schwerer nationaler Auseinandersetzung", sagte der konservative Premierminister am Mittwoch Abend im Unterhaus: "Es wird Zeit, dass wir den Brexit umsetzen." Labour-Chef Jeremy Corbyn solle endlich seinem Verlangen nach einer vorgezogenen Neuwahl nachgeben. Dies verweigert die Opposition mit dem Hinweis, der Premierminister plane zum Brexit-Termin Ende Oktober den Chaos-Austritt ("No Deal").

Einstimmig hatten die elf Höchstrichter am Dienstag die fünfwöchige Prorogation des Parlaments als unrechtmässig verurteilt. Die Exekutive habe damit ein Verfassungsprinzip, nämlich die Souveränität des Parlaments, verletzt und dessen Kontrolle der Regierung behindert. Zwar kennzeichnete Gerichtspräsident Brenda Hale das Urteil als "einmaligen Umständen geschuldet"; Rechtsexperten bewerteten die Entscheidung jedoch als historische Fortentwicklung der ungeschriebenen Verfassung.

Rücktrittsforderungen zurückgewiesen

Bereits 25 Stunden nach Bekanntwerden des Urteils begrüsste Parlamentspräsident John Bercow die Abgeordneten "an unserem Arbeitsplatz". Von Beginn der Sitzung an richteten diverse Minister wütende Angriffe auf die Opposition – wohl ein Versuch, die Demütigung durch den britischen Supreme Court vergessen zu machen. Rücktrittsforderungen gegen Boris Johnson und sich selbst wies Geoffrey Cox, Generalstaatsanwalt im Kabinettsrang, zurück: "Dieses tote Parlament hat jegliches moralische Recht verspielt."

In klarer Abgrenzung von Johnson nahm Cox den Supreme Court in Schutz: "Man darf die Entscheidung kritisieren, nicht aber den Richtern unlautere Motive unterstellen." Damit wies der Spitzenjurist den Parlamentsminister Jacob Rees-Mogg zurecht, der am Dienstag von einem "Verfassungscoup" gesprochen hatte. Wie Cox stellte sich auch Justizminister Robert Buckland vor die "weltweit respektierten" Gerichte: "Persönliche Angriffe auf Richter sind vollkommen inakzeptabel."

Kein Misstrauensvotum

Oppositionsführer Corbyn sowie viele Vertreter der kleineren Parteien im Unterhaus forderten den Rücktritt des Regierungschefs sowie seines Chefberaters Dominic Cummings. Der Generalstaatsanwalt verhöhnte Corbyn und dessen Führungsteam als "rückgratlosen Haufen". Jederzeit könne die Opposition den Leiter einer Minderheitsregierung durch ein Misstrauensvotum stürzen: "Aber sie sind zu feige", sagte Cox. Tatsächlich schreckt Corbyn vor dieser Maßnahme zurück, weil er die Leitung einer Übergangsregierung vor etwaigen Neuwahlen für sich beansprucht. Die dafür notwendigen 23 liberalkonservativen Abgeordneten, die von Johnson aus der Partei geworfen wurden, haben aber deutlich gemacht, dass sie den unter Antisemitismus-Verdacht stehenden Altlinken niemals mitwählen würden.

Aufregung um Vergabe von staatlichen Subventionen

Noch ehe Johnson selbst das Wort ergriff, stellte das Unterhaus unter Beweis, warum seine Rückkehr wenig willkommene Konsequenzen für den Premierminister hat. Mit einer Dringlichkeitsanfrage lenkte die liberale Abgeordnete Layla Moran die öffentliche Aufmerksamkeit auf staatliche Subventionen für die Firmen einer jungen US-Unternehmerin, die Johnson als "einen ihrer besten Freunde" bezeichnet haben soll.

Einer Veröffentlichung der "Sunday Times" zufolge war Johnson während seiner Amtszeit als Londoner Bürgermeister (2008–16) häufiger Besucher in der Wohnung des früheren Models Jennifer Arcuri. Er verlieh Veranstaltungen von Arcuris Cybertech-Firmen Glamour durch seine Anwesenheit, die Geschäftsfrau durfte an drei Handelsreisen des Bürgermeisters teilnehmen. In diesem Jahr erhielt die 34-Jährige umgerechnet 113.000 Euro aus einem Fonds für Cybersecurity-Experten, die auf der Insel ansässig sind. In Wirklichkeit war das frühere Model aber bereits im Juni 2018 in ihre Heimat zurückgekehrt. Johnson habe mit der Vergabe der Subvention "nichts zu tun" gehabt, beteuerte Digitalstaatssekretär Matthew Warman. (Sebastian Borger, 25.9.2019)