In der Serie alles gut? denkt STANDARD-Redakteur Andreas Sator über eine bessere Welt nach – und darüber, welchen Beitrag er leisten kann. Melden Sie sich hier für seinen kostenlosen Newsletter an.

Ohne Indien ist der Kampf gegen die Klimakrise aussichtslos. In wenigen Jahren wird das Land China überholen und das bevölkerungsreichste Land der Welt sein. Es werden mehr Autos verkauft und Häuser und Fabriken errichtet. Die Wirtschaft wächst rapide und damit auch die CO2-Emissionen. Schubst Indiens wirtschaftlicher Aufstieg die Welt über den Klima-Abgrund? Nein, sagt Ökonom Eswaran Somanathan vom Indian Statistical Institute.

Sie lesen alles gut?, eine Serie, in der ich über eine bessere Welt nachdenke. Melden Sie sich für meinen Newsletter an – ich halte Sie auf dem Laufenden.

Kleinere Klimaproteste gibt es auch in Indien. Wichtiger ist vor Ort die zum Teil extreme Luftverschmutzung.
Foto: APA/AFP/INDRANIL MUKHERJEE

STANDARD: Fangen wir mit einem Blick in die Zukunft an. Kann Indien irgendwann einmal reich und zugleich klimaneutral sein?

Somanathan: Ja. Das wird dauern, aber ich habe keine Zweifel, dass es in zwei oder drei Jahrzehnten machbar ist. Das größte Problem sind der Strom- und Transportsektor. Das sind aber gerade die Sektoren, wo saubere Technologien jetzt schon billiger oder zumindest fast billiger sind als fossile.

STANDARD: Noch kommt fast der ganze Strom aus Kohlekraftwerken, und die Emissionen sind zuletzt richtiggehend explodiert.

Somanathan: Es stimmt. Der Status quo ist nicht gut. Aber in den vergangenen ein, zwei Jahren ist wenig neue Kohlekapazität dazugekommen. Der Großteil der zusätzlichen Elektrizität kommt jetzt schon aus Erneuerbaren. Investitionen in Kohlekraftwerke sind sehr stark gesunken, es fließt dort viel weniger Geld hinein als in erneuerbare Energien. Die Rechnung ist ganz klar: Erneuerbare sind schlicht und einfach billiger.

STANDARD: Bleiben wir noch kurz in der Zukunft. Wie sieht Indien dann in zwei, drei Jahrzehnten Ihrer Meinung nach aus?

Somanathan: Was wir sehen werden, ist vor allem eine enorme Expansion der Solarenergie. Das wird kombiniert mit einem starken Ausbau der Speicherkapazitäten. Der Transport wird elektrifiziert. Wir sind im Verkehr noch nicht dort, E-Autos sind noch immer teurer. Aber das wird sich in den nächsten vier, fünf Jahren ändern. Im Stromsektor sind Wind und Sonne schon billiger als Kohle. Seit 2017 sind neue Solar- und Windanlagen billiger als neue Kohlekraftwerke – und immerhin billiger als zwei Drittel der schon länger existierenden Kraftwerke. Dazu kommt: Wir haben in Indien ein sehr großes Problem mit Luftverschmutzung. Bis jetzt ist da nicht viel passiert, aber auch da steigt der Druck.

STANDARD: Kritiker sagen, das geht alles viel zu langsam.

Somanathan: Ja, aber diese Kohlekraftwerke laufen zu lassen wird immer höhere Verluste verursachen. Was natürlich nicht heißt, dass das nicht passiert. Sie werden von der Regierung subventioniert. Wenn man nur den Markt entscheiden lässt, wird die meiste Kohle in den nächsten Jahren verschwinden. Aber das ist ein hochregulierter Sektor, das meiste ist im Besitz des Staates. Es braucht eine neue Politik, damit das ökonomisch Rationale passiert.

STANDARD: Politik ist aber nicht immer sehr rational.

Somanathan: 90 Prozent der Kohlekraftwerke sind in der Hand des Staates. Wenn man alles zusammenzählt, sind mehr als eine Million Menschen in der Branche beschäftigt. Der Wandel wird vielen wehtun. Und die Regierung ist darauf nicht vorbereitet. Sie muss Geld in die Hand nehmen, um den Leuten zu helfen, die ihre Jobs verlieren, und sie in neue Branchen zu bringen.

STANDARD: Viel Druck gibt es aber nicht? Eine Greta Thunberg ist in Indien nicht in Sicht.

Somanathan: Der Klimawandel spielt in der Öffentlichkeit nicht wirklich eine Rolle. Es wird dauern, bis das Bewusstsein steigt. Was aber ein großes Thema ist, ist die Luftverschmutzung. Es gibt jetzt schon Debatten über den schmutzigen Verkehr und die Landwirtschaft. Das wird sich auch auf die Kohle ausdehnen. Wenn die Politik vorausschauend agiert, könnten wir den Kohlesektor bis 2030 massiv schrumpfen. Aber das wird nicht so schnell passieren. Das braucht viel politisches Kapital, und derzeit fehlt der nötige Druck dafür.

STANDARD: Klimapolitik braucht auch Städteplanung. Das ist in vielen ärmeren Ländern ein Problem.

Somanathan: Ja, das ist auch in Indien eine große Sorge. Das funktioniert überhaupt nicht. Die Politik tut sich da sehr schwer, so zu planen, dass wir mit öffentlichen Verkehrsmitteln und nicht mit Individualverkehr arbeiten. Der öffentliche Transport existiert de facto nicht in den meisten indischen Städten. Leider sehe ich nicht, wie sich das in naher Zukunft ändern sollte.

STANDARD: Haben Länder wie Indien genug Anreize zu handeln? Müsste der Westen mehr bieten?

Somanathan: Jedes Land will, dass die anderen das Klimaproblem lösen. Was der Westen zu wenig getan hat, ist, in neue Technologien und Forschung zu investieren. Die deutsche Energiewende hat Indien sehr geholfen. Hätte Deutschland nicht so viel gefördert, wäre die Solarenergie heute in Indien nicht so billig.

STANDARD: Und sonst muss der Westen einmal selbst seine Hausaufgaben erledigen.

Somanathan: Der Westen muss zeigen, wie Klimapolitik funktionieren kann. Es braucht mehr Vorbilder für ordentlich hohe CO2-Steuern oder für City-Maut-Modelle. Das gibt es in manchen Ländern, aber noch nicht genug. Der Westen muss institutionell und politisch vorzeigen, wie es geht. Wenn ärmere Länder sehen, dass das funktioniert, werden sie es nachmachen.

STANDARD: Wie spürt Indien die Auswirkungen des Klimawandels?

Somanathan: Wir haben jetzt schon Hitzewellen, die tausende Menschen töten. Wir hatten extremen Regen, der in den letzten zwei Jahren viel zerstört hat. Der Regen kommt jetzt in Schüben, in ein paar Tagen regnet es extrem viel statt über Wochen wie früher. Im Norden wird Getreide im Winter angebaut. Die Temperaturen sind stark gestiegen, und darum fällt die Ernte jetzt um vier bis fünf Prozent schlechter aus. Ich habe eine Studie publiziert, die sich mit der Produktivität in der Industrie befasste. Wegen der höheren Temperaturen ist sie um zwei Prozent gesunken. Wenn es sehr heiß ist, kann man weniger gut arbeiten.

STANDARD: Und Sie sind und bleiben trotzdem optimistisch?

Somanathan: Die Politik tendiert immer dazu, sich um bestehende Industrien mehr zu kümmern als um neue. Es könnte alles viel schneller gehen, aber Indien wird sich so oder so dekarbonisieren.

Wenn Ihnen der Beitrag gefallen hat, melden Sie sich für den Newsletter an. Ich schreibe Ihnen, wenn im Rahmen der Serie ein neuer erscheint. (Andreas Sator, 29.9.2019)