Arsenal Efectivo zählen zu den Trap-Corrido-Stars. Ihre Videos haben Millionen Zugriffe, in Kalifornien füllen diese zärtlichen Gangster große Hallen.

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Man dachte, es sei vorbei. Vorbei, dass zeitgenössische mexikanische Musiker wie Täubchen gurren und auf "Gukurukugu!" ein herzhaftes "Ayayayayaiiih!" nachlegen und dergestalt den Mond oder eine Angebetete ansingen. Schließlich hatte gerade in der US-amerikanischen Diaspora der Latinos der Hip-Hop als identitätsstiftendes Begleitgeläut des verklärten Gangstertums traditionelle Musikstile überholt.

Drogenkrieg, Menschenhandel, Waffenschieberei – also die moderne Landwirtschaft Lateinamerikas, wie sie uns die Popkultur vermittelt, bedurfte der heavy Beats und der harten Reime. Vorgetragen wurden sie von breiten Hombres, unter deren Achseln kein Haar wuchs, die an Stellen tätowiert waren, die man als normaler Pepe lieber nicht mit Nadeln zusammendenkt, und die ihre Sonnenbrille zum Schlafen nicht abnahmen, das Bandana sowieso nicht. Als Untersatz fuhr man panzerähnliche Gefährte, zur Zertreuung Low Rider. Freute sich so ein Bube des Lebens, feuerte er ein paar Salven aus der Vollautomatischen gen Himmel. Doch damit könnte jetzt Schluss sein.

Moral und Propaganda

In Kalifornien boomen Trap-Corridos, das ist eine moderne Spielart der Corridos. Eine Corrido ist eine Ballade, die oft der Heldenverehrung gedient hat. In der Zeit vor Massenmedien wurden damit Figuren besungen, die sich gegen Unterdrücker auflehnten, gegen Unrecht ritterten und dabei oft glorreich von der eigenen Endlichkeit ereilt wurden – um in der Corrido wieder aufzuerstehen. Das stärkte die Moral der Unterdrückten oder diente der Propaganda. Eine der berühmtesten Corridos ist La Cucaracha; darin wird Pancho Villas Erzfeind Victoriano Huerta verklausuliert durch den Kakao gezogen.

Die Vorsilbe Trap ist beim gleichnamigen Hip-Hop-Stil geborgt. Der aus Atlanta die ganze Welt mit Gesäusel und relativer Ereignislosigkeit heimsuchende Stil findet jedoch nicht buchstäblich Verwendung. Trap gilt längst als Chiffre für Musik, die sich irgendwie am Hip-Hop anlehnt, sich dessen Produktionsweise bedient oder eine soziale Nähe dazu aufweist.

Alemán

Trap-Corridos ergeben in ihrer Mischung ein erstaunliches Bild. Da sieht man moderne Gangster-Typen in all der Pracht, die das Ansehen der Straße amtlich vorschreibt: Goldketten, einen Grill aus Juwelen in den Zähnen, teure Markenklamotten, fette Autos, das ganze Programm. Bloß dass nun keine fetten Beats mehr aus den Autos dröhnen, die Alarmanlagen im Umkreis von 150 Metern in hysterisches Gejaule versetzen, nein. Die schlimmen Buben zupfen sanft akustische Bassgitarren vor ihren ansehnlichen Bäuchen, flinke Finger greifen in die sechs Saiten der Westerngitarre – während sie Corridos über im Kampf gefallene Hermanos darbieten.

Tarantino und Rodriguez

Die bevorzugten Medien dieser Musik sind Youtube und diverse Streamingdienste. Gerade auf die Video-Umsetzung wird viel Wert gelegt. Acts wie Arsenal Efectivo inszenieren sich in ihrem Corrido Soy De Ambiente wie Beteiligte eines Drogendeals auf dem Schrottplatz, in Fuerza Regidas Video zu Radicamos En South Central müssen die Zuchthengste im Hintergrund der Band die pupsende Tuba aushalten, ohne auszutreten.

KompaPako

Die Kombination dieser alten Musik mit modernem Gangsteranspruch wirkt wunderlich. Schwere Jungs, zärtliche Musik. Der weiche Kern in der harten Schale in einem Setting, dessen Ästhetik von TV-Serien über Drogenbarone und Quentin Tarantinos oder Roberto Rodriguez‘ Gangster-Images beeinflusst ist. Nur das "Gukurukugu!" und das "Ayayayayaiiih!" verkneifen sie sich. Das passte doch nicht so ganz zu den im Planschbecken von Arsenal Efectivo halbnackt ringenden Chicas, die sich gegenseitig mit Dollares_ bewerfen.

Rancho Humilde

Dieses so seltsame wie einnehmende Wiedererwachen einer Tradition wird anhaltenden Wickeln mit Afroamerikanern ebenso zugeschrieben wie Donald Trumps rassistischer Politik – gerade bezüglich der Latinos. Andererseits sehen im Trap-Corrido viele eine Beruhigung zwischen Latinos und Afroamerikanern, schließlich weichen viele Hispanics nun zur Corrido aus, bedürfen des schwarzen Hip-Hop nicht mehr. Die Stars der Szene füllen mittlerweile große Säle.

Ob der Boom außerhalb der eigenen Volksgruppe ebenfalls einschlägt, wird sich zeigen. Als Zaungast ist man jedenfalls Zeuge einer originären Kreuzung, die erstaunliche Blüten treibt. Außerdem: Wer mag keine Burritos, Nachos oder Tequila? (Karl Fluch, 27.9.2019)