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Die Lage in den libyschen Lagern ist für die Insassen untragbar. Ein Deal der Afrikanischen Union soll Erleichterung bringen.

Foto: REUTERS/Ahmed Jadallah

Die meisten von ihnen sitzen bereits seit Jahren in den Auffanglagern Libyens. Unter widrigsten Bedingungen warten tausende Flüchtlinge und Migranten in dem nordafrikanischen Staat darauf, dass irgendetwas passiert. In den kommenden Wochen soll sich wenigstens für 500 von ihnen etwas ändern.

Ruanda hat sich mit der Afrikanischen Union darauf geeinigt, afrikanische Insassen der Auffanglager aufzunehmen. Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR zeigt sich in Medien und ihren Kanälen in den sozialen Netzwerken begeistert. Ein Sprecher nannte den Deal eine quasi lebensrettende Maßnahme. Die ersten 75 Menschen wurden Donnerstagabend in ein Aufnahmelager nahe der Hauptstadt Kigali gebracht.

Status noch offen

Doch die Rahmenbedingungen und Auswirkungen der Übereinkunft sind zu einem Großteil noch unklar. Fest steht, dass die Europäische Union finanzielle Mittel bereitstellt. Fest steht auch, dass die Afrikanische Union mit Geldern und Know-how in Ruanda helfen will. Damit enden aber bereits die bekannten Fixpunkte.

Unklar ist, was mit den Flüchtlingen und Migranten in Ruanda passiert. Ob die Menschen einen Asylantrag vor Ort stellen können, ob Ruanda sie in ihre Ursprungsländer zurückschickt oder ob europäische Staaten sie übernehmen und umsiedeln. Es ist auch noch nicht klar, wie UNHCR die Betroffenen aussucht. Laut ersten Informationen sollen auch Frauen, Kinder und besonders gefährdete Personen unter den 500 sein.

Aus dem Kongo und Burundi

Zudem befinden sich bereits mehr als 148.000 Flüchtlinge und Asylsuchende in Ruanda. Sie leben mehrheitlich in einem der sechs Lager und stammen vor allem aus der Demokratischen Republik Kongo und Burundi. Ruanda hat 2016 die New Yorker Erklärung für Flüchtlinge und Migranten mit verabschiedet und ist auch Teil des "Umfassenden Rahmenplans für Flüchtlingsmaßnahmen" (CRRF) der UN. Doch es fällt der Regierung schwer, die theoretischen Rechte für Flüchtlinge und Asylsuchende im Land in die Praxis umzusetzen, wie Camille Le Coz im Gespräch mit dem STANDARD erklärt. Sie ist Migrationsforscherin am Brüsseler Standort des US-amerikanischen Migration Policy Institute.

"Prinzipiell ist die Gesetzgebung in Ruanda sehr liberal, etwa wenn es um das Recht auf Arbeit für Flüchtlinge geht", sagt Le Coz. Doch in der Praxis hätten es die Menschen schwer, Jobs zu finden. "Einige wenige von ihnen kommen bei Hilfsorganisationen unter", sagt sie: "Doch das sind eben nur wenige. Außerdem fehlt der Zugang zu Schulbildung und zum Gesundheitssystem in der Praxis." Offiziell hat sich Ruanda unter dem CRRF verpflichtet, Flüchtlingen Bildung und eine Krankenversicherung zu ermöglichen.

Expertin: "Notfalllösung"

Für Le Coz ist es zwar begrüßenswert, dass Ruanda 500 Menschen aus libyschen Lagern aufnimmt, doch das kann "nur eine Notfalllösung" sein. Denn zum einen kommt das Angebot von Präsident Paul Kagame nicht ohne Hintergedanken. Der Staatschef ist seit fast zwei Jahrzehnten im Amt und ist bekannt für seine skrupellose Effizienz. Seine Reformen des Bildungs- und Gesundheitssystems gelten als wegweisend, und Ruanda weist ein konstantes Wirtschaftswachstum auf, doch unterdrückt er oppositionelle Gruppen.

Laut einem Bericht von Human Rights Watch kommt es zu Übergriffen auf politisch Andersdenkende. Durch sein Angebot an die Afrikanische Union und weitergehend auch an die Europäische erhofft er sich steigende Akzeptanz durch die großen Akteure der westlichen Welt. Sein Plan scheint aufzugehen: Trotz seines immer autoritärer werdenden Regierungsstils – 2017 wurde er mit 99 Prozent wiedergewählt – stammen 35 Prozent des Budgets von ausländischen Gebern.

Ein anderes Problem mit dem Abkommen sieht Le Coz in dessen Kurzfristigkeit. Denn während die 500 Menschen Libyen verlassen werden, bringt die libysche Küstenwache weiterhin konstant Menschen aus Seenot zurück in das kriegsgebeutelte Land – und somit in die Auffanglager. Selbst dass die international anerkannte Regierung im Land drei der umstrittenen Zentren geschlossen hat, hat die Lage nicht gebessert. Hilfsorganisationen befürchten, dass dadurch nur die anderen Lager noch überfüllter werden.

Verlagerte Not

Ein ähnliches Abkommen mit dem Niger hat die humanitäre Notlage der Menschen ebenso nur verlagert. Obwohl die Europäische Union versprochen hatte, die Asylsuchenden in europäische Länder umzusiedeln, geht der Prozess nur schleppend voran. Mehr als 1000 Menschen, die aus Libyen in den Niger gebracht wurden, sitzen nun dort fest und warten darauf, dass etwas passiert.

"Wenn sich die Europäische Union schon sicher ist, dass die Lage in den libyschen Auffanglagern untragbar ist und die Menschen in Sicherheit gebracht werden müssen, warum bringt sie die Betroffenen nicht gleich nach Europa?", stellt Le Coz die rhetorische Frage. Zumindest hat Italien vor kurzem wieder 98 Flüchtlinge und Asylsuchende direkt aus Libyen ausgeflogen. (Bianca Blei, 27.9.2019)