Henrike Naumann fand die Möbel für die Schau in Wien unter anderem auf Willhaben: aus dem Wohnzimmer ins Museum.

Foto: Johannes Stoll, Belvedere, Wien

Die Installationen Henrike Naumanns sollen Räume für Gespräche und Diskussionen eröffnen – niederschwellig kann man sich ihnen über eigene Erinnerungen nähern, so der Plan. Fehlen diese Erfahrungen und Vorkenntnisse, zeigen die Videos allerdings vor allem Symptome und kaum Erklärungen und verfestigen so eher Klischeevorstellungen.

Foto: Johannes Stoll, Belvedere, Wien

Die Wohnzimmerabteilung des Mömax hat im Belvedere 21 offenbar ihre neueste Verkaufsfläche aufgeschlagen. Pressspanmöbel stehen herum, schwarze kurvige Kunstledersofas, ein Sessel in Form einer Hand. Postmodern verspielte Couchtische wollen als Designerstücke durchgehen, Hocker tragen Kunstfell. Das Beste der Reste! Wem gilt die fahle Wohnlichkeit mit den poppig geformten Vasen?

Unseren Nachbarn! Henrike Naumann hat damit ein Bild für ein derzeit populäres politisches Unbehagen gefunden. In Museen, Kunstvereinen und bei Festivals allerorts baut die Künstlerin ihre durchschnittlichen deutschen Wohnzimmer der frühen 1990er auf und führt damit die Normalität vor Augen, aus der rechte Ideologie und Politik wachsen. Naumann ist aktuell so etwas wie die Ossi- und Radikalisierungsbeauftragte der deutschen Kunstszene.

Nachbarin Beate Zschäpe

Die Geschmacklosigkeit des Settings schöpft Naumann aus ihrer Biografie. 1984 in Zwickau in der DDR geboren, erlebt sie das Wachsen des rechten Randes dort nach der Wende selbst mit. 2011 schließlich fliegt Beate Zschäpe aus ihrem Heimatort als Mitglied des NSU auf – und Naumann, die Bühnenbild studiert hat, nimmt die Kurve vom Theater zur Kunst.

Was der Mauerfall politisch bedeutete, verstand Naumann mit fünf nicht, aber sie sah, dass plötzlich alle ihre DDR-Möbel auf die Straße stellten und sich neue in den westlichen Möbelhäusern kauften. Nur durch dieses Wissen erschließt sich die Schau.

Inmitten solcher Möbel und enttäuschter Hoffnungen zeigt Naumann Videos über sich radikalisierende Jugendliche und Reichsbürger. Sie will Rechts nicht entschuldigen, aber den Nährboden dafür kritisieren. Es dürfe nicht nur die AfD wieder ansprechen, was bei der Wiedervereinigung an Fehlern passiert sei.

Historisches Potential

In diesen Retroräumen sollen Besucher zurückblicken, aber auch die Gegenwart klarer sehen: "Indem ich hässliche Möbel der 90er ins Museum stelle, zeige ich, dass jeder Moment Potenzial hat, historisch wichtig zu werden."

Dass die Schau Das Reich kurz vor der Nationalratswahl eröffnet hat, passt für Naumann. Denn warum die FPÖ nach dem Ibiza-Video nicht schlechter dasteht, begreift sie nicht: "Ich dachte, wenn sowas passiert, muss das alles ändern!" Daran könne man sehen, "wie es ist, wenn sich im Prinzip alle schon damit arrangieren mussten, dass rechte Politik an der Tagesordnung steht", glaubt sie. (Michael Wurmitzer, 26.9.2019)