Mit einem derartigen Paukenschlag war nicht unbedingt zu rechnen: Das Europäische Parlament hat am Donnerstag im zuständigen Rechtsausschuss gleich zwei Kandidaten für ein Amt in der neuen EU-Kommission vorzeitig abgelehnt beziehungsweise, formell gesehen, das Bewerbungsverfahren suspendiert – noch bevor diese überhaupt in vertieften Anhörungen auf ihre Eignung hin eingehend getestet wurden, die erst nächste Woche beginnen werden. Betroffen ist die Sozialdemokratin Rovana Plumb aus Rumänien und der Fidesz-nahe Ex-Justizminister Lazlo Trócsányi, ein Vertrauensmann des umstrittenen Premiers Viktor Orbán.

Sie hätte in Brüssel die Verkehrsagenden übernehmen sollen, er wäre für die EU-Erweiterung zuständig gewesen. Die im Juli im Plenum per Direktwahl bereits bestätigte Präsidentin Ursula von der Leyen, die mit ihrem Team am 1. November Jean-Claude Juncker offiziell ablösen soll, möge sich mit den Regierungen in Rumänien und Ungarn einen neuen Personalvorschlag überlegen, ließen die Abgeordneten des Rechtsausschusses die Deutsche mit deutlicher Mehrheit wissen. Punktum.

Vor Prüfung auf Herz und Nieren

Die verweigerten Kandidaten erfüllten nicht einmal die formalen Voraussetzungen für ein Spitzenamt in Brüssel. Es gebe Zweifel in ihren Lebensläufen. Korruptionsverdacht, ungeklärte Vermögensverhältnisse im Falle der Rumänin, die dazu auch noch die EU-feindlich Rhetorik ihrer Postkommunisten im Streit mit der EU um die Rechtsstaatlichkeit begeistert teilte. Auch bei Trócsányi gibt es Unklarheiten bezüglich der europäischen Werte und seines Verhältnisses zur Rechtsstaatlichkeit. Eine Prüfung auf Herz und Nieren in einer persönlichen Anhörung erübrige sich.

Damit setzten die Mandatare ein doppeltes überdeutliches Zeichen ihrer Macht: zum einen gegenüber den nationalen Regierungen, die bei der Auswahl von von der Leyen das "Spitzenkandidatenmodell" des Parlaments einfach vom Tisch gewischt hatten; und gegenüber von der Leyen selbst, die für ihr Team an Kandidaten voll verantwortlich ist.

Strenge Regeln

Zum Zweiten aber zeigen sie – und das ist das besonders Positive daran: Mit den EU-Parlamentariern ist nicht zu spaßen, wenn es um die Verteidigung von europäischen Werten, von Korrektheit im Umgang mit Regeln, um die Bekämpfung der Korruption, um die Ideale der Demokratie geht. Sowohl die Regierung in Ungarn als auch die vom im Gefängnis gelandeten Parteichef geführten rumänischen Sozialisten haben seit Jahren vorgeführt, dass ihnen die gemeinsamen Regeln im Zweifel egal sind. Jetzt haben sie dafür erneut eine teure Rechnung bekommen: Die Reputation wurde weiter beschädigt.

Die Unbeugsamkeit und Härte der EU-Parlamentarier zeigt sich darin, dass sie ihre Ablehnung so rasch und klar durchzogen. Eigentlich hätten die Anhörungen aller 26 Kandidatinnen und Kandidaten für ein Amt in der neuen EU-Kommission erst am Montag beginnen sollen. Für jede und jeden sind drei Stunden von Fragen und Antworten vorgesehen, ein in den Nationalstaaten vor Ministerernennungen unübliches Prüfungsverfahren. Es war erwartet worden, dass Plumb und Trócsányi Probleme bekommen werden, so wie auch die Französin Sylvie Goulard, die in der neuen Kommission für Binnenmarkt zuständig wäre, und der Spanier Josep Borrell, der neuer EU-Außenbeauftragter werden soll. Bei beiden wird wegen ungeklärter Spesen bzw. nicht gemeldeter Honorare auf nationaler Ebene ermittelt.

Weitere Opfer zu erwarten

Die Blockade gegen die beiden Kandidaten aus Osteuropa deutet darauf hin, dass die Anhörungen weitere "Opfer" fordern werden. Präsidentin von der Leyen muss sich darauf einstellen, dass sie ihr Team umbauen muss, noch bevor es seine Arbeit aufgenommen hat. Ungewöhnlich ist das im Prinzip nicht. Auch bei früheren Kommissionen wurde der eine oder andere Kandidat bereits abgelehnt. Von der Leyen könnte theoretisch auf ihren Vorschlägen beharren, aber das wird sie nicht tun. Denn am Ende des Ernennungsverfahrens muss sich das gesamte Kollegium der Wahl im Plenum des EU-Parlaments stellen und mit Mehrheit gewählt werden. Von der Leyen wird nicht riskieren, dass sie im Kollektiv durchfällt. (Thomas Mayer, 26.9.2019)