Regisseur und passionierter Kinogeher: Sebastian Brameshuber.

Foto: Elsa Okazaki

Autobesitzer kennen diese aufdringlichen Karten, die im Fenster stecken und einen zum Verkauf des Wagens überreden wollen. Dahinter versteckt sich eine Verwertungskette, die auch von einer gegenläufigen Richtung der Weltwirtschaft erzählt: Die angekauften Pkws werden in ihre Einzelteile zerlegt und auf weit entfernten Märkten, zum Teil in Afrika, wieder verkauft.

Sebastian Brameshubers Dokumentarfilm Bewegungen eines nahen Bergs rückt einen Mechaniker in den Mittelpunkt, der sich innerhalb dieser eher verborgenen Recyclingwirtschaft ein Standbein aufgebaut hat. Der Nigerianer Cliff betreibt unweit des steirischen Erzbergs eine Autowerkstatt, die mehr wie ein Autofriedhof wirkt. Für den 38-jährigen Filmemacher ist das der Ausgangspunkt eines "Berufsporträts": Anders als handelsübliche "Globalisierungsdokus", die in alle möglichen Richtungen ausfransen, konzentriert sich der Film auf Cliffs Präsenz. Auf dessen Handgriffe in der Garage, ein unermüdliches Schrauben, Ruckeln und Löten. Dazwischen: Momente des Feilschens und Argumentierens – und auch solche der Ruhe.

Filmgarten

"Die Konzentration auf die Halle fand ich am passendsten: weil durch die Fokussierung auf einen Ort auch äußere Aspekte mitschwingen", sagt Brameshuber über seinen reduktionistischen Ansatz. Mit dem Filmkritiker Manny Farber ließe er sich termitenhaft nennen: Man ackert so lange beharrlich auf einem Feld, bis darauf die Fundamente einer größeren Welt aufscheinen. Der nahe Erzberg liefert dazu eine mythische Dimension, bei der Wassermann-Sage ist vom Eisen die Rede, das niemals versiegt.

Bewegungen eines nahen Bergs, der auf dem Pariser Festival Cinéma du Réel dieses Jahr den Hauptpreis bekam, bedeutet für Brameshuber eine Art Aufbruch: Er arbeitet assoziativer als früher, lässt poetisierende Mittel zu und vertraut darauf, dass die Dauer der Einstellungen über eine eigene Logik des Sichtbarmachens verfügt. Die "Sachlichkeit", die er mit maßgebenden heimischen Dokumentaristen wie Ulrich Seidl, Nikolaus Geyrhalter und – schon weniger – mit Michael Glawogger verbindet, habe Brameshuber durch einen Aufenthalt in der französischen Kunsthochschule Le Fresnoy überwinden gelernt. Dort galt Stilisierung nicht als Frevel, im Gegenteil: Lehrende wie der Brite Ben Rivers werden gerade für ihre Gestaltungslust gegenüber dem Realen bewundert.

Der Abbildung misstrauen

"Mein Misstrauen gegenüber der Möglichkeit, Realität unmittelbar abzubilden, wurde von Film zu Film größer", sagt Brameshuber heute rückblickend. Für den in Le Fresnoy entstandenen Kurzfilm Of Stains, Scrap and Tires, in dem er bereits von Cliff und zwei seiner Mitarbeiter erzählte, griff er auf ein Brecht-Gedicht zurück, um die Nähe von Auto- und Rüstungsindustrie gedanklich anzureißen. Das hätte er sich ein paar Jahr davor noch nicht getraut: Bei seinem Debüt Muezzin (2009), einem Film über den Wettkampf unter Gebetsrufern, hätte er oft an die Verständlichkeit für den "Durchschnittszuseher" gedacht.

Muezzin war für Brameshuber, der Bühnenbild an der Wiener Angewandten studierte, ein Sprung ins kalte Wasser – er zog mit einem Freund zwei Jahre lang nach Istanbul und drehte zunächst ohne nennenswertes Budget. Die Arbeit wurde zur Schule, um filmische Mittel zu erproben. In Und in der Mitte, da sind wir hat sich Brameshuber anschließend der Jugend auf dem Land rund um Ebensee gewidmet – ein Film, der durch seinen vorurteilsfreien Blick auf Leerläufe und Orientierungslosigkeit zu überzeugen wusste. Danach galt er als eine der vielversprechendsten Stimmen einer jüngeren Generation heimischer Regisseure.

Cliff, der Mechaniker aus "Bewegungen eines nahen Bergs".
Foto: Filmgarten

Dass Brameshuber seinen Stil beständig verfeinert und inszenatorische Herangehensweisen erweitert, führt er auf sein Interesse am Avantgardefilm zurück. Thomas Draschans Found-Footage-Film Metropolen des Leichtsinns war einer der Filme, die bei ihm noch im Heimatort Gmunden die Lust am Experiment geweckt haben. Der Fokus auf die Form ist wohl auch das Ergebnis seines passionierten Kinogehertums. Brameshuber gehört wie Lukas Valenta Rinner oder Daniel Hoesl zu einer Riege an Autoren, die sich vermehrt international vernetzen.

Einen elitären Anspruch hegt sein Kino nicht: "Wenn mir etwas gefällt, gehe ich davon aus, dass es auch andere interessiert. In letzter Konsequenz bin ich ein recht durchschnittlicher Mensch." Brameshuber möchte weiterhin in Österreich arbeiten, weil er die Themen nicht anderen überlassen will. Als nächstes Projekt plant er einen Film über die Westautobahn – über eine "verborgene Geschichte" im Asphalt. (Dominik Kamalzadeh, 27. 9. 2019)