Die Rechtsordnung sei "nicht darauf ausgerichtet, einem vermuteten Volksempfinden Raum zu geben": klare Worte von Vizekanzler Clemens Jabloner.

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Plötzlich war Stille im Plenarsaal. Justizminister Clemens Jabloner meldete sich am Mittwoch spontan, um den Abgeordneten seine Einschätzung zum Gewaltschutzpaket mitzuteilen. Dreimal ergriff der 70-Jährige an diesem Tag das Wort. Die Ouvertüre hielt der Opernfan bei der aktuellen Stunde zu leistbarem Wohnen, dort musste er auch als zuständiger Minister reden. Er analysierte die gegenwärtige Entwicklung der Wohnpreise, sprach von der Notwendigkeit eines einheitlichen Mietrechts, agierte dabei aber weit weniger emotional als alle anderen Redner.

Seit Juni ist Jabloner Justizminister und Vizekanzler von Regierungschefin Brigitte Bierlein. Der verheiratete Vater von drei erwachsenen Kindern gilt als Paradejurist. Er arbeitete im Verfassungsdienst, war 20 Jahre lang Präsident des Verwaltungsgerichtshofs und von 1998 bis 2003 Chef der Historikerkommission. Auch aus persönlichem Interesse, beide Eltern mussten vor den Nazis flüchten – seine Mutter aus Berlin, sein Vater aus Wien.

Hüter der Verfassung

Außerdem ist er seit 1993 Geschäftsführer des Hans-Kelsen-Instituts. Wenn er über die österreichische Verfassung spricht, schwingt Begeisterung für den Gesetzestext und seinen Verfasser mit. Er sei eben vom "Gesamtsystem des Kelsen-Denkens mehr und mehr fasziniert", begründete Jabloner einst seine Vorliebe. Ein Schutzinstinkt für die Verfassung ließ den Vizekanzler am Mittwoch zum zweiten Mal das Wort ergreifen: Den Antrag der Freiheitlichen, Bargeld in der Verfassung zu verankern, hielt er für "rechtstechnisch verfehlt und bedenklich". Denn: "Im Staatsgrundgesetz von 1867 ist jeder Beistrich von größter Bedeutung", erklärte er, dort etwas hineinzuschreiben würde die Grundrechte entwerten. "Tun Sie es woanders hin, aber bitte nicht ins Staatsgrundgesetz", flehte der Freund der klaren Rechtssprache die Abgeordneten an. Ob es an seinem Intermezzo lag oder nicht, der blaue Antrag fand keine Mehrheit.

Moderater Linker

Der Justizminister wird der roten Reichshälfte zugeordnet. Dass er im Jahr 2000 auf dem Heldenplatz gegen Schwarz-Blau demonstrierte, verheimlicht er nicht. Er versteht sich als Beamter, der dem gesamtstaatlichen Interesse dient, und bezeichnet sich als moderaten Linken. Seine Expertise wird aber über Parteigrenzen hinweg anerkannt. Nur Sebastian Kurz, der in ihm einen Vertrauensmann der SPÖ in der Regierung sieht, schätzt ihn wenig.

Jabloners großes Finale im Plenum wird sein Ansehen beim Ex-Kanzler nicht gesteigert haben. Der Justizminister sprach die Sorgen aus, die ihm das Gewaltschutzpaket bereite. Die Eingriffe in das Jugendgerichtsgesetz seien gravierend, die Einführung von Mindeststrafen bei jungen Erwachsenen ein "zivilisatorischer Rückschritt". Strafrahmen zu erhöhen sei "einer vermuteten Stimmungslage in der Bevölkerung geschuldet", doch die Rechtsordnung sei nicht darauf ausgerichtet, "einem vermuteten Volksempfinden Raum zu geben". So sachlich, unaufgeregt und dennoch präzise umschreibt der Justizminister türkis-blaue Stammtischpolitik.

Der Vizekanzler kritisierte dabei nicht nur die populistische Art der Politik, er wies auch auf die Gefährdung des Rechtsstaates hin. Er fragte, wie die zuständigen Gerichte die neuen Gesetze anwenden sollen, wenn grundlegende Einwände von Experten einfach "vom Tisch gewischt" würden. Bei den ehemaligen Oppositionsparteien löste dieser Befund Applaus aus. Die früheren Regierungsparteien gaben sich unbeeindruckt. Sie stimmten für das Gewaltschutzpaket, ohne auch nur einen Kritikpunkt einzuarbeiten. (Marie-Theres Egyed, 26.9.2019)