Finale im Nationalrat vor der Wahl: Wechselnde Mehrheiten im Parlament brachten mehr Geld für die Senioren – und Kopfzerbrechen hinterher.

Foto: Matthias Cremer

Dem Gasthaus Leupold, eine Institution in der Wiener Innenstadt, droht ein Exodus. Gleich drei Kellner – Herr Gerhard, Herr Peter, Herr Johann – wollen früher als geplant mit kommendem Jahr in den Ruhestand gehen. Er müsse nun nicht nur in einem Aufwasch drei Jahresgehälter als Abfertigungen zahlen, "das Lokal verliert mit einem Schlag auch seine Seele", klagt Chef Harald Leupold: "Da werden Menschen, die normalerweise noch weiterarbeiten würden, zum Gang in die Pension verleitet."

Möglich macht es jene günstige Frühpensionsregelung, die der Nationalrat vor einer Woche auf die Schnelle beschlossen hat: Wer 45 Arbeitsjahre auf dem Buckel hat, darf ohne Verluste bereits ab 62 Jahren in Pension gehen und nicht erst mit dem gesetzlichen Pensionsalter von 65. Bisher wurde für drei Jahre zu früh ein Abschlag von 12,6 Prozent fällig.

Nicht nur Lob in Rot

Während manche Experten eine ähnliche Kritik wie Restaurantbesitzer Leupold anbringen, spricht Urheber Josef Muchitsch, Sozialsprecher der SPÖ, von einem Akt der Gerechtigkeit. Doch wer sich in roten Kreisen umhört, stößt auch auf kritische Stimmen. Offen sagt das vor der Wahl niemand – doch mancher glaubt, dass da ein Irrweg beschritten wurde.

Es gibt mehrere Gründe, warum die Beschlüsse umstritten sind.

· Soziale Ausgewogenheit: Auf der einen Seite sind 45 Arbeitsjahre eine lange Zeit, auf der anderen aber wird nun einiges Geld für eine relativ kleine Gruppe mit relativ hohen Pensionen und vielfach sicheren Jobs ausgegeben. Laut Arbeiterkammer erhält ein Langzeitversicherter im Alter von 62 Jahren nach 45 Arbeitsjahren im Schnitt einen Bezug von 2.553 Euro brutto monatlich. Der Wegfall der Abschläge bringt nun noch einmal 368 Euro im Monat, macht in Summe also 2.921 Euro brutto. Zum Vergleich: Die durchschnittliche Alterspension der Männer insgesamt liegt lediglich bei 1.678 Euro im Monat (Stand Ende 2018).

· Gender-Gap: Betroffen sind vorerst nur Männer. Für Frauen gilt derzeit noch das niedrigere Pensionsalter von 60 Jahren, ab dem ein Bezug ohne Abschläge möglich ist; ab 2024 wird dieses schrittweise angehoben, um 2033 das Niveau der Männer zu erreichen. Doch Frauen arbeiten häufiger Teilzeit und in schlecht bezahlten Branchen, unterbrechen die Karriere öfter wegen Kinder und anderer Betreuungspflichten. Die Folgen sind weitaus niedrigere Alterspensionen, der Schnitt liegt bei 1.028 Euro im Monat. Statt wieder Geld für die Männer in die Hand zu nehmen, so die Kritik, hätte man gezielt etwas für die Frauen unternehmen können.

· Langfristige Kosten: Die neue Regelung gemahnt an die in der Vorwahlzeit 2008 ausgeweitete Hacklerregelung, die zu explodierenden Ausgaben geführt hat. So dramatisch dürfte es nicht kommen, denn es gibt Unterschiede. Damals war der Pensionsantritt ab 60 möglich, außerdem wurden auch Zeiten für Ausbildung, Präsenz- und Zivildienst in die 45 Arbeitsjahre eingerechnet; diesmal sollen nur fünf Jahr für Kindererziehung möglich sein.

Dennoch: Was mit 70 Millionen im ersten Jahr moderat klingt, summiert sich – wenn man Zahlen aus dem Finanzministerium hochrechnet – in 15 Jahren auf eine satte Milliarde pro Jahr. Das ist zu einem Zeitpunkt, wenn die Alterung der Bevölkerung besonders stark aufs Pensionssystem drückt, eine beträchtliche Größe.

Ein rotes Déjà-vu

Dazu kommen 400 Euro pro Jahr für die Pensionserhöhung über die Inflationsrate hinaus und die Kosten für ein weiteres Goodie: Neo-Pensionisten müssen künftig nicht mehr mindestens ein Jahr warten, bis sie erstmals die Teuerung abgegolten bekommen. Im ersten Jahr kostet dies 30 Millionen, in 15 Jahren aber schon 450 Millionen pro Jahr.

Ein Déjà-vu: Bereits vor der Wahl 2008 hatte die SPÖ das Aus der Wartefrist durchgesetzt, was sie aber nicht vor einem Wahldebakel bewahrte. Zwei Jahre später passierte, was Skeptiker geahnt hatten: Die rot-schwarze Regierung nahm das Zuckerl aus Spargründen zurück. (Gerald John, 27.9.2019)