Augen zu und durch: Am Sonntag gibt es in Österreich wieder Nationalratswahlen!

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Es ist so weit. Ich werde versuchen, ein Kreuz in einen Kreis zu klemmen. Das wird nicht einfach, weil meine Hand vor Wut zittern wird. Aber ich habe darin ob meines Alters eine gewisse Routine. Warum aber diese unerklärliche Wut? Ich bin ja nicht der Einzige, der sie fühlt. Wir fühlen uns ausgebeutet, überfordert, ausgeschlossen und alleingelassen.

Aber jetzt einmal der Reihe nach: Die Konzerne versuchen, den Manchesterliberalismus wiederzubeleben – und es gelingt ihnen vorzüglich. Sich dabei nicht ausbeutet und ausgelutscht vorzukommen gelingt wohl nurmehr Extremmasochisten. Das "KLARHEIT SCHAFFEN" ist da wirklich nicht mehr notwendig. Das sollte wohl allen schon klar sein. Ist es aber scheinbar nicht.

Schon gehört?

Wir sind überfordert von technischem Fortschritt, von medialem Overkill und sehnen uns nach "KLARHEIT". Einem wohlmeinend-schnuckeligen Führer, der uns diese gibt und uns auch noch ein paar Feindbilder schenkt – Ausländer, Umweltaktivisten oder zur Not auch Raucher.

In der Zwischenzeit verrichten wir nicht nur unsere Arbeit, sondern auch die der Banken und zahlen sie noch dafür. Wir kaufen Geräte, die zwei Minuten nach dem Kauf ihren Geist aufgeben und bemühen, uns den Verpackungswahnsinn der Produzenten zu recyceln. Wir drücken mehrmals am Tag den "Passwort vergessen"-Button und trösten uns des Abends mit Industriebier.

In Vergessenheit geraten

Die schönen Dinge des Lebens sind allerdings einer Handvoll Besserverdienern überlassen. Wir dürfen ihnen aber gerne in den Medien dabei zusehen. Rauschende Feste und kulturelle Höhepunkte werden für uns in Seitenblicke-Magazinen präsentiert. Und es ist "KLAR", dass wir dabei nicht erwünscht sind. Für uns bleiben Bierfeste, Dämmerschoppen und die Konzerte eines lederbehosten Dolms.

In meiner Kindheit bekamen wir einmal im Monat Besuch. Der SPÖ-Funktionär kam vorbei, um den Mitgliedsbeitrag zu kassieren, und wir klebten kleine rote Marken in unser Mitgliedsbuch. Dabei konnte man mit ihm seine Sorgen und Probleme besprechen. Einige Jahre später wurde dann der Funktionär gegen postalisch zugestellte Erlagscheine, die eher weniger an unseren Sorgen interessiert waren, ausgetauscht.

Es dauerte nicht allzu lange, bis alle vergessen hatten, wem sie die günstigen Wohnungen, die Pensionen und Krankenversicherungen verdankten. Die Wut und die Unzufriedenheit allerdings bleiben jedoch trotz der Segnungen der Konsumgesellschaft.

Der Trost von Markenartikeln aus Kinder- und Inderhand erweist sich auch zunehmend als äußerst kurzlebig. Aber nur wenige können den Zorn zuordnen. Wie verletzte Tiere beißen wir in die helfenden Hände und wählen dafür "KLARHEIT".

Die tausenden Wahlplakate sind auch nicht eben hilfreich und scheinen eher nicht ganz klar in ihren Aussagen. Da verwundern die verwirrten Ergänzungen nicht besonders. Hitlerbärtchen auf Rendi-Wagner, Judenstern auf Kurz-Plakaten ... Da fehlt noch "Judensau" auf Kickl ...

Ich persönlich komme ganz gut ohne Klarheit aus, noch dazu, wenn sie mit tödlicher Langeweile statt Inhalten einhergeht. Natürlich werde auch ich schlecht behandelt. So bezahlen mir Medien seit Jahrzehnten den gleichen Betrag als Honorar (ausgebeutet), ich habe abgesehen von der zahmen Fliege in meinem Laden seit drei Jahren kein Haustier mehr (alleingelassen), André Heller lädt mich nicht in seinen Schrebergarten ein (ausgeschlossen), und ich muss jetzt auch noch mit einem Artikel die Republik retten (überfordert). Trotzdem kann ich noch "KLAR" denken und werde keine Politiker wählen, die es nicht gut mit uns meinen. (Rudi Klein, 28.9.2019)