Von 17 ursprünglich gemeldeten Kandidaten sind 15 übriggeblieben, aber die Präsidentschaftswahl am Samstag in Afghanistan werden nach allen Prognosen zwei unter sich ausmachen: Amtsinhaber Ashraf Ghani und sein Regierungschef Abdullah Abdullah. Der Wahlfahrplan sieht vor, dass es bis 17. Oktober vorläufige Endergebnisse geben soll, damit gegebenenfalls am 23. November Stichwahlen stattfinden können. Aber ob diese Daten halten, ist in Afghanistan immer fraglich.

Ghani und Abdullah waren bereits die großen Kontrahenten der Wahl von 2014 – deren Endresultat nach Nachzählungen und Ausscheiden von offensichtlich gefälschten Teilergebnissen nie veröffentlicht wurde. Nur die Intervention der USA, konkret des damaligen Außenministers John Kerry, verhinderte das Abrutschen Afghanistans in einen neuen Konflikt (neben dem ohnehin ständig laufenden mit den Taliban): Ghani und Abdullah, der Wahlbetrug beklagte, wurden in eine gemeinsame Regierung der Nationalen Einheit gezwungen. Es war eine unglückliche Ehe, die ständigen Streitereien, etwa bei Postenvergaben, lähmten die Regierungsarbeit. Eine Fortsetzung in dieser Konstellation ist unwahrscheinlich – Ghani etwa hat das vor wenigen Tagen ausgeschlossen. Aber auch alles andere wird schwierig, manche befürchten eine neuerliche Destabilisierung nach der Wahl.

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Ashraf Ghani auf einem Wahlplakat in Kabul.
Foto: AP/Gul

Die beiden Kontrahenten

Ashraf Ghani Ahmadzai (70) ist ein im Westen sozialisierter Anthropologe, der nach einem Vierteljahrhundert im Ausland nach dem Sturz der Taliban 2001 nach Afghanistan zurückkehrte. Die Vizekandidaten des Paschtunen sind Amrullah Saleh, ein Tadschike, und Vizepräsident Sarwar Danish, ein Hazara. 2014 war der umstrittene – weil stets unter dem Verdacht von Kriegsverbrechen stehende – Usbeke Abdul Rashid Dostum an Ghanis Seite gestanden und danach Vizepräsident geworden. Heute unterstützt er Ghanis Rivalen Abdullah.

Abdullah Abdullah (59) ist studierter Augenarzt, er gehörte vor 2001 der Nordallianz an, die gegen die Taliban kämpfte. Er ist von der Vaterseite her Paschtune, seine Mutter war jedoch Tadschikin. Als Vizekandidaten treten Enayatullah Babur Farahmand, ein Usbeke und Dostums langjähriger Bürochef, und Asadullah Saadati, ein Hazara, mit ihm an. Für die Präsidentschaftskandidaten ist wichtig, dass ihre Vizes möglichst viel Unterstützung in den jeweiligen ethnischen Gemeinschaften mobilisieren können.

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Abdullah Abdullah in seinem Haus in Kabul. Das Bild im Hintergrund zeigt einen jüngeren Abdullah Abdullah mit dem am 9. September 2001 ermordeten Ahmad Shah Massoud.
Foto: AP/Noroozi

Die große offene Frage ist die Wahlbeteiligung. Ist sie zu niedrig, ist das schlecht für die Legitimität des Ergebnisses. Bei der Präsidentschaftswahl 2014 waren noch 58 Prozent zu den Urnen gegangen, bei der Parlamentswahl im Oktober 2018 sackte die Beteiligung auf 39 Prozent ab. Die Wähler und Wählerinnen riskieren viel, vor allem natürlich in den Gebieten, in denen die Taliban Einfluss haben. Der in nicht sofort abwaschbare Tinte getauchte Finger, der das Mehrfachwählen verhindern soll, wird leicht zur Sicherheitsgefahr: Bei früheren Wahlen kam es vor, dass Taliban als Wähler erkennbaren Personen diesen Finger abschnitten. Auch diesmal versuchen die Taliban, die die Regierung Ghani als Marionette der USA sehen, die Menschen einzuschüchtern. Es werden Anschläge auf Wahllokale befürchtet. 72.000 Mitglieder der Sicherheitskräfte wurden zuerst zu deren Überwachung abgestellt, später hieß es, über 100.000, aber solche Zahlen sind mit Vorsicht zu genießen.

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Diesem Wähler schnitten die Taliban bei der letzten Wahl vor fünf Jahren ein Glied des Zeigefingers ab. Sein Gesicht will er nicht zeigen.
Foto: AP/Noroozi

Frustration und Chaos

Die schlechte Sicherheitslage brachte manche ausländischen Beobachter dazu, die Verschiebung der Wahl zu empfehlen. Aber auch die Frustration über die schlechte Performance und die Korruption der Regierung könnte potenzielle Wähler vom Urnengang abhalten – und das Gefühl, dass sowieso getrickst werden wird. Die Liste der knapp 9,7 Millionen registrierten Wähler und Wählerinnen wirft Fragen auf, berichtet das "Afghanistan Analysts Network": Diese Zahl passt nicht zu früher herausgegebenen, sie ist zu hoch. Potenzielles Chaos gibt es auch, was die Wahllokale betrifft. Von ursprünglich etwa 7.400 ging man auf 5.373 herunter: 2.000 werden wegen zu großer Gefährdung nicht geöffnet. Aber auch da ist nicht sicher, wie viele davon am Sonntag wirklich operationsfähig sein werden und was mit den Wählern passiert, die dort nicht wählen können.

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Präsident Ashraf Ghani verweigerte die Teilnahme an einer TV-Debatte mit Abdullah Abdullah und Gulbuddin Hekmatyar.
Foto: Reuters/Sobhani

Mindestens 118.000 Wahlbeisitzer und -beobachter wird es geben, darunter auch solche von internationalen Organisationen. Aber auch die Vertreter der Kandidaten, deren Objektivität zumindest teilweise angezweifelt werden darf, werden die Wahllokale bevölkern. Unter den Kandidaten findet sich etwa auch der altbekannte Warlord Gulbuddin Hekmatyar.

2018 wurden erstmals biometrische Geräte zur Wählererfassung verwendet: Was ein Mittel gegen Wahlfälschung sein sollte, führte zu noch mehr Problemen. Für die aktuelle Wahl sollen Verbesserungen eingeführt worden sein. Aber alleine wenn man bedenkt, dass zum Funktionieren dieser Technologie eine gute und stabile Internetverbindung im Wahllokal Voraussetzung ist, ahnt man die Schwierigkeiten. Und es gibt noch andere, etwa die, dass sich sehr konservative, verschleierte Frauen nicht auf diese Art erfassen lassen wollen.

Nach Trumps "Njet"

Für Ashraf Ghani, den alten und vielleicht neuen Präsidenten, ist aber alleine die Abhaltung der Wahlen ein gewisser Triumph: Er musste während der vergangenen Monate aus den Kulissen zusehen, wie die USA, vertreten durch den Sonderbeauftragten Zalmay Khalilzad, und die Taliban in Doha (Katar) verhandelten: auf Verlangen der Taliban ohne Einbeziehung der afghanischen Regierung. Eine Einigung – die Anfang September kurz bevorzustehen schien – hätte die Sinnhaftigkeit der Wahl prinzipiell infrage gestellt. Ghani pochte jedoch darauf, dennoch auf diesem Weg (seine) Legitimität herzustellen.

Graphik: Standard

Ein Deal hätte den US-Truppen den von Präsident Donald Trump fürs Wahljahr 2020 gewünschten nahezu kompletten Abzug erlaubt: Die Taliban hätten den USA dafür garantiert, dass sie jihadistischen Gruppen wie Al-Kaida, die sie bis zu ihrem Sturz 2001 beherbergten, keinen Platz in Afghanistan mehr geben würden. Trump hatte die Verhandlungen jedoch gestoppt, zu deren Krönung sogar schon ein Treffen im symbolträchtigen Camp David vorgesehen war. Ganz vom Tisch sind sie wohl nicht. Erst nach ihrer Einigung mit den USA würden die Taliban mit der afghanischen Regierung verhandeln.

Der Gedanke, dass die ultrakonservativen radikalen Taliban offiziell von den USA eingesetzt werden könnten, jagt vor allem vielen afghanischen Frauen Schauer über den Rücken. Gerade in den vergangenen Wochen und Monaten haben die Taliban wieder die Schlagkraft ihrer Anschläge und Angriffe erhöht. Auch in den neun Gesprächsrunden in Doha rückten sie nicht von der Forderung ab, Afghanistan als "islamisches Emirat" führen zu wollen.

Polio-Impfung erlaubt

Allerdings gibt es Anzeichen, dass sie versuchen, sich auch von einer konzilianteren Seite zu zeigen: So haben sie die Weltgesundheitsorganisation, die auch in den Taliban-kontrollierten Gebieten eine Polio-Impfkampagne durchführt, zwar zuerst hinausgeworfen, aber nun doch wieder zugelassen.

Zu den US-Verhandlungen mit den Taliban gibt es viele offene Fragen, die auch das demokratisch dominierte Abgeordnetenhaus in Washington beantwortet haben möchte. Verhandler Khalilzad, der Einladungen zuvor nicht stattgegeben hatte, wurde deshalb vor kurzem zwangsvorgeladen. Es kam jedoch zu einer gütlichen Einigung, in deren Rahmen er am 19. September hinter verschlossenen Türen Bericht erstattete. Die Meinung dazu, ob es vertretbar ist, ausgerechnet die Taliban als Wächter am Hindukusch einzusetzen, bleibt gespalten. (Gudrun Harrer, 28.9.2019)