Da greift man sich doch an den Kopf, wenn man auf die Gegenwart schaut: Hosea Ratschiller.

Foto: Ernesto Gelles

Schon Karl Marx dürfte mit seiner Forderung "Neue Menschen brauchen wir!" klar gewesen sein, dass mit dem real existierenden Homo sapiens sapiens etwas grundsätzlich nicht ganz stimmen kann. Niederträchtig, wie dieser ist, scheiterte er fortan nicht nur im real existierenden Sozialismus, sondern zeigt auch im real existierenden Turbokapitalismus gern sein hässliches Gesicht: Hallo Armut, hallo Krieg, hallo Umweltzerstörung.

Zu all dem wird Hosea Ratschiller im Kabarett Niedermair noch kommen. Zunächst plagt er sich in seinem neuen Soloprogramm aber mit "Brot vom besseren Bäcker" herum, das so sehr bio ist, dass ihm mit billigen Messern nicht beizukommen ist. Daneben nervt auch noch der Staubsaugerroboter, der wieder einmal nur dumm im Kreis fährt, oder das eigene Kind, zu dem der sonst so "coole Papi" zum ersten Mal etwas lauter gewesen ist. Kurzum: Als ehrlich bemühter neuer Mensch hat es Ratschiller nicht leicht, als Bobo wider Willen qua innerer Zerrissenheit schon gar nicht.

So geht Gegenwartsdiagnose

Also versteigt sich Ratschiller in Gedankengängen, wundert sich etwa über die "Gelassenheit, mit der Kaufleute am 27. Dezember das Christuskind im Schaufenster gegen eine Sau aus Marzipan austauschen". Er parodiert Pubertierende im Stimmbruch oder den alten Mann mit Stock, der ihm, dem Jungen, erklärt, dass "nicht alles schlecht war – damals im Sozialstaat". Die Sozialdemokratie habe man aber "abgewickelt", mit der Christdemokratie sei man gerade dabei, "wir übergeben euch Jungen den Arbeiter als Kleinbürger". So geht Gegenwartsdiagnose!

Zum Abschluss schlüpft Ratschiller in diesem klugen Programm noch in die Rolle eines Grönlandhais. Der kann bis zu 400 Jahre alt werden und hat, theoretisch, von der Aufklärung bis zur Klimakrise den ganzen Menschheitswahnsinn mitbekommen. Senil dahinschwimmend, erkennt er nun nur noch eins: "Ah schau, das Eis ist auch nicht ewig." (Stefan Weiss, 28.9.2019)