Schauplätze der NS-Todesverwaltung, von Heimrad Bäcker fotografisch dokumentiert: Seziertisch in Mauthausen.

Foto: Claudia Rohrauer

Von Heimrad Bäcker fotografiert: Steinbruch mit Gebäuderückseite.

Foto: Mumok

Heimrad Bäcker dokumentierte mit der Kamera auch einen Hinrichtungsraum Berlin-Plötzensee.

Foto: Mumok

Die einstige "Todesstiege" zum Steinbruch Wiener Graben des KZ Mauthausen fotografierte Heimrad Bäcker in den 1970ern.

Foto: Mumok/Claudia Rohrauer

Der Natur sagt man nach, sie verhalte sich gegenüber der Mehrzahl der menschlichen Angelegenheiten gleichgültig, um nicht zu sagen: mit empörender Ignoranz. Erst auf den zweiten Blick enthüllt sie, beinahe widerwillig, ihre enorme Beredtheit. Auf den Schwarzweißfotos des Linzer Dichters, Lichtbildners und Verlegers Heimrad Bäcker (1925–2003) sind die Entstellungen, die der NS-Mordbetrieb im Landschaftsbild von Mauthausen und Gusen hinterlassen hat, mit karger Gründlichkeit festgehalten.

Funktionsgemäß verhalten sich Bäckers Aufnahmen wie Negativbilder. Ihre Menschenleere bezeugt das Leiden der Opfer, die der NS-Vernichtungsapparat mit der ganzen Gründlichkeit seiner bürokratisch verfassten Struktur systematisch ihrer Menschenwürde beraubt hat.

Bäcker benutzte als Poet wie als Fotograf die Methoden der Avantgarde, zumal diejenigen der Konkreten Poesie. Die kleine, schlichte Heimrad-Bäcker-Ausstellung, die jetzt im zweiten Untergeschoss des Wiener Museums moderner Kunst läuft, nennt sich "es kann sein, dass man uns nicht töten wird und uns erlauben wird, zu leben". Dieser vollkommen unerhörte Satz ist, wie alle von Bäcker gesammelten Fundstücke, zweifelsfrei dokumentiert. Er wurde 1944 von einem Unbekannten aus dem Ghetto Lodz geäußert.

Die in ihm ausgedrückte Hoffnung, das Elementarrecht auf Leben "erlaubt" zu bekommen – wie man vielleicht den Zugang zu einem Luxusgegenstand eingeräumt erhält –, bezeugt den kompletten Kollaps zivilisatorischer Kategorien. Das Feld aber, auf dem die Praxis der Entmenschlichung ihre ganze Monstrosität enthüllt, ist dasjenige der Sprache.

Zweibändiges Grundlagenwerl

Bäcker hat in seinem zweibändigen Grundlagenwerk "nachschrift" (erschienen 1986 und 1997) das Idiom der Endlösungstäter seiner Inhumanität überführt. Er hat im Archiv der Zahlenreihen und Protokolle, der Reichsbahnverzeichnisse und Totenlisten Einsicht genommen. Er hat, ohne sich in falscher "Einfühlung" zu üben, das Kauderwelsch der Täter ausfindig gemacht, es aus dem Wust der Verlautbarungen hervorgekratzt.

Bäcker hat das verdruckste Herumgerede dokumentiert, den gestelzten Jargon der Ableugnung, dem man jederzeit noch seine dämonische Beflissenheit anmerkt: in Wörtern wie "Ausrottungserleichterungen".

All das hat Heimrad Bäcker neu präpariert und in sparsamste Text- und Bildanordnungen übersetzt. Und so bildet die Ausstellung im Mumok ihrerseits ein (notwendiges) Postskriptum: Seit 2015 befindet sich der fotografische Nachlass Bäckers, ein Konvolut von 14.000 Artefakten, als Schenkung des Stiefsohns Michael Merighi in der museumseigenen Sammlung.

Die von Marie-Therese Hochwartner, Nora Linser und Susanne Neuburger mustergültig konzipierte Schau errichtet aus Sätzen, Schriftbildern und Fotoserien einen Parcours auf Pressspanplatten. Dem von manchen so gerne Vorschub geleisteten "Vergessen" des Holocaust enspricht die allmähliche Verwitterung, die sich über die Reste der Lagerarchitektur hermacht. Die toten Gleiskörper in Mauthausen und Umgebung, die Narben im Granit der Felswände verhalten sich ihrerseits wie Schriftzeichen.

Tabellen und Schleifen

Ihre Krümmungen und Schleifen schießen mit Bäckers Listen und Tabellen zusammen. Sie alle bilden einen einzigen Text des Eingedenkens, der für immer unvollständig bleiben muss, da die Nennung aller Opfer unmöglich ist.

"vor allem haben sich die liquidierungen eingespielt": Die Bestialität solcher Sätze wird von der Nüchternheit der zurückgelassenen Gegenstände nicht dementiert, sondern bleibt in ihnen aufgehoben. Ein langes Seilfragment liegt als Knäuel in einer Ecke des Ausstellungsraums. Holzböcke künden von verschwundenen menschlichen Tragelasten. Und die Treppenstufen der Mauthausener Todesstiege bilden, fotografisch gesehen, einen langen Textblock, gebildet aus unregelmäßigen Zeilen.

Heimrad Bäckers Nachschrift des Holocaust will wieder und wieder gelesen sein. (Ronald Pohl, 28.9.2019)