Es gibt 2,7 Milliarden Smartphone-Nutzer, und das nur zwölf Jahre nachdem das erste Handy dieser Art auf den Markt kam.
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Das Smartphone verändert nicht nur Verhaltensweisen, sondern hat auch Einfluss auf die Neurobiologie des Menschen. Wie genau, das ist eine der Forschungsfragen von Christian Montag. Der Professor für Molekulare Psychologie der Universität Ulm widmete sich am vergangenen Montag in einem Vortrag an der Universität Innsbruck der "Vermessung des Homo digitalis". Eine der zentralen Fragen dabei: Können Smartphone und Social Media Suchtverhalten auslösen?

STANDARD: Was verführt zur übermäßigen Nutzung von Smartphone und Social Media?

Montag: Mechanismen wie die Vergabe von Likes auf Facebook verlängern die Nutzungszeit. Ein weiteres Beispiel ist die Doppelhaken-Funktion auf Whatsapp. Nach dem Versenden einer Nachricht signalisieren blaue Haken, dass die Nachricht gesehen wurde. Der Empfänger gerät unter Zugzwang. Der Sender könnte sich fragen: Warum schreibt mein Gegenüber nicht zurück, obwohl die Nachricht gelesen wurde? Ich bin überzeugt, dass Nachrichten dadurch schneller generiert werden.

STANDARD: Kann man von Verhaltenssucht wie beim Glücksspiel sprechen?

Montag: Pathologisches Glücksspiel ist schon lange als Erkrankung anerkannt. Bei den Onlinesüchten ist das nicht der Fall. Mit einer Ausnahme: Durch eine Entscheidung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gilt nun die Computerspielabhängigkeit als offizielle Diagnose. Interessanterweise "drückt" man sich in diesem Zusammenhang aber um eine klare Definition als Sucht. Man spricht von Gaming-Disorder, also einer Störung, die wiederum im Bereich der Verhaltenssüchte anzusiedeln ist. Für mögliches Suchtverhalten im Zusammenhang mit Smartphones, Social Media, Onlineshopping oder -pornografie ist noch ungeklärt, ob es einer eigenen Diagnose bedarf.

STANDARD: Wie schätzen Sie die Entwicklung ein?

Montag: Die Forschung zeigt, dass es durchaus Problemverhalten in diesen Kontexten geben kann. Da die Computerspielsucht nun anerkannt ist, kann sie auch als Blaupause dienen, um andere internetbezogene Störungen besser zu beforschen. Aus Sicht der Wissenschaft ist es aber auch wichtig, Alltagshandlungen nicht vorschnell zu pathologisieren. Ende des 19. Jahrhunderts gab es die Meinung, dass man abhängig vom Bücherlesen sein kann. Ähnliches wurde für TV-Abhängigkeit diskutiert. Es ist also Vorsicht geboten.

STANDARD: Aber Gesellschaften lernen, mit neuen Phänomenen umzugehen.

Montag: Ja. Auf der einen Seite ist es eine große Leistung der Menschen, dass sie sich immer wieder an neue Umwelten erfolgreich anpassen. Auf der anderen Seite ist die Digitalisierung aber von besonders schnellen Innovationszyklen geprägt. Der Prototyp des Smartphones kam 2007 auf den Markt. Zwölf Jahre später gibt es 2,7 Milliarden Nutzer. In der Geschichte der Menschheit hat sich keine Innovation so schnell durchgesetzt. Die Frage ist: Können wir uns bei dieser Geschwindigkeit überhaupt gut anpassen?

STANDARD: Ist es nicht auch eine kulturelle Frage, wie schnell man sich anpasst?

Montag: Manche Kulturen umarmen technische Innovationen schneller als andere. Aber man muss gar nicht auf die kulturelle Ebene gehen. In eigenen Studien haben wir gezeigt, dass Menschen mit bestimmten Persönlichkeitseigenschaften neue Technologien eher nutzen als andere. Das sind aber immer Wahrscheinlichkeitszusammenhänge. Die Sucht entsteht aus vielen Faktoren, die personen- und umweltbedingt sind. Auch die Genetik spielt eine Rolle. Eine unserer Studien belegt, dass jene Gencluster, die mit Selbstregulationsfähigkeiten zu tun haben, auch mit Anfälligkeit für Onlinesucht assoziiert sind.

STANDARD: Wird sich das Gehirn langfristig durch die Interaktion mit digitalen Welten verändern?

Montag: Was man im Alltag erlebt, wird aufgenommen und molekular im Gehirn verarbeitet und abgelegt. Mit der Zeit führt das zu strukturellen Veränderungen des Gehirns. Die Herausforderungen, die die digitalen Technologien an uns stellen, sind vielfältig und damit auch die damit einhergehenden Spuren in unserem Gehirn. In einer eigenen Arbeit konnten wir zeigen, dass ein geringeres Volumen des Belohnungssystems im Gehirn es wahrscheinlicher macht, dass Menschen länger und hochfrequenter die Facebook-App verwenden. Wir wissen aber noch nicht, ob das eine Folge der Nutzung ist. Dafür brauchen wir einen Längsschnitt, also eine Beobachtung über längere Zeit hinweg.

STANDARD: Wie könnte eine Längsschnittstudie aussehen?

Montag: Für ein Computerspiel, das im Ruf steht, suchtgefährdend zu sein, haben wir eine derartige Studie gemacht. Wir konnten zeigen, dass es bei Spielneulingen innerhalb von sechs Wochen Computerspieltraining zu einer Volumensreduktion in einem Teil des orbitofrontalen Cortex kam – eines Areals, das bei der Suchtentstehung eine Rolle spielt. Um zu sehen, ob eine Form der Digitalnutzung die Neurobiologie verändert, benötigen wir solche Studien auch beim Umgang mit Smartphone und Social Media.

STANDARD: Wie steht es um das Wissen über Auswirkungen der digitalen Technologie auf Kinder?

Montag: Da sind wir leider zu einem großen Teil noch in einem spekulativen Bereich. Vielleicht revidiere ich diese Meinung bei neuen Forschungserkenntnissen, aber ich habe mich dafür ausgesprochen, dass Kinder vor dem zwölften Lebensjahr kein eigenes Smartphone besitzen sollten. Als Säugetiere haben Menschen im Kindesalter ein genetisch verankertes Grundbedürfnis zu spielen. Das Toben und Raufen der Kinder ist etwa für die Gehirnreifung wichtig. Digitale Angebote, die auf eine möglichst lange Bildschirmzeit abzielen, konterkarieren die Möglichkeit, den eigenen Spieltrieb auszuleben. Es geht nicht darum, die Daumen zu trainieren, sondern den ganzen Körper. Meine Befürchtung ist, dass soziale Kompetenzen und motorische Leistung leiden. Bevor wir den Sachverhalt genau geklärt haben, plädiere ich deswegen dafür, vorsichtig zu sein und Kindern lieber eine gute analoge Zeit zu geben.

STANDARD: Kann man das Smartphone nicht auch positiv als eine Verlängerung des Gehirns sehen?

Montag: Nutzt man das Gerät ordentlich, macht es einen sehr produktiv. Es gibt aber einen Scheitelpunkt bei der Nutzung, wo es ins Negative kippt. Im Moment scheint mir dieser Scheitelpunkt durch Fragmentierung des Alltags gekennzeichnet zu sein. Wir haben in noch unveröffentlichten Daten die Smartphone-Nutzung von etwa 100 Studierenden verfolgt. Im Durchschnitt haben diese etwa 100-mal am Tag ihre Smartphones aktiviert. Diese hohe Zahl zeigt, dass die dazwischen liegenden Zeiteinheiten viel zu kurz geworden sind, um vertieft arbeiten zu können. Wir müssen jetzt neue Umwelten schaffen, die in einem digitalen Zeitalter wieder längerfristige Konzentration ermöglichen.

STANDARD: Wie sieht eigentlich Ihre persönliche Smartphone-Nutzung aus?

Montag: Ich versuche, die Ergebnisse meiner Forschungen für mich umzusetzen. Ich trage beispielsweise wieder eine Armbanduhr, denn der Blick auf die Smartphone-Uhr verführt oft zu weiterer Interaktion. Ich habe das Smartphone auch aus dem Schlafzimmer verbannt. Es sind kleine Dinge, die jeder für sich tun kann. Gleichzeitig bin ich überzeugt, dass die bestehenden Probleme auch eine Regulierung seitens der Politik brauchen. Wir müssen die Geschäftsmodelle der großen Tech-Konzerne infrage stellen, die unsere Onlinezeiten verlängern wollen, damit sie an mehr Daten von uns herankommen. (Alois Pumhösel, 29.9.2019)

"Wir müssen neue Umwelten schaffen, die längerfristige Konzentration ermöglichen", sagt der Psychologe Christian Montag.
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