Was passiert, wenn man heute in Hollywood wegen sexueller Übergriffigkeiten beschuldigt wird? Genau, man ist tot. So mausetot wie Maura Pfefferman, die für alle Zuschauer und Transparent-Fans zwar uneingesehen, aber trotzdem in einem Holzsarg liegt, und das ziemlich zu Beginn des großen Filmfinales der überaus erfolgreichen Amazon-Serie, die 2014 erstmals Themen wie Transsexualität, Transgender und Identitätsfindung in allen möglichen und unmöglichen Facetten fernsehunterhaltungstauglich gemacht hat. An dieser Stelle danke dafür!

Jeffrey Tambor ist in Hollywood so tot wie Maura in "Transparent".
Foto: Amazon Prime Video

Sie erinnern sich an Maura Pfefferman? Jene Serien-Antiheldin, die sich als dreifacher Familienvater im Pensionsalter von seiner Frau trennt und als Transgender-Frau outet. Verkörpert wurde diese Maura durch alle vier Staffeln hindurch – gänzlich glanzvoll – vom heterosexuellen Cis-Mann und -Schauspieler Jeffrey Tambor, der sich dann ausgerechnet im Zuge der #MeToo-Bewegung wegen sexueller Übergriffe gegenüber Serienpartnerinnen gleich seinen eigenen Serientod beschert hat. Gewissermaßen zurecht.

Zeitgemäße Strahlkraft

Denn Transparent entwickelte seine große Strahlkraft nicht nur aus der Tatsache heraus, die komische Geschichte einer neurotischen, sehr jüdischen Familie zu erzählen, sondern auch aus seinem sehr zeitgemäßen Umgang mit verschiedensten Lebensthemen. Transparent ist, besser war die Geschichte einer jüdischen Mischpoche im heutigen Upper-class-Milieu (Maura war früher Professor und Politikwissenschafter) von Los Angeles, mit all den Verwerfungen, die das Leben in einer so übersättigten, degenerierten und latent depressiven, aber auch hochkomplexen, sensibilisierten, durchtherapierten und -gegenderten Gesellschaft mit sich bringt.

Plötzlich singen alle in "Transparent".
Foto: Amazon Prime Video

Und genau da setzt das große, auf Amazon abrufbare Serienfinale in Filmform jetzt ein: in der Seniorengymnastik, in der Ex-Frau Shelley (Judith Light) bunte Bälle stemmt, in der Sexsucht-Selbsthilfegruppe, in der Sohn Josh (Jay Duplass) Hilfe sucht, eingepfercht im Flugzeugsitz, auf dem die jüngste Tochter Sarah (Gaby Hoffmann) gerade nach L.A. zurückkommt, übrigens aus Israel, aber ohne sich dort selbst gefunden zu haben, oder bei Sarah, deren Schwester, die sich als bisexuell geoutet hat und sich von ihrem Mann trennen wollte, aber jetzt wieder wegen der Kinder mit dem Auto unterwegs ist, ständig im Stau steckt und im Leben nirgendwo ankommt.

Dass diese Pfeffermans plötzlich alle singen – das Filmfinale ist als Musical angelegt! – mutet angesichts der Verrücktheit der Transparent-Protagonisten und -Protagonistinnen nur konsequent und ganz normal an, zumal Mutter Shelley an einem Theaterstück über die eigene Familie arbeitet.

Amazon Prime Video

Zusammengeführt werden diese realistischen Einblicke in die singulären Einsamkeiten einer Familienbande, die nur noch über ihre mobilen Endgeräte miteinader verbunden ist, durch eine traurige Nachricht: Maura ist tot! Der Anruf von Divina, Mauras transsexueller Lebensgefährtin, versammelt dann tatsächlich alle, auch physisch, rund um den Holzsarg mit Davidstern.

Serien-Beerdigung

Ohne dass wir Jeffrey Tambor oder nur eine einzige Rückblende auf ihn/sie (Maura) noch einmal zu sehen bekommen, folgt ein eineinhalbstündiges, jüdisches oder besser gesagt Pfefferman'sches Trauerritual, mit dem nicht bloß die transsexuelle, von ihren Kindern schlussendlich "Mapa" genannte Maura beerdigt wird, sondern auch Transparent als Serie insgesamt.

Und wie immer bei Transparent werden die Dinge psychoanalytisch und groß. Das Dargebotene bedient und überzeichnet sogar sämtliche Klischees und bewegt sich gleichzeitig davon weg. Es geht um vieles, eigentlich alles. Die ersten Dinge im Leben und die letzten. Es geht um Judaismus und weiche Drogen, die man via iPhone bezahlen kann, um das Erbe, den Messias und den richtigen Rabbi, Sexsucht und die große Liebe, unerfüllte Träume und erfüllende Lebensmenschen. Es geht um das Krematorium, Einäschern und den Holocaust, um ein Menstruationscamp und Adolf Hitler.

Es geht um vieles, eigentlich alles. Wenn Judith Light die Bühne betritt, gehen die Lichter auf.
Foto: Amazon Prime Video

Wir wären nicht mitten im fulminanten Finale von Transparent, wenn es nicht ständig um Grenzen (boundaries) ginge, die jetzt auch besungen werden und mehr noch um deren Überschreitungen. Besonders für nichtjüdische Zuschauer war und ist die US-Serie ein zeitgemäßer Lehrgang in jüdischen Traditionen, auf die aber immer sofort und verlässlich ein Tabu- oder Regelbruch folgt.

"Crazy people like you meet crazy people like me": Dass die Pfeffermans (Divina, Sarah, Ali, Shelley und Josh) jetzt singen, ist eigentlich ganz normal.
Jay Duplass, Judith Light, Gaby Hoffmann und Amy Landecker.
Foto: Amazon

So sind nicht nur die Idenditäten aller handelnden Personen "fluid", sondern auch deren Handlungen selbst. Es wären nicht die Peffermans, würden die drei Geschwister nicht die siebentägigen Shiv'a, die traditionelle jüdische Trauerwoche, in der das Kaddisch gesprochen wird, die Trauernden zu Hause bleiben und Verwandte und Freunde sie umsorgen, in etwas komplett Neues transformieren.

Etwa in eine Bat Mitzwa für Ali, die sie damals als Mädchen abgesagt hat. Und es wären wieder nicht die Pfeffermans, wenn nicht unklar wäre, ob das jetzt eine Bar oder Bat Mitzwa sein soll. Aber das ist längst nicht alles. Wir bleiben gespannt, was Drehbuchautorin und Produzentin Jill Soloway weiter vorhat. Transparent basierte auf der wahren Geschichte ihres eigenen Vaters. (Mia Eidlhuber, 29.9.2019)