Draßburg und seine Gestalter: Vizebürgermeisterin Renate Tomassovits im Gespräch mit Pfarrgemeinderat Johann Lohr und Fußball-Obmann Ernst Wild.

Foto: Matthias Cremer

Draßburg ist ein kleines, sehr gepflegtes, fast ist man versucht zu sagen: herausgeputztes Dorf im nördlichen Burgenland. Rasporak nennen es die kroatischen Bewohner. Draßburg, das sich entgegen der Darstellung seiner eigenen Ortstafel mit ß schreibt, ist ein Teil der großen kroatischen Sprachinsel rund um Eisenstadt, also Željezno. Hier, in der Wulkaebene und am Fuße des Leithaberges, liegen fette, fruchtbare Äcker; "polja", wie es auf Kroatisch heißt. Und Poljanci nennen sich die kroatischen Bewohner, die hier seit dem 16. Jahrhundert siedeln.

Im Zentrum des 1.200-Einwohner-Dorfes verquirlen sich drei Straßen – die Wiener Neustädter, die Baumgarten- und die Eisenstädter Straße – zu einem Kreisverkehr. Dort wird gerade die Pizzeria renoviert. Die Baumgartenstraße ein Stückerl hinauf, dort liegt das Büro des Naturparks Rosalia-Kogelberg. Das beherbergt einen sogenannten Postpartner und ein kleines Café.

Rotes Heimspiel

Wenn man aber Leute treffen möchte, und es steht gerade ein Heimspiel an – wie jetzt gerade das gegen die Amateure des SC Rapid Wien –, tut man gut daran, auf der neuen, fast ist man auch hier versucht zu sagen: schmucken Sportanlage vorbeizuschauen. Und sich dort ein wenig umzuhören, warum Rasporak nicht nur eine Fußballhochburg ist – seit heuer kickt man in der Regionalliga Ost, dem Vorzimmer zu den Profis –, sondern auch eine der SPÖ. Denn das ist Draßburg ganz ohne Zweifel.

Draßburg, das sich entgegen der Darstellung seiner eigenen Ortstafel mit ß schreibt.
Foto: Matthias Cremer

26,9 Prozent der Österreicher und 32,9 Prozent der Burgenländer haben bei der Nationalratswahl 2017 die SPÖ gewählt. In Draßburg waren es 57,2. Damit liegt man zwar deutlich hinter Tschanigraben mit seinen 67,6.

Diese südburgenländische Gemeinde mit ihren zuletzt 57 Wahlberechtigten und 37 Wahlausübenden ist aber doch eher eine Laune kommunaler Vereinzelung. Eine Kuriosität, die sich dem Verfassungsgerichtshof verdankt, der 1991 die 20 Jahre zuvor geschaffene Großgemeinde Neustift bei Güssing wieder in ihre Bestandteile zerlegt hat.

Draßburg dagegen kann immer noch was erzählen von der einstigen Kraft der österreichischen Sozialdemokratie, die sich hier ein bisserl noch erhalten hat. Draßburg war rot seit eh und je, erzählt Ernst Wild: "Wir haben einen Bahnhof, sind in einer knappen Stunde in Wien. Draßburg war immer auch eine Pendlergemeinde."

Das niederösterreichische Industrieviertel war nahe, die bis 1989 betriebene Zuckerfabrik in Cindrof/Siegendorf sogar in der Nachbarschaft. Ein Dorf der Arbeiter.

Ernst Wild ist Obmann des ASV Draßburg. Lange Jahre war er Draßburger Amtmann. So nennt man im Burgenland die kommunalen Amtsleiter, die rechte Hand des Bürgermeisters in Verwaltungsangelegenheiten. Er war die linke. Das sagt er sehr bewusst. "Wir sind hier eher links."

Dass in der Stadt darunter etwas anderes verstanden wird, sei ihm bewusst. Hier, im Burgenland und Draßburg im Besonderen, gehe es aber nicht um die ideologischen Abstraktheiten, sondern ums Praktische. Ums Tun, ums Auf-den-Boden-Bringen: die Schule und den Kindergarten und die Nachmittagsbetreuung; die neuen Wohnungen; den Postpartner, den auch die Nachbarn aus Pajngrt/Baumgarten, mit denen man bis 1991 eine Gemeinde gebildet hat, gerne frequentieren.

2017 wählten mehr als 57 Prozent die SPÖ.
Foto: Matthias Cremer

Auf dem Areal des alten Sportplatzes wurde, in Sichtweite des neuen, ein Pflegekompetenzzentrum errichtet. "Solche Dinge stehen in der Gemeindepolitik im Vordergrund, bei den meisten gibt es auch einstimmige Gemeinderatsbeschlüsse, kaum ideologischen Differenzen", sagt Renate Tomassovits, die Vizebürgermeisterin. Die in der Bundespolitik so wichtige Frage, bei wem einer warum keinesfalls anstreifen möchte, sei eigentlich eitel. "Das interessiert doch in Wahrheit keinen."

Grillhendl statt Rampensau

Nach und nach findet sich eine kleine Tischgesellschaft ein am Stehtisch auf der Tribüne. Johann Lohr, einst für die SPÖ im Gemeinderat, jetzt immer noch Pfarrgemeinderat. "Wir haben keine Berührungsängste mit dem Pfarrer, ganz im Gegenteil. Und er nicht mit uns."

Kurt Kafka ist "ein Zuagraaster aus Wien", gut und bald integriert über die dörflichen Vereine und ebenfalls roter Gemeinderat. Die Integrationskraft des Dorfes sei besonders wichtig. "Draßburg wächst ja."

Natürlich funktioniere im Dorf die Politik anders als auf Bundesebene. Aber ein bisserl rurale Hemdsärmeligkeit – sich darauf zu konzentrieren, was unter den Nägeln brennt – würde man gerade der eigenen SPÖ wünschen, die seit Jahren Gefahr läuft, sich in sich selber zu verstricken. Das zahle sich aus; beziehungsweise lässt sich in Zahlen ausdrücken. 2017 fanden ja nicht nur Nationalratswahlen statt. Zwei Wochen zuvor wählten die burgenländischen Gemeinden. Die Draßburger SPÖ verlor 2,5 Prozentpunkte. Kam auf 71,2 Prozent.

Die Frage, wie man, nicht nur vor diesem Hintergrund, die Performance der Bundespartei einschätze, beantwortet der Tisch nachdenklich. Man wiegt den Kopf, schürzt die Lippen, sagt "Hm". Nicht, dass die Draßburger mit ihrer Meinung hinterm Berg halten wollen. Aber es ist Wahlkampf, für die SPÖ im gar nicht so übertragenen Sinn ein Überlebenswahlkampf, und man darf die Loyalität nicht unterschätzen. Ob Rasporak oder Wien: Rot ist Rot.

"Es ist zuletzt aber eh deutlich besser geworden. Die Rendi-Wagner hat in die Spur gefunden", sagt Renate Tomassovits. Der Fußball-Obmann ergänzt: "Sie haben sich am Burgenland orientiert. Es ist wichtig, dass nun auch die Bundes-SPÖ endlich die 1.700 Euro Mindestlohn so stark thematisiert hat. Die Pflege. Das Wohnen. Das sind doch die Themen, die Menschen berühren." Das sei das Pannonische: dass man die eigenen Absichten und Vorhaben im Fokus hat und nicht bloß die Befindlichkeiten.

Hier in Draßburg geht es nicht um die ideologischen Abstraktheiten, sondern ums Praktische. Ums Tun, ums Auf-den-Boden-Bringen: die Schule und den Kindergarten und die Nachmittagsbetreuung zum Beispiel.
Foto: Matthias Cremer

Ob sich das noch ausgehe? Die SPÖ im Endspurt habe zulegen können? Ob Pamela Rendi-Wagner wirklich jene Aufholjagd absolvieren könne, von der sie gesprochen hat? Man wiegt den Kopf, schürzt die Lippen, sagt "Hm".

Vielleicht liegt das auch daran, dass die Draßburger Roten von "Aufholjagd" in diesem Zusammenhang wenig Ahnung haben. Christian Illedits, der jetzige Soziallandesrat, war von 1996 bis 2012 Bürgermeister. 2002 wählten ihn 90 Prozent der Draßburger. Fast ein Parteitagsergebnis. Pamela Rendi-Wagner kam im November des Vorjahrs auf 97,8.

Ende Juli war die SPÖ-Chefin auch in Draßburg. Sie hat hier das Pflegezentrum des Samariterbunds besucht. "Im persönlichen Gespräch ist sie offen, geradeheraus, herzlich", schwärmt Renate Tomassovits beinahe. "Sie hat zu Mittag gegessen mit den Senioren." Es gab Grillhendl und danach Buchteln mit Vanillesauce. Rendi-Wagner aß – das sei ausdrücklich vermerkt, weil ihre Essgewohnheiten sonderbarerweise ja Wahlkampfthema gewesen sind – mit großem Appetit.

Rampensau – so ließe sich das Kopfwiegen, Lippenschürzen und Hm-Machen auch umschreiben – ist Pamela Rendi-Wagner freilich nicht. Fernsehkameras machen sie nicht größer. Sie wäre wohl eine sehr gute Bürgermeisterin mit ihrer sympathischen Art. Aber Kanzlerin? "Hm."

Aufholjagd

Rapid, deren Amateure jetzt gleich auflaufen werden, wurde im Jahr 1897 als 1. Arbeiter FC gegründet, die Vereinsfarben waren ursprünglich Rot-Blau. Dietmar Kühbauer, der Profitrainer, ist auch gekommen, aus dem nahen Vulkaprodrštof/Wulkaprodersdorf, wo er zu Hause ist, um dem Rapid-Nachwuchs auf die Beine zu schauen.

Ernst Wild bittet den STANDARD-Fotografen Matthias Cremer, den Anstoß zu fotografieren. "Er kann das sicher besser als wir." Einer – mag sein, es war der STANDARD-Schreiber – zitiert den alten Austria-Verteidiger Toni Pfeffer: "Hoch werds das wohl nimmer g'winnen." Der Tisch sagt "Hm" und dreht sich dem Spielfeld zu. Wenn der Schiri anpfeift, haben die Politisierer ihr Recht verloren.

Die erste Halbzeit endete 0:4 aus Sicht der Gastgeber. Im Vergleich dazu war die zweite beinahe wie eine Aufholjagd – 1:1. Ein Resultat wie ein Sinnbild. (Wolfgang Weisgram, 28.9.2019)