Die Mariahilfer Straße zählt halb zum Bezirk Mariahilf, halb zu Neubau. Für die Grünen ist dieser Innengürtelbereich ein Hotspot.

Foto: Matthias Cremer

Grünes T-Shirt, kurze Hose, Sandalen. Tierschützer Martin Balluch ist bei eher herbstlichen Temperaturen auf der Wiener Mariahilfer Straße bereit zum Wahlkämpfen. Eine überdimensionale Figur eines rosa Schweins neben ihm erregt zusätzlich Aufmerksamkeit, Balluch will im Gespräch mit Passanten den Umgang der heutigen Wegwerfgesellschaft mit Lebensmitteln thematisieren. Der Quereinsteiger ist unabhängiger wie unkonventioneller Kandidat der Liste Jetzt von Peter Pilz.

Die Voraussetzungen sind freilich ungünstig: Fast alle Umfragen der letzten Monate sagen der Pilz-Liste voraus, dass sie den Einzug ins nächste Parlament verpassen wird. Um es doch zu schaffen, braucht Balluch auch viele Stimmen in Neubau. Da kommt es zupass, dass er nicht viel auf Umfragen gibt.

Hier im Siebenten – im dicht bebauten klassischen Bobo-Bezirk zwischen der verkehrsberuhigten Einkaufsstraße, Museumsquartier, Lerchenfelder Straße und Gürtel – fuhr die Liste Pilz bei der Nationalratswahl 2017 mit 11,93 Prozent ihr österreichweit bestes Ergebnis ein. Nur 28 Stimmen mehr, dann hätte der Grün-Abtrünnige auch seine Ex-Partei eingeholt – und das in der einst grünen Hochburg. Viele Wähler hat Pilz gleich mitgenommen.

Wüste Beschimpfung

Dass sich diese Geschichte wiederholt, ist zumindest den Umfragen zufolge auszuschließen. Die Grünen punkten wieder mit ihrem Themenfokus auf Klimaschutz, Pilz hingegen hat auch den Überraschungsfaktor verloren.

Und auch Balluch hat in Neubau zu kämpfen. Mit zitternder Stimme und bebenden Lippen steht ihm eine Pensionistin gegenüber, die ihn leise, aber umso wüster beschimpft. "Sie haben mit Ihren Aktionen eine Branche ruiniert", sagt sie zum Tierschützer. Es stellt sich heraus, dass ihre Familie vor Jahren just im Pelzgewerbe tätig war. Als alles ausgesprochen ist, beruhigt sich die Dame. "Niemals dürfen Sie in den Nationalrat. Aber ich wünsche Ihnen sonst alles Gute."

Balluch und seine Mitstreiter lassen sich den Optimismus nicht nehmen. Die 80-jährige Josefine Jagschitz ist jede Woche für den Verein gegen Tierfabriken (VGT) unterwegs – und jetzt auch vor der Neubauer Kirchengasse für Balluchs politische Ambitionen. "Bis jetzt habe ich immer die Grünen angekreuzt", sagt die ehemalige Sonderschullehrerin. "Diesmal wähle ich erstmals die Liste Jetzt."

Die Grünen im Bezirk hoffen hingegen im Post-Ibiza-Zeitalter auf reuige Wähler und ein Comeback im Nationalrat und in Neubau. Vor dem Debakel 2017 erreichte die Partei bei den Nationalratswahlen 2013 im Bezirk nämlich 32,43 Prozent. Das bedeutete den ersten Platz vor der SPÖ, ehe die Grünen vier Jahre später zwanzig Prozentpunkte verloren und auf Rang drei abstürzten. In Neubau, wo mit Thomas Blimlinger 2001 der erste grüne Bezirkschef Wiens angelobt wurde, ein Desaster.

Vor dem Debakel 2017 erreichten die Grünen bei den Nationalratswahlen 2013 im Bezirk 32,43 Prozent.
Foto: Andy Urban

"Die Stimmung auf der Straße ist wieder außergewöhnlich positiv", sagt der grüne Bezirksvorsteher Markus Reiter, der Blimlinger 2017 nachfolgte. Dass der Weg passe, hätten die EU-Wahlen im Mai gezeigt: "Mit 37 Prozent haben wir unser bestes Europawahlergebnis ever erreicht."

Apropos Stimmung und Straße: In der Kirchengasse sind die Nerven von Anrainern und Geschäftsleuten eher strapaziert denn relaxed. Denn die Vorarbeiten für den U-Bahn-Ausbau, der die Station Neubaugasse zu einem wichtigen Umsteigeknoten zwischen U3 und der verlängerten U2 hochstufen wird, schreiten voran. Es ist ein wichtiges Infrastrukturprojekt, keine Frage. Schon jetzt sind damit aber Baustellenlärm, aufgerissene Gehsteige und Einschränkungen durch Baucontainer in der Einkaufsstraße verbunden.

"Es rumort", sagt Manfred Lindner, der in der Kirchengasse seit 1998 das Geschäft Disaster Clothing betreibt. Die Umsatzeinbußen würden bei ihm bis zu 25 Prozent betragen, die Unterstützung der Wirtschaftskammer reiche nicht.

Ein Protestwähler werde er aber trotz der Probleme nicht, sagt Lindner. Näher will er darauf nicht eingehen. "Wien ist die lebenswerteste Stadt der Welt. Ich werde eine der zwei Parteien wählen, die in der Stadtregierung sitzen." (David Krutzler, 28.9.2019)