Der Mammutprozess beginnt am Montag in Braunschweig. Es wird darum gehen, ob VW überhaupt zu Entschädigungen verpflichtet ist.

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Die Kapazitäten des Gebäudes reichen nicht aus. Hunderte Kläger, Rechtsvertreter, Zuseher und Journalisten werden am Montag das Landgericht Braunschweig gar nicht zu Gesicht bekommen. Sie alle müssen in den Congress-Saal der Stadthalle ausweichen, den das Gericht angemietet hat.

Es ist nicht nur ein Mammutprozess, der am Montag beginnt, sondern die Beteiligten betreten mit dieser Musterfeststellungsklage auch juristisches Neuland. Im deutschen Recht sind solche Klagen erst seit dem 1. November 2018 erlaubt. Sie ermöglichen, vier Jahre nach dem Auffliegen von Dieselgate auch einzelnen Verbänden, für ganze Personengruppen Klage einzureichen.

Lex Volkswagen

Man kann durchaus von einer Lex VW sprechen. Denn der Dieselskandal hat gezeigt, dass Verbraucher in Deutschland – im Gegensatz zu jenen in den USA – eine schwache Stellung haben. Das Instrument einer Sammelklage gibt es in Deutschland nicht. Erst auf Druck der SPD wurde die Musterfeststellungsklage im Vorjahr eingeführt.

In die Schlacht gegen Volkswagen ziehen nun der ADAC und die Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV). Für VZBV-Chef Klaus Müller ist dies ein logischer Schritt. "Volkswagen hat seine Dieselkunden betrogen – vorsätzlich, sittenwidrig – und schuldet deshalb Schadenersatz", sagt er.

Feststellungsklage

Der Klage haben sich rund 450.000 Verbraucherinnen und Verbraucher angeschlossen, sie alle sind im Bundesamt für Justiz im Klageregister eingetragen. In Braunschweig geht es zunächst aber gar nicht um individuellen Schadenersatz, sondern generell darum, ob VW überhaupt zur Entschädigung verpflichtet ist. Kommt das Gericht zu diesem Schluss, dann können die Kläger in einem zweiten Schritt ihre individuellen Ansprüche gegen den Autokonzern durchsetzen, den eigentlichen Schaden müssen sie nicht mehr nachweisen.

Das Verfahren befasst sich mit Fahrzeugen der Marken Audi, Seat, Škoda und VW mit Dieselmotoren des Typs EA 189. Die Fahrzeuge müssen nach dem 1. November 2018 gekauft worden sein. Schnelle Ergebnisse erwartet keiner der Beteiligten. Zunächst muss das Gericht überhaupt einmal klären, ob es für alle eingebrachten Anträge zuständig ist.

Urteil erst 2023 erwartet

Die erste Musterfeststellungsklage deutschlandweit wurde am 25. Jänner 2019 am Oberlandesgericht Stuttgart eingebracht. Es klagte der Verein Schutzgemeinschaft für Bankkunden (SfB) die Mercedes-Benz-Bank. Der SfB war der Ansicht, in vielen Finanzierungsverträgen für Autos fehlten gesetzlich vorgeschriebene Pflichtangaben. Das Gericht lehnte diese Klage als unzulässig ab.

Sollte es den VW-Kunden besser ergehen, brauchen sie dennoch einen langen Atem. Mit einem Urteil wird erst 2023 gerechnet. Verbraucherschützer Müller lässt durchblicken, dass er sich einen Vergleich gut vorstellen kann, und meint: "Natürlich müsste da ein attraktives Angebot von Volkswagen rüberkommen." VW hält sich bisher bedeckt und hat kein Interesse durchblicken lassen. (Birgit Baumann, 30.9.2019)