Den tosenden Jubel einen Augenblick lang still genießen: Sebastian Kurz kann sich auf ein Comeback im Kanzleramt einstellen.

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Großer Jubel bei der ÖVP am Wahlabend.
DER STANDARD

Stimmungskiller gab es nur einen. Das Catering bei der ÖVP-Wahlparty hatte vegane Würstel im Angebot – ein Ladenhüter im Vergleich zu den originalen Frankfurtern.

Der Gastgeber selbst hingegen konnte sich nicht über mangelnden Zuspruch beklagen. Gut 37 Prozent, so der Stand von Sonntagabend, haben die Türkisen eingefahren, nie lag eine Partei weiter vorn. Vom Nachmittag bis zum Abend skandierten Funktionäre und Fans im Kursalon Hübner in der Wiener Innenstadt immer wieder: "Kanzler Kurz! Kanzler Kurz! Kanzler Kurz!"

So enthusiastisch war die Masse, dass Moderator Peter L. Eppinger zu Demut mahnte: Bitte kein Pfeifen bei den politischen Mitbewerbern! Kurz selbst zeigte sich "unendlich dankbar", er habe definitiv nicht mit einem Ausgang in dieser Höhe gerechnet: "Mir fehlen die Worte, und ich bin selten sprachlos."

Es ist ein erfreuliches Déjà-vu für die Volkspartei: Schon einmal, im Jahr 2002, haben die damals noch Schwarzen ordentlich abgesahnt, weil es die FPÖ aus Eigenverschulden zerbröselte. Diesmal stürzten die Blauen zwar nicht gleich auf zehn Prozent ab, doch eine Massenflucht von Wählern setzte allemal ein – und jene, die am Wahlsonntag nicht gleich daheimblieben, strömten in erster Linie in das Lager von Sebastian Kurz.

Immer wieder in der Defensive

Dabei war der türkise Wahlkampf bei allen professionellen Events ein Stück von der Perfektion der 2017er-Kampagne entfernt. Die gestückelten Spenden der Milliardärin Heidi Horten, die fragwürdige Abrechnung der Wahlkampfkosten, die hohen Schulden der selbsternannten Antischuldenmacherpartei brachten Kurz in die Defensive. Wegen der Dominanz des Klimaschutzthemas tat er sich schwerer als vor zwei Jahren, zur ewigen Ausländerfrage abzubiegen.

Und trotzdem: Wohin soll ein von Ibiza- und Spesenaffäre enttäuschter Ex-Blau-Wähler mit Vorbehalten gegen Zuwanderer und Islam denn wandern, wenn nicht zu Kurz? Das gilt umso mehr, als FPÖ-Wähler mit dem Wirken der letzten Regierung äußerst zufrieden waren, wie der Politologe Fritz Plasser analysiert, zufriedener noch als die Wähler der ÖVP. Da stieß der Anspruch von SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner, eine Neuauflage der "Ibiza-Koalition" zu verhindern, naturgemäß auf taube Ohren.

Das Kopfzerbrechen kommt erst

In den Wochen nach der Wahl dürfte Kurz mehr gefordert sein als in den letzten Tagen vor dem Urnengang, wo er bereits ziemlich tiefenentspannt wirkte. Am Comeback als Kanzler führt wohl kein Weg vorbei. Doch die Frage, welche Partei unter welchen Bedingungen den Königsmacher spielen soll, hängt von vielen Wenn und Aber ab.

Am Sonntag ließ sich der ÖVP-Chef naturgemäß auf keine Präferenz festnageln. Er habe vor, mit allen Parteien Gespräche zu führen, wichtig sei ein respektvoller und nicht aggressiver Umgang miteinander. Um da eine Vorliebe herauszuhören, musste man schon auf Feinheiten achten. Als FPÖ-Chef Norbert Hofer im ORF sagte, dass das Wahlergebnis kein Regierungsauftrag für seine Partei sei, glaubte man bei Kurz ein sanftes Nicken zu sehen. (Gerald John, Nina Weißensteiner, 29.9.2019)