Nicht jeder Österreicher macht von seinem Wahlrecht Gebrauch – und nicht jeder in Österreich lebende Mensch hat ein Wahlrecht.

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Als Kind war alles einfach, und alles war rot: die roten Falken, die Kinderfreunde, das Sommerlager, die Eltern sowieso. Auch beim Studieren war es für Alfred Wandler (Name der Redaktion bekannt, Anm.) keine Frage, wen er wählt und für wen er bei den ÖH-Wahlen kandidiert. Dann aber fiel er ab vom sozialdemokratischen Glauben. Er schenkte den Neos sein Kreuz. Und heute?

"Gehe ich zum ersten Mal in meinem Leben gar nicht wählen", sagt Wandler. Der aus Wien stammende Freiberufler, der nach mehreren Jahren im Ausland jetzt im nördlichen Waldviertel sesshaft geworden ist, ist das, was man gemeinhin als "enttäuscht" bezeichnen könnte. Er hätte nämlich so seine Erwartungen, aber keine der Parteien wird ihnen gerecht: Die Roten "haben den Anschluss an die Zeit verpasst", die Neos "sind nicht wirklich liberal, sondern nur wirtschaftsliberal", die ÖVP sei viel zu eng mit der Kirche verbandelt und zutiefst frauenfeindlich, die Grünen "sind auf dem Land eigentlich grün gefärbte Konservative", und die Blauen "sind mir von ihrer Ideologie her zutiefst zuwider". Deshalb habe er sie selbst nie gewählt – und doch könne er gut verstehen, warum viele in seiner Waldviertler Umgebung ihr Kreuz bei den Blauen machen: Keiner schere sich um die Menschen in der Peripherie. Die Blauen zwar auch nicht, "aber die versprechen dir zumindest, dass sie sich kümmern".

Stellt man sich Nichtwähler als eine Fraktion vor, für die zwar Sitze im Parlament reserviert sind, die dann aber freibleiben, dann wäre das die stärkste Fraktion im Parlament. Die Wahlbeteiligung lag zu Redaktionsschluss bei 75 Prozent, 2017 waren es noch 80 Prozent gewesen.

Unfreiwillige Nichtwähler

Auch die Zahl der unfreiwilligen Nichtwähler ist angestiegen. Einer von ihnen ist Eugene Quinn. Der Brite lebt seit zehn Jahren in Wien, sein sechsjähriger Sohn wurde hier geboren, geht in Wien in die Schule und beginnt schön langsam, seinen Papa zu korrigieren, wenn der auf Deutsch einen Fallfehler macht. Quinn selbst war ursprünglich Radiomoderator, jetzt zeigt er Wienern ihre Stadt und erzählt ihnen, wie er sie als Expat, also als privilegierter Migrant, empfindet.

Das klingt nicht immer nett. "Viele Wiener wollen in einem Zwei-Millionen-Dorf leben, in dem es schön ruhig ist", meint er. Und viele Wiener würden gar nicht zu schätzen wissen, "wie wunderbar die Stadt ist, in der sie leben". Denn anders, so Quinn, könne er sich nicht erklären, "warum sie bei den Wahlen für jene Parteien stimmen, die gegen ihre Interessen handeln". Quinn meint die FPÖ. Er würde gern dazu beitragen, den Einfluss der Blauen zu schwächen, aber er darf nicht. Als EU-Ausländer stehen ihm nur die Wahlen auf Bezirksebene und die Europawahlen offen.

Exklusivklub Österreicher

Dass EU-Zugewanderte in Österreich nur die Bezirksvertretung wählen dürfen und nicht den Landtag oder Nationalrat, "das sagt doch alles darüber aus, wie wichtig wir hier sind", ärgert sich Quinn. Nach zehn Jahren hätte er zwar das Recht, die österreichische Staatsbürgerschaft zu beantragen. Allerdings müsste er dann die britische Staatsbürgerschaft zurücklegen – und nach dem Brexit wäre dann nicht gesichert, dass er den im Vereinigten Königreich erworbenen Pensionsanspruch auch weiterhin behalten darf.

Immerhin: Quinns Sohn wird in zehn Jahren hier wählen dürfen, er hat den österreichischen Pass. Vielleicht wird dann auch die Wahlbeteiligung wieder höher sein: Politologen zufolge sind die jüngsten Anstiege der Wahlbeteiligung vor allem den jungen Wählern zu verdanken. (Maria Sterkl, 29.9.2019)