Es war ein Wahlnachmittag mit ein paar Überraschungen. Wer gewinnen würde, stand seit Monaten fest – das Ausmaß konnte dann aber doch noch erstaunen. Die Umfragen von Mitte September hatten bereits signalisiert, dass die ÖVP in der letzten Phase des Wahlkampfs noch zulegen könnte. Mindestens 35 Prozent hatte das Market-Institut zuletzt gemessen, Ex-Kanzler Sebastian Kurz hatte das bis zuletzt nicht glauben wollen. Aber schon die ersten Ergebnisse, die eher als Gerücht denn bestätigte Zahlen verbreitet wurden, wiesen darauf hin, dass die ÖVP noch einmal deutlicher gewinnen würde als gedacht. Kurz sagte später, er sei "überwältigt".

Die Stimmung bei der ÖVP-Wahlparty war gelöst.
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Spitzenkandidat Werner Kogler könnte die Grünen nun in ihre erste Regierungsbeteiligung auf Bundesebene führen.
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In einigen kleinen Gemeinden hatte die ÖVP zehn Prozentpunkte zugelegt – auch wenn sich dieser Zugewinn in den größeren Städten nicht realisieren ließ, wurde die Volkspartei schließlich mit rund 37 Prozent klarer Wahlsieger.

Türkis-Grün eher unbeliebt

Das dürfte 71 Mandate bedeuten und der ÖVP die Möglichkeit geben, nicht nur mit der FPÖ (wie bis zuletzt) oder der SPÖ (wie bis 2017 praktiziert), sondern auch mit den Grünen eine Zweierkoalition zu bilden. Laut einer Isa-Sora-Umfrage für den ORF wünschen sich nur 20 Prozent der ÖVP-Wähler eine Koalition mit den Grünen, 43 eine mit den Neos und 34 eine mit den Freiheitlichen. Peter Hajek hat für ATV eher eine Präferenz der ÖVP-Wähler für die FPÖ erhoben.

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ÖVP-Generalsekretär Karl Nehammer freute sich über den größten Vorsprung, der je von einer Partei in Österreich erreicht worden ist. Auf Spekulationen über mögliche Koalitionen wollte sich in der ÖVP am Wahlabend niemand einlassen. Parteichef Kurz dankte "allen, die uns den Rücken gestärkt haben", was auch ein Zeichen an jene sein dürfte, die der "schwarzen" Fraktion zuzurechnen sind, die kritisch zur ÖVP-FPÖ-Koalition gestanden sind.

Grünes Comeback

Den Grünen war zwar vorhergesagt worden, dass sie ein starkes Comeback feiern würden – aber auch sie hatten das Ausmaß bis Sonntagnachmittag nicht erahnt: Rund zehn Prozentpunkte plus gegenüber dem desaströsen Ergebnis von 2017 (3,8 Prozent) bedeuten den stärksten Zugewinn der Parteigeschichte und mit wahrscheinlich 26 Mandaten auch den höchsten Mandatsstand.

Die Wahlfeier der Grünen im Video.
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"Es ist ein historischer Abend für die österreichischen Grünen", kommentierte Wahlkampfleiter Thimo Fiesel. Bezüglich einer möglichen Koalition gab sich Fiesel zurückhaltend. In erster Linie sei nun die ÖVP unter Sebastian Kurz am Zug.

Inhaltliche Differenzen

An den inhaltlichen Differenzen mit den Grünen habe sich da nichts geändert, erinnerte er. Ebenso sah es Spitzenkandidat Werner Kogler: "Es ist vor allem ein Auftrag, unser Programm umzusetzen, Österreich zur Umwelt- und Klimaschutznation Nummer eins zu machen – das könne man auch vom Nationalrat aus machen." Eine Koalition mit der ÖVP zeichne sich "überhaupt nicht ab".

Zu den Gewinnern zählen auch die Neos: Sie können rund zweieinhalb Prozentpunkte zulegen – das ist etwas weniger, als sie sich zu Beginn des Sommers noch ausgerechnet hatten.

Pamela Rendi-Wagner muss das schlechteste bundesweite Ergebnis in der Geschichte der Sozialdemokratie hinnehmen.
Foto: Matthias Cremer

Beate Meinl-Reisinger konnte in ihrem ersten Fernsehauftritt dennoch lachen: Das Wahlziel, eine türkis-blaue Koalition zumindest zu schwächen, sei erreicht. Die Wähler würden sich nun eine offene politische Entwicklung wünschen; das müsse auch ÖVP-Chef Sebastian Kurz klar sein – dem sie übrigens gratuliere.

Rote Enttäuschung

Keine Überraschung auch das Ergebnis der Sozialdemokraten: Sie hatten zwar bis zuletzt die Hoffnung aufrechterhalten, dass sie die unvermeidlich erscheinenden Verluste eindämmen würden. Das gelang aber nicht: Die Sozialdemokraten haben rund fünf Prozentpunkte verloren, mit rund 22 Prozent und 41 Parlamentssitzen (minus elf) fahren sie das schlechteste Ergebnis ihrer Parteigeschichte ein. Einzig Wien bleibt auf der Österreichkarte rot.

Der SPÖ-Bundesgeschäftsführer Thomas Drozda gab schon am Nachmittag unumwunden zu, sich "ein besseres Ergebnis erwartet" zu haben. Er gratulierte ÖVP und Grünen als klaren Gewinnern der Wahl und betonte, dass die Grünen mit dem Klima das wichtigste Thema hatten.

Bei der SPÖ zeigte man sich vom Wahlergebnis ernüchtert.
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Freiheitliche klare Verlierer

Sebastian Kurz hat bezüglich seines Koalitionspartners nun die Qual der Wahl. Norbert Hofer muss erst einmal innerparteilich so manches klären.
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Klarer Verlierer des Wahlsonntags sind die Freiheitlichen. Ihr vorhergesagter Absturz fiel mit einem Minus von zehn Prozentpunkten noch härter aus als gedacht. Market-Wahlforscher David Pfarrhofer wies auf die eine Woche vor der Wahl im STANDARD veröffentlichten Umfragedaten hin, denen zufolge zwei Drittel der FPÖ-Wähler schon vor Bekanntwerden der freiheitlichen Spesen-Tricksereien die Wahl der ÖVP in Betracht gezogen hatten.

FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky nannte die Diskussion über die Spesen von Ex-Parteichef Heinz-Christian Strache als einen wesentlichen Grund für die Verluste seiner Partei – und sagte, das Ergebnis sei kein Auftrag, die türkis-blaue Koalition nun einfach fortzusetzen.

Pilz ist raus

Noch schlechter erging es Jetzt, der Partei von Peter Pilz: In den ländlichen Regionen konnte der vor zwei Jahren mit eigener Liste überraschend ins Parlament gewählte Aufdecker diesmal kaum punkten – und in den Städten hatte er es diesmal schwerer als zuletzt. So reichte es nur für weniger als zwei Prozent.

Eine gewisse Unsicherheit gibt es allerdings noch: Denn noch nie gab es bei einer Wahl so viele Wahlkarten, nämlich 1.070.933. Zwar wird wohl nicht jeder damit ausgestattete Wahlberechtigte wirklich gewählt haben, doch rechnet man mit rund 950.000 Briefwahlstimmen, was rund einem Fünftel aller Stimmen entspricht. Das endgültige Ergebnis wird erst am Donnerstag vorliegen. Wahlforscher gehen allerdings davon aus, dass die am Sonntag erstellte Wahlkartenprognose das Ergebnis (wie schon bei früheren Wahlen) treffend abgebildet hat. (Conrad Seidl, Katharina Mittelstaedt, 29.9.2019)