Im Jahr vier des Dieselskandals kommt noch immer neuer blauer Dunst aus dem Volkswagen-Konzern in Wolfsburg.

Foto: Imago / Hans-Günther Oed

Düsseldorf/Wolfsburg – Der Volkswagen-Konzern hat offenbar nicht nur Dieselabgaswerte manipuliert, sondern auch beim Spritverbrauch getrickst. Das legen interne Unterlagen und Beschuldigten- sowie Zeugenaussagen gegenüber den Staatsanwaltschaften Braunschweig und München nahe, über die das "Handelsblatt" berichtet. Ziel war es demnach, Abgase und Spritverbrauch künstlich niedrig zu halten, in größerem Stil betroffen seien Automatikgetriebe.

Die Enthüllungen kommen zur Unzeit, denn seit Montagmorgen wird am Oberlandesgericht Braunschweig die Musterfeststellungsklage gegen Volkswagen verhandelt.

Schon gehört?

Laut Aussagen eines führenden VW-Ingenieurs war in den in den USA und in Europa ausgelieferten Benzin- und Dieselfahrzeugen mit Doppelkupplungsgetriebe eine Funktion verbaut, die das Schaltverhalten auf dem Prüfstand so steuerte, dass weniger Kohlendioxid (CO2) und Stickoxid ausgestoßen wurde als im realen Straßenbetrieb. Auch sollen die Fahrzeuge auf dem Teststand teils weniger Sprit verbraucht haben. Auf diese Weise seien NOx-Werte um bis zu 20 Prozent verbessert worden.

Bündel an Tricks

Nicht nur der Katalysator sei dazu geeignet gewesen, bessere CO2- und Stickoxid-Werte zu generieren und einen niedrigeren Verbrauch – je nach Schaltverhalten, schilderte der VW-Ingenieur laut Einvernahmeprotokoll. Eine Software habe es beispielsweise bei Benzinern ermöglicht, möglichst schnell in einen höheren Gang zu gelangen. Beim Selbstzünder funktionierte der Trick umgekehrt.

Der Dieselskandal lässt den weltgrößten Autobauer nicht los. Hunderttausende VW-Besitzer klagen auf Schadenersatz.

Der Schalttrick ist nicht neu. Die US-Umweltbehörde EPA hatte bereits 2016 Veränderungen in der Getriebefunktion aufgespürt und als Verbrauchs- und Abgasschummel bei Benzinern eingestuft. Mit einem Vergleich Ende 2016, bei dem 98.000 Halter von Benzinmodellen mit rund hundert Millionen Dollar (91,5 Millionen Euro) entschädigt wurden, sollte die Sache aus der Welt geschafft sein.

Bevorzugt in Automatikgetrieben

Möglicherweise aber nicht ganz, denn laut internen Unterlagen kam der Trick auch in Automatikgetrieben einer ganzen Reihe von VW-Benzin- und -Dieselmodellen zum Einsatz, schreibt das "Handelsblatt" unter Berufung auf interne Dokumente aus der technischen Entwicklung von Volkswagen vom 12. Februar 2016. Tiguan, Passat und Touareg finden sich ebenso unter den betroffenen Pkw-Modellen wie Audis – bevorzugt offenbar in Allrad- und Automatikantrieben mit den Kennungen AL1000, DQ500 und DQ250. Als Grund nannten die VW-Techniker in ihrem Papier ein "optimales Schaltprogramm" während des "Warmlaufs".

"Rest of the world"

Ein weiterer interner Vermerk aus der Rechtsabteilung des Wolfsburger Autobauers legt nahe, dass nicht nur in den USA ausgelieferte Diesel und Benziner betroffen waren, sondern auch in "RoW", was für "rest of the world" steht. Zudem ist im "Sachverhalt EU" von niedrigeren NOx- und CO2-Werten die Rede, die "höheren Schaltpunkten" und einer Lenkwinkel-Erkennung zu verdanken seien. Letztere Software stellt anhand der Längs- und Querbeschleunigung fest, ob ein Fahrzeug in Kurven oder bergauf fährt – oder auf dem Prüfstand.

VW betont, bei den beanstandeten 24.800 Dieselfahrzeugen Audi A7 und A8 habe es sich lediglich um eine technische "Nonkonformität" gehandelt, nicht um eine unzulässige Abschalteinrichtung. Allerdings verfügte das deutsche Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) 2017 für beide Fahrzeugmodelle einen verpflichtenden Rückruf zwecks Entfernung der lenkwinkelabhängigen Getriebewarmlauf-Funktionalität – sofern diese nicht bereits 2016 im Zuge von "Service-Aktionen" entfernt worden waren, wie der Belastungszeuge angab. CO2-Abweichungen bei Benzinmotoren, die mit den regulatorischen Fragen und Bewertungen in den USA vergleichbar sind, oder "Auffälligkeiten hinsichtlich der Verwendung unzulässiger Strategien" habe man nicht festgestellt. (AFP, ung, 30.9.2019)