Wladimir Putin kam nach Paris, auch Bill Clinton, dazu eine lange Reihe arabischer und afrikanischer Staatsoberhäupter, darunter nicht nur lupenreine Demokraten, aber persönliche Freunde Jacques Chiracs. Nur die USA sandten keinen hohen Regierungsvertreter, nachdem sie am Sonntag schon mit dreitägiger Verspätung kondoliert hatten. Das nicht nur, weil die guten Manieren im Weißen Haus rar geworden sind: Jacques Chirac galt in Washington als Mann des "Non", des schnöden französischen Neins zum amerikanischen Golfkrieg-Einsatz von 2003.
Die Trauerzeremonien hatten schon am Sonntag begonnen, als tausende Franzosen dem heute überaus populären Ex-Präsidenten in einer endlosen Warteschlange vor dem Invalidendom die letzte Ehre erwiesen. Am Montag wurde der Sarg des 86-jährig Verstorbenen langsam durch Paris geführt, so wie es seit 1547 für die verblichenen Monarchen Usus war.
In der Kirche Saint-Sulpice fand ein Gedenkgottesdienst im Beisein aus- und inländischer Gäste statt; die prominentesten wurden danach von Präsident Emmanuel Macron im Elysée bewirtet. Dabei waren auch die französischen Ex-Präsidenten Valéry Giscard d'Estaing, François Hollande und Nicolas Sarkozy, Letzterer begleitet von seiner Frau Carla Bruni. Chiracs Gattin Bernadette fehlte aus Gesundheitsgründen. Am Nachmittag wurde Chiracs Sarg auf dem Friedhof Montparnasse beigesetzt, wo schon Jean-Paul Sartre, Simone de Beauvoir, Marguerite Duras oder Charles Baudelaire ihre letzte Ruhe gefunden haben.
Für einen Misston sorgte die Abwesenheit des deutschen Altkanzlers Gerhard Schröder, der mit Chirac manches Bier gestemmt hatte. Er hatte offenbar durch ein Missverständnis keine Einladung erhalten, obwohl er darum ersucht hatte. Von deutscher Seite war Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zugegen.
Kritisiert wurde auch die Berichterstattung über die Staatstrauer durch die sechs wichtigsten TV-Sender. Der Politkommentator des Radiosenders France-Inter, Thomas Legrand, bezeichnete es als "ärgerlich", wie der Verstorbene idealisiert und verklärt werde. In den stundenlangen Liveschaltungen waren nur salbungsvolle Lobeshymnen auf Chirac zu hören. Dass er im Amt als "Superlügner" karikiert und als erster Ex-Präsident der Fünften Republik wegen Politaffären verurteilt worden war, hätte zumindest in einem Nebensatz Erwähnung finden können.
Wenn Chirac von Zeitungen wie "Le Parisien" zum "sympathischsten" Präsidenten Frankreichs gekürt wurde, ist das allerdings nicht nur ein mediengemachtes Phänomen. In einer Umfrage zu den bedeutendsten Präsidenten stufen auch die Franzosen Chirac auf der gleichen Höhe wie Charles de Gaulle ein, weit vor François Mitterrand oder ihren jüngeren Nachfolgern.
Der Kontrast springt ins Auge: Während seiner Amtszeit hatte Gattin Bernadette nach einer verlorenen Wahl ihres Mannes selber geklagt: "Die Franzosen mögen Jacques Chirac nicht." Der erstaunliche Stimmungsumschwung zeigt vielleicht auch auf, dass Frankreich ein sehr katholisches Land bleibt, das den Pardon spätestens im Angesicht des Todes ohne Einschränkung zelebriert. Chiracs späte Popularität zeugt auch von der nationalen Nostalgie für ihre "großen" Staatsmänner. Im "Journal du dimanche" schrieb Chefredakteur Hervé de Gattegno, Chirac habe eine Epoche überlebt, "die noch an den Staat, an Dirigismus und Wahlslogans glaubte". Am Montag um 15 Uhr widmeten Frankreichs Schüler und Beamte dem Verstorbenen im ganzen Land eine Schweigeminute. (Stefan Brändle aus Paris, 30.9.2019)