Im Gastkommentar widmet sich der Kulturwissenschafter Christoph Landerer den Siegern und Verlierern der Nationalratswahl – und dem Aspekt, dass die politischen Mitbewerber Sebastian Kurz ein Geschenk machten: Polarisierung der Wahlauseinandersetzung.

Vom fulminanten Comeback der Grünen unter Werner Kogler abgesehen, hat diese Wahl einen strahlenden Sieger und einen ebenso spektakulären Verlierer: Sebastian Kurz und Peter Pilz: Die Liste Jetzt sorgt mit ihrem Ausscheiden aus dem Nationalrat nebenbei auch für einen negativen Rekord – die knapp zwei Jahre im Nationalrat sind die kürzeste Vertretungsperiode in der Geschichte der Zweiten Republik.

Falsche Schlüsse

Kurz und Pilz verbindet mehr als die 33 Jahre, die der eine in der Politik verbracht hat, während sie der andere überhaupt an Lebensjahren aufzuweisen hat. Sie verfügen beide über das in Österreich seltene Talent zur plastischen, prägnanten Erklärung. Doch während Kurz dieses Talent mit einem hohen Maß an Disziplin verbinden konnte, hat Pilz sein politisches Projekt aus Mangel an Disziplin in den Sand gesetzt. Stimmige Programmentwicklung war keine erkennbar, ja nicht einmal gewollt; mal poppte hier ein Thema auf, mal dort. Damit erinnerte die Partei an das Liberale Forum unter Heide Schmidt; auch diesem Projekt fehlte der lange politische Atem – bei der Wiedergeburt der Partei mit den fusionierten Neos hat man daraus gelernt. Dazu bestand auch reichlich Anlass; mit Ausnahme der Neos sind alle Parteien, die es seit dem Einzug der Grünen (1986) in den Nationalrat geschafft haben, nach wenigen Jahren wieder verschwunden. Dass Pilz daraus die falschen Schlüsse gezogen hat, dürfte noch ein Euphemismus sein; die völlige Unbekümmertheit bei der Entwicklung der Partei scheint eher darauf schließen zu lassen, dass gar keine Schlüsse gezogen wurden.

Türkise Wagenbau-Mentalität

Das politische Phänomen Sebastian Kurz lässt sich freilich nur zum Teil durch die hochentwickelten medialen und kommunikativen Gaben des Gerade-noch-Ex-Kanzlers erklären. Trotz seines noch fast jugendlichen Alters ist Kurz eine erstaunliche Verkörperung von Kontinuität, wozu nicht nur Talent, sondern auch eine hochprofessionelle Beratung erforderlich ist. Während Christian Kern vom Pizzaboy bis zum zünftigen Trachtler für jede demoskopisch errechnete Zielgruppe etwas auszuprobieren wusste, sorgte Kurz – in Kleidung, Gestik, Gesprächsführung, ja eigentlich in jedem Detail – für eine verlässliche Erwartungshaltung. Gemeinsam mit der Disziplinierung der Partei führt diese hohe Stabilität zur Wahrnehmung von Leadership; einer Eigenschaft, die für einen Kanzlerkandidaten nun einmal zentral ist.

Dazu kommt ein Faktor, der von der Opposition, vor allem aber von der schwächelnden SPÖ, wahrscheinlich nicht ganz verstanden wird. Ebenso wie das Kabinett Schüssel I war die Regierung Kurz unter starkem intellektuellem und medialem Beschuss. Doch je undifferenzierter und homogenisierender eine solche Gegenwehr erfolgt, umso mehr schafft sie eine Wagenburg-Mentalität, die den Block der Regierungsanhänger nach außen abschließt und bei der Schwäche eines Partners eine Binnenwanderung in Gang setzt, die schon Schüssel souverän zu nutzen wusste. Ganze 258.000 Wähler wanderten von der FPÖ zur ÖVP, lediglich 36.000 zur SPÖ (und 6000 – trotz erklärter Programmatik in diese Richtung – zu Jetzt). Die Polarisierung der politischen Auseinandersetzung war das größte Geschenk an Kurz, doch die politische Konkurrenz ist seit zwei Jahrzehnten nicht in der Lage, aus diesem Umstand zu lernen.

Rotes Alarmzeichen

Für Pamela Rendi-Wagner dagegen geriet der ganze Wahlkampf zu einer Chronik einer angekündigten Niederlage. Während die Neos die Früchte ihrer planmäßigen Aufbauarbeit ernten konnten und die Grünen im Grunde nur die thematische Anschubfinanzierung durch Greta Thunberg nutzen mussten – was durch einen gerade hier sehr sattelfesten Werner Kogler auch perfekt gelang -, korrespondierte der wenig spontane und daher auch wenig authentische Auftritt von Rendi-Wagner fatal mit ihrer geringen innerparteilichen Autorität und strahlte damit das Gegenteil jener Führungsqualitäten aus, die Kurz taktisch sehr geschickt in Stellung bringen konnte.

Mit Pamela Rendi-Wagner rutschte die SPÖ noch tiefer ins historische Nationalratswahltief.
Foto: Heribert CORN

Dass Rendi-Wagner über Wochen hinweg nicht einmal in der Lage war, ihren Wählern eine Erbschaftssteuer mit einer Freigrenze von einer Million Euro zu erklären, ist ein Alarmzeichen für eine Partei, die gerade angesichts der türkis-blauen Regierungspolitik, aber auch im transnationalen Kontext, Verteilungsfragen zu einem Kernanliegen machen muss. Doch für ein entsprechendes Agenda-Setting braucht es Mut, vorausschauende Konzepte und Autorität, und davon hat der zaudernd-schwerfällige Traditionskoloss SPÖ nur wenig zu bieten. Auch wenn ihr die omnipräsente Klimathematik nicht entgegenkam, ist die Partei im Grunde mit einem blauen Auge davongekommen, denn das Klimathema überlagerte den Komplex Migration und Asyl, und hier versäumt es die SPÖ seit Jahren, sich auf eine Weise freizuspielen, die programmatische Spielräume in anderen Bereichen eröffnet. Unter etwas anderen Vorzeichen und ohne die unfreiwillige Wahlhilfe durch Heinz-Christan Strache, die die FPÖ weit hinter ihren Möglichkeiten zurückbleiben ließ, wäre selbst ein desaströser Platz drei in Reichweite gewesen. (Christoph Landerer, 30.9.2019)