Die Urspünge des weiblichen Orgasmus liegen nach wie vor im Dunkeln. (Im Bild: Maria Magdalena in Extase von Artemisia Gentileschi, um 1613)

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Seit die Wissenschaft die Sexualität als Forschungsgebiet entdeckt hat, rätseln Fachleute über den weiblichen Orgasmus. Während der Mann einen Höhepunkt und den damit verbundenen Samenerguss braucht, um für Nachkommen zu sorgen, ist dieser bei Frauen für die Schwangerschaft eigentlich nicht notwendig.

Und doch ist der Orgasmus der Frau weitaus zu komplex, um als Zufall, als "evolutionärer Unfall" gelten zu können. Zahlreiche Theorien wurden dazu bereits diskutiert. So wurde beispielsweise spekuliert, dass der weibliche Orgasmus die Chance einer gelungen Befruchtung erhöht, indem durch die dabei stattfindende Kontraktion des Beckenbodens das Sperma schneller ans Ziel transportiert wird. Auch als Hilfe für die Auswahl des richtigen Familienerhalters könnte der weibliche Orgasmus ursprünglich gedient haben. Beweise für diese Thesen liegen freilich nicht vor.

Der aus Österreich stammende Evolutionsbiologe Günter Wagner und sein Team von der Yale University in Connecticut (USA) entdeckten jedoch schon früher Hinweise darauf, dass der weibliche Orgasmus keine junge, allein menschliche Errungenschaft ist, sondern vielmehr schon sehr früh in der Säugetierevolution entstanden sein könnte. Die Idee dahinter: Der weibliche Orgasmus hat einst bei den Vorfahren des Menschen den Eisprung ausgelöst.

Vielversprechende Theorie

Das Fehlen einer – zumindest biologisch – offensichtlichen Begründung für den weiblichen Höhepunkt "hat zu vielen vorgeschlagenen evolutionären Erklärungen geführt, von denen die meisten aber empirisch wenig untermauert sind", meinen die Wissenschafter um Wagner. Eine vielversprechende Theorie aus der Feder Wagners und der mittlerweile an der Universität Wien tätigen Ko-Studienautorin Mihaela Pavlicev besagt hingegen, dass jener Mechanismus, der bei vielen Säugetieren bei der Kopulation einen Eisprung auslöst, die Basis für die komplexen Vorgänge beim weiblichen Orgasmus darstellt.

Diese durch Geschlechtsverkehr ausgelöste Ovulation gibt es beispielsweise bei Hasen, Katzen, Frettchen oder Kamelen. Bei anderen Arten, wie Menschenaffen und Menschen gibt es diesen Mechanismus jedoch nicht – oder eben nicht mehr. Denn der einem mehr oder weniger stabilen Zyklus folgende Eisprung kam evolutionär gesehen erst später.

Antidepressiva für Hasen

Bei Hasen, Frettchen und Co von Orgasmus zu sprechen sei zwar "schwer, weil das immer subjektiv definiert wird", so Wagner. Der möglichen Verbindung zwischen dem Mechanismus der durch Geschlechtsverkehr ausgelösten Ovulation und dem weiblichen Orgasmus ging das Team um Wagner und Pavlicev in einem Versuch jedoch nach.

Die Forscher gab Hasen über zwei Wochen hinweg den Serotonin-Aufnahmehemmer Fluoxetin, ein Antidepressivum, das beim Menschen die Orgasmusfähigkeit stark vermindert und vergleichbare Reaktionen bei weiblichen Hasen unterbinden kann. Danach kam es zur Kopulation. Am Tag danach hatten die so behandelten Tiere tatsächlich um rund 30 Prozent weniger Eisprünge als die Kontrollgruppe.

In einem weiteren Experiment verabreichten die Forscher Häsinnen ebenfalls Fluoxetin und lösten dann durch Verabreichung des Sexualhormons Humanes Choriongonadotropin einen Eisprung aus. Wie sie im Fachjournal "Pnas" berichten, zeigte sich, dass nicht das Antidepressivum die Ovulationsrate signifikant reduzierte, sondern offensichtlich der fehlende "Orgasmus".

Evolutionärer Ursprung

Die Evolutionsbiologen werten ihre Ergebnisse als starken Hinweis auf einen Zusammenhang zwischen jenem Mechanismus, der bei Hasen den Eisprung durch Geschlechtsverkehr auslöst, sowie jenen Abläufen, die bei Frauen zum Höhepunkt führen. Das deute wiederum auf einen gemeinsamen evolutionären Ursprung hin. Es scheine, als hätte der weibliche Orgasmus also sehr tief liegende entwicklungsgeschichtliche Wurzeln, schreiben die Wissenschafter in ihrer Arbeit. (red, APA, 1.10.2019)