Im Arbeiterbezirk Favoriten schnitt die Protestpartei FPÖ stets gut ab. Diesmal richtete sich der Wählerprotest gegen die Blauen.

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Ibiza ist nicht schuld. Schuld sind die Spesen. "Das ist nämlich mein Steuergeld, verstehn S'?" Harald Konsik* hat jahrelang Blau gewählt, das ist jetzt vorbei. Ein Neuaufflammen der langjährigen Liebe ist zwar nicht ausgeschlossen, aber jetzt überwiegt der Stolz. Vollgedudelt irgendwelchen Oligarchinnen öffentliches Wasser zu verscherbeln, schön und gut. Aber teure Handtaschen aus Parteigeld – zu viel ist zu viel. Mit Geld ist nicht zu spaßen, man hat schließlich selbst nicht genug. Dass die blaue Eintrachtpartei sich nun zerklüftet präsentiert, setzt dem noch eins drauf. Und Herbert Kickl? "Sein ganzes Auftreten ist mir nicht sympathisch", sagt Konsik, und die drei gleichaltrigen Frauen, mit denen er seinen Vormittagskaffee trinkt, nicken stumm.

Die FPÖ nach dem Wahldebakel.
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In keinem Wiener Bezirk ist die FPÖ so heftig abgestürzt wie im Arbeiterbezirk Favoriten, hier rasselte sie von 29,33 auf 18,2 Prozent. Die vier Pensionisten im Favoritner Café wissen genau, warum. Sie sind enttäuscht. Wobei es eine seit langem schlummernde Verbitterung ist, die jetzt wieder aufwacht. Der erste Cut, der am tiefsten war und nie verheilte, war die Sozialdemokratie. "Ich war sogar Mitglied", sagt Konsik. Das war zu Kreiskys Zeiten. Danach gab er das Parteibuch ab und Jahre später seine Stimme den Blauen.

Betteln ums Medikament

Auch Helga Waschek* wählte früher Rot. Das war damals, als man noch Geld fürs Heiraten, fürs Kinderkriegen, fürs Wohnen bekam, alles aus roter Hand. Heute steigen die Preise, die Pensionen nicht so sehr. Ihr chefarztpflichtiges Medikament koste so viel wie ihre Monatsmiete. Damit die Kasse es bezahlt, muss sie jedes Mal Schlange stehen "und betteln". "Dabei hab ich mir die Krankheit doch nicht ausgesucht." Die Viererrunde hat viel zu erzählen: von der schwierigen Wohnungssuche nach der Scheidung vom Mann; vom arbeitslosen Sohn, der mit 27 immer noch zu Hause wohnt; von chronischen Krankheiten, die auf einmal da waren, "ohne Vorwarnung". So richtig zornig macht sie aber, dass es anderen besser zu gehen scheint.

Neid auf die anderen

Andere könnten einfach so untertags auf der Favoritenstraße spazieren, ärgert sich Waschek. Das tut sie zwar selbst auch, "aber ich hab 42 Jahre eingezahlt und darf jetzt auch einmal was rausnehmen". Sie ist 64, vor neun Jahren ging sie ohne Abschläge in Pension. Die, die hier durch die Einkaufstraße spazieren, sollten eigentlich arbeiten, findet sie. Dass sie es nicht tun, bedeute, dass es ihnen zu gut gehe, und gut gehe es meistens den anderen. Denen, die größere Sozialwohnungen kriegen, weil sie mehr Kinder haben. Denen, die mehr Anerkennung kriegen, weil sie jung und gesund sind. Und den Asylwerbern, die Geld vom Staat kriegen, "obwohl sie hier noch nie gearbeitet haben". Dass sie gar nicht arbeiten dürfen? "Wird behauptet, ja, aber ich glaub nicht, dass das stimmt."

Alle am Tisch sind sich einig, "dass in der Politik niemand mehr auf die Kleinen schaut. Die denken alle nur an sich." Auch die ÖVP, "die war schon immer eine Wirtschaftspartei", sagt Konsik. Trotzdem sei Sebastian Kurz noch die beste, weil am wenigsten schlechte Option. Nichtwählen gehe ja schließlich auch nicht, meint Waschek: "Weil was ist, wenn das alle machen?" (Maria Sterkl, 1.10.2019)