Bild nicht mehr verfügbar.

Spezialeinheiten der Polizei sind derzeit allgegenwärtig.

Foto: Reuters / Amr Abdallah Dalsh

Mehr als 2.200 Verhaftungen, eine bemerkenswerte Mobilisierung des Sicherheitsapparates und eine von Nervosität getriebene staatliche Gegenpropaganda, wie sie in Ägypten immer dann lanciert wird, wenn das Regime die absolute Kontrolle und Deutungshoheit über öffentliche Diskurse zu verlieren droht: Das ist die Bilanz der letzten Woche – und die wesentliche Reaktion des Staatsapparates auf die überraschenden Proteste gegen Ägyptens autoritär regierenden Staatspräsidenten Abdelfattah al-Sisi.

Der von dem in Spanien weilenden ägyptischen Bauunternehmer Mohamed Ali ausgelöste Wirbel im Land hält zwar an, doch sein Versuch, einen erneuten Massenaufstand anzuzetteln, scheint gescheitert zu sein. Ali hatte in mehreren im Internet hochgeladenen Videos Sisi und andere hochrangige Politiker der Korruption und der Verschwendung öffentlicher Gelder beschuldigt und Sisi zum Rücktritt aufgefordert.

Nachdem vor zehn Tagen überraschend viele Menschen Alis Protestaufrufen gefolgt und in mehreren Städten gegen den Präsidenten auf die Straße gezogen waren, fanden auch vergangenen Freitag kleinere Demonstrationen statt. Proteste wurden diesmal aus Luxor, Qena und Sohag in Oberägypten sowie aus Helwan südlich von Kairo und von der Nilinsel Warraq im Norden der Hauptstadt gemeldet. Ägyptens Sicherheitsapparat war jedoch im Gegensatz zur Vorwoche auf alle Eventualitäten vorbereitet und erstickte jedweden Demonstrationsversuch im Keim.

Festung Kairo

Ein an zentralen Plätzen und Kreuzungen im Großraum Kairo zusammengezogenes Großaufgebot der Polizei verwandelte die Hauptstadt in eine regelrechte Festung. Der symbolträchtige Tahrir-Platz, auf dem in der Vorwoche noch einige Hundert Menschen kurzzeitig regimekritische Parolen skandiert hatten, wurde hermetisch abgeriegelt. Cafés und Geschäfte in der Innenstadt mussten schließen, Passanten wurden gezwungen, Polizeibeamten Zugriff auf ihre Handys und Smartphones zu gewähren. Mehrere Tausend Menschen – teilweise angelockt durch in Armenvierteln verteilte Essenspakete und kostenlosen Transport – versammelten sich derweil in Nasr City im Osten Kairos für eine eiligst organisierte Pro-Sisi-Kundgebung mit anschließendem Konzert.

In der Woche zwischen den beiden Protestfreitagen setzte das Regime auf altbekannte Taktiken der Repression und Einschüchterung. Nach Angaben der ägyptischen Menschenrechtsorganisation ECESR wurden landesweit mindestens 2231 Menschen verhaftet, nur 1467 davon jedoch offiziell dem Staatsanwalt vorgeführt und in Untersuchungshaft gesteckt.

Auch Aktivisten, Politiker und Anwälte betroffen

Die verbleibenden 764 Menschen gelten weiterhin als verschwunden. Betroffen von der heftigsten Verhaftungswelle im Land seit 2013 waren jedoch nicht nur Demonstranten, sondern auch Aktivisten, Politiker und Anwälte, die schon 2011 gegen das Regime auf die Straße gegangen waren, bei der jüngsten Protestwelle jedoch keine Rolle spielten.

Mindestens fünf Anwälte, darunter die bekannte Menschenrechtsanwältin Mahienour El-Massry, wurden interniert, nachdem sie in Gerichten die juristische Vertretung verhafteter Protestierender übernehmen wollten. Zwei Universitätsprofessoren und zwei Politiker linker Oppositionsparteien wurden ebenso verhaftet wie der Menschenrechtsaktivist Alaa Abdel Fattah, der erst im März nach einer fünfjährigen Freiheitsstrafe auf Bewährung freigelassen wurde, die Nächte seiner auf fünf Jahre festgesetzten Bewährungszeit jedoch in einer Polizeiwache verbringen muss.

Viele offene Fragen

Völlig unklar ist derweil weiterhin, was beziehungsweise wer hinter Mohamed Alis Protestaufrufen steckt und ob dieser versucht, den Frust der Bevölkerung zu instrumentalisieren, um im Namen von Sisis Gegnern im Staats- und Sicherheitsapparat regimeintern Druck auf den Staatschef auszuüben. (Sofian Philip Naceur, 30.9.2019)