Im Wahlkampf hat SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner ihr Interesse an einer Koalition mit der ÖVP gezeigt. Ob dieses nach der Niederlage immer noch groß ist?

Foto: Cremer

Die Stimmung scheint sich zu drehen. Im Wahlkampf hat SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner ihr Interesse an einer Koalition mit der ÖVP von Sebastian Kurz kaum verborgen. Doch die Wahlniederlage hat Eindruck hinterlassen. Bei einem Auftritt im internen Kreis am Montag, berichtet ein Genosse, habe die Obfrau weit defensiver geklungen: Für eine Regierung müsse sich die ÖVP schon weit bewegen, wahrscheinlich sei nun der Gang in die Opposition.

Insgeheim, ergänzt ein Insider, gäbe es die Hoffnung, dass Kurz die Sozialdemokraten gar nicht zu ernsthaften Verhandlungen einlädt. So ließe sich eine Situation wie im Jahr 2000 verhindern, als die SPÖ der ÖVP weit entgegengekommen war. Die Schwarzen bildeten dennoch eine Koalition mit der FPÖ – und die SPÖ fühlte sich in der Folge blamiert, weil die ÖVP Zugeständnisse aus den Verhandlungen ausplauderte.

Sebastian Kurz kündigte einmal mehr Gespräche mit allen Parteien an, um gemeinsame "Schnittmengen" zu finden. Es ist aber kein Geheimnis, dass er in erster Linie nicht zur SPÖ tendiert, die er mit "Stillstand" assoziiert – zum Image des Modernisierers würden die Grünen besser passen. Doch die potenziellen Partner seien erst einmal mit sich selbst beschäftigt, vieles sei im Fluss, sagt ein ÖVPler: "Die Entscheidung ist noch offen."

Hier die Argumente für oder gegen eine türkis-rote Koalition:

FÜR

Wer eine Neuauflage Türkis-Blau nicht will, der muss eine Alternative anbieten: So lautet ein zentrales Argument der Koalitionsbefürworter in der SPÖ. Wenn man es künftig nicht einmal mehr mit der ÖVP versuchen wolle, dann mauere man sich auf ewig in der Opposition ein. Denn Rot-Grün-Pink wird sich so schnell nicht ausgehen.

Außerdem hat die Regeneration in der Opposition, die Regierungsgegner in der Partei gerne beschwören, in den letzten eineinhalb Jahren offenbar nicht so gut funktioniert – sonst hätten die Sozialdemokraten am Sonntag kein Debakel eingefahren.

Vor allem die Gewerkschaft drängt zurück ins Spiel der Macht. Die Arbeitnehmervertreter, die sich als staatstragender Teil der Republik empfinden, hassen es, vom Verhandlungstisch verbannt zu sein. Sitzt Sebastian Kurz mit den Sozialdemokraten in einer Regierung, muss er wohl ein Mindestmaß a n Sozialpartnerschaft zulassen – und die Gewerkschafter bekommen das Sozialministerium als ihre Erbpacht zurück.

Werden ideologisch umstrittene Fahnenfragen wie Erbschaftssteuer oder Gesamtschule ausgeklammert, finden sich durchaus gemeinsame Projekte. Der türkis-blaue Entwurf zur Senkung der Lohn- und Einkommenssteueretwa stößt selbst in der rot dominierten Arbeiterkammer auf wenig Einspruch. In manchen Fragen tritt Kurz aus linker Sicht weniger neoliberal auf als die alte ÖVP: So zeigt er null Ambitionen, gegen sozialdemokratischen Widerstand eine Pensionsreform durchzusetzen.

Umgekehrt täte sich die Bauern- und Unternehmerlobby in der ÖVP beim Klimaschutz mit der SPÖ leichter als mit den diesbezüglich radikaleren Grünen – eine CO2-Steuer wollen weder die eine noch die andere Partei. Ähnliches gilt für die Asylpolitik, wo die SPÖ mit einer restriktiven Linie weit weniger Probleme hat.

Noch ein Vorteil aus türkiser Sicht: Die Sozialdemokraten müssen das Regieren dank jahrzehntelanger Erfahrung nicht erst einmal erlernen, sind berechenbarer als die mit vielen Newcomern gespickten Grünen. Der Kontrollfreak Kurz könnte sich leichter tun, seine Message-Control und andere Disziplinierungsmaßnahmen durchzusetzen.

Aber sind ÖVP und SPÖ nicht heillos zerstritten? Die Scharmützel in der alten rot-schwarzen Koalition kann man zu einem Gutteil auch als selbsterfüllende Prophezeiung interpretieren: Damals hatte ein Teil der Volkspartei Interesse an der Destabilisierung, um Kurz an die Spitze und ins Kanzleramt zu hieven. Dieses Motiv fällt nun weg. Der frühere Klubchef und nunmehrige Abgeordnete Reinhold Lopatka sagt: "Die Stimmung zwischen ÖVP und SPÖ ist nicht so vergiftet, wie sie schon einmal war."

WIDER

"Die SPÖ darf keinesfalls in eine Koalition eintreten": Andreas Kollross legt sich fest. Das Wahlergebnis sei kein Regierungsauftrag, sagt der Nationalratsabgeordnete, "und ich sehe nicht ansatzweise, wie man gegen die machtbewusste ÖVP sozialdemokratische Inhalte durchbringen soll".

Der Bürgermeister von Trumau, eine der immer spärlicher gesäten roten Hochburgen, spricht eine verbreitete Angst aus: Weil rote Kernanliegen wie die Erbschaftssteuer oder die Gesamtschule in dieser Konstellation aussichtslos seien, drohe der SPÖ als Juniorpartner von Sebastian Kurz der Niedergang wie der SPDan der Hand Angela Merkels in Deutschland.

Dem künftigen Kanzler – und das spricht aus ÖVP-Sicht dagegen – sind schon geringere Zugeständnisse zuwider. Um die Sozialdemokraten zu ködern, müsste Kurz wohl den Zwölfstundentag und die Sozialhilfekürzung abmildern, ein Comeback der Gewerkschafter in der Sozialversicherung und eine Wiederauferstehung der Sozialpartnerschaft zulassen. All das rüttelt an den ideologischen Grundprinzipien seiner ersten Regierungszeit.

Als weitere Hürde sieht der in vielen Koalitionsverhandlungen geeichte ÖVP-Mandatar Reinhold Lopatka die Arbeitsmarktpolitik; das von Türkis angepeilte Ende der Notstandshilfe etwa gemahnt die Roten an das verhasste deutsche Hartz IV. Groß sei die Differenz auch beim Umgang mit einer drohenden Wirtschaftsflaute. "Wir wollen ein Nulldefizit, Deregulierung und Bürokratieabbau, aber kein ,deficit spending' mit neuen Schulden", sagt Lopatka. Im Vergleich zur SPÖ hätten manche Grüne den marktwirtschaftlicheren Zugang.

Aus linker Sicht stellt sich die wirtschaftspolitische Kluft nicht kleiner dar. Man könne nicht gegen die Politik für Großkonzerne anrennen und dann mit jener Partei, die diese betreibt, in eine Koalition gehen, sagt der rote Traiskirchner Bürgermeister Andreas Babler: "Es gibt keine Schnittmenge."

Nicht weniger knifflig ist die Machtfrage. So manchem Genossen sitzt noch das Trauma von 2007 im Hinterkopf, als Alfred Gusenbauer der ÖVP für die Kanzlerschaft fast alle wichtigen Ministerien – Inneres, Äußeres und Finanzen – überließ. Das dürfe diesmal nicht passieren, sonst droht ein innerparteilicher Aufstand, warnen sozialdemokratische Strategen. Doch warum sollte gerade ein strahlender Wahlsieger auf die Machtfülle verzichten?

Persönliche Sympathie wird es nicht sein, die den Weg in eine Koalition ebnet. Erfahrene Mandatare erinnern sich mit Schrecken an die Wadlbeißereien aus rot-schwarzen Regierungszeiten. Eine Neuauflage müsste mit einem schlechten Image kämpfen: Von Beginn der Neunziger bis zum Bruch 2017 ist die Zustimmung zur "großen" Koalition von 70 Prozent auf 15 Prozent erodiert. (Gerald John, Peter Mayr, 30.9.2019)