Vor der Wahl wollte Norbert Hofer unbedingt noch einmal mit Sebastian Kurz in die Regierung. Mittlerweile stellt sich die FPÖ auf die Opposition ein.

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Was Mitte Mai noch undenkbar war, gilt mittlerweile als wahrscheinlich: Das Jahr 2020 wird ohne türkis-blaue Koalition über die Bühne gehen. Trotz der vermeintlich positiven Bilanz, die Sebastian Kurz und Norbert Hofer ihrer gepaarten Regierungsarbeit im Rückblick bescheinigen, genießt eine Neuauflage der Zusammenarbeit auf beiden Seiten keine großen Sympathien mehr. Für die ÖVP aufgrund einer neuen Position der Stärke, die sogar eine Koalition mit den Grünen ermöglicht und ihr eine Emanzipation von den rechtsextremen "Einzelfällen" und Korruptionsskandalen der FPÖ erlauben würde.

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Die Freiheitlichen selbst wurden am Sonntag hingegen derart abgestraft, dass eine Wählerrückholaktion nur aus der Opposition machbar erscheint. Kein Wunder, dass sich kein einziger FPÖ-Funktionär findet, der nach dem Debakel offensiv für eine Fortsetzung wirbt. Und das, obwohl Parteichef Hofer im Wahlkampf bis zuletzt die ÖVP in nachgerade peinlicher Manier umgarnte, um nur ja wieder in die Regierung zu kommen.

Trotzdem ist nicht ausgeschlossen, dass das koalitionäre Farbenspiel am Ende doch bei Türkis-Blau landet. Programmatisch muss man die Unterschiede mit der Lupe suchen, und die blauen Umfärbungen der letzten beiden Jahre wird die FPÖ nicht ungenutzt lassen wollen. Der Rückzug von Heinz-Christian nach seiner "persönlichen Erklärung" am Dienstagvormittag dürfte eine Zusammenarbeit bedeutend erleichtern. Die Gefahr ständiger Querschüsse Straches oder gar eine koalitionsgefährdende blaue Parteispaltung scheinen damit – vorerst – vom Tisch.

Was für und was gegen eine türkis-blaue Koalition spricht

FÜR

Das gewichtigste Argument zugunsten einer Neuauflage der türkis-blauen Regierung ist jenes, das schon 2017 zur Koalitionsbildung geführt hat: die weitgehende inhaltliche Übereinstimmung beider Parteien in den wichtigsten Politikfeldern. Programmatische Zugeständnisse, die bei den eigenen Anhängern oft als gebrochene Wahlversprechen gedeutet werden, können sich daher in engen Grenzen halten. In der Migrationsfrage hat sich die ÖVP spätestens seit der Machtübernahme von Sebastian Kurz auf die stramm rechtspopulistische Linie der Freiheitlichen begeben: Die Zahl der Asylwerber in Österreich soll mit allen Mitteln gering gehalten werden, Abschiebungen gut integrierter Flüchtlinge ohne Rücksicht auf deren Lebensumstände durchgezogen werden. Sozialleistungen für Nichtösterreicher will man kürzen, um eine "Zuwanderung ins Sozialsystem" zu verhindern, wie Kurz und Herbert Kickl unisono tönen.

Auch in der Wirtschaftspolitik muss man inhaltliche Differenzen weiterhin mit der Lupe suchen: Beide Parteien sind sich in ihrer kapitalfreundlichen Stoßrichtung einig: keine Vermögens- und Erbschaftssteuern, Senkung der Unternehmensbesteuerung und Flexibilisierung der Arbeitszeiten. Auf Gewerkschaft, Arbeiterkammer und sozialpartnerschaftliche Verhandlungsmechanismen legen weder Türkis noch Blau gesteigerten Wert.

Und da wäre noch das aktuell brennendste Thema: der Klimaschutz. Nicht umsonst haben im Expertencheck von Klimawissenschaftern beide Parteien ähnlich schlecht abgeschnitten. Eine CO2-Steuer lehnt die türkis-blaue Allianz ebenso ab wie ein engagiertes öffentliches Investitionsprogramm in die Ökologisierung des Verkehrssektors.

Was die Fortsetzung dieser Politik für die geschiedenen Regierungspartner besonders attraktiv machen würde: Es gibt bereits fertig ausgehandelte Pläne, die man nur geringfügig adaptieren müsste. Langwierige Verhandlungen, die monatelange Unsicherheit bedeuten würden, könnte man sich so sparen.

Aus Sicht der Volkspartei ist das Risiko einer Neuauflage gar nicht so groß. Sollte die Koalition wegen eines FPÖ-Skandals abermals vorzeitig platzen, gäbe es eben wieder Neuwahlen. Die Aufkündigung von Koalitionen hat der Popularität von Kurz an den Wahlurnen bisher noch nie geschadet.

Die FPÖ selbst hat sich zwar in ersten Statements schon auf die Oppositionsrolle vorbereitet, doch gibt es handfeste Gründe, die aus blauer Sicht für eine Neuauflage sprechen. Allen voran die Wahrung des Einflusses, den man sich in den letzten beiden Jahren durch Postenbesetzungen in den wichtigsten Institutionen der Republik geschaffen hat: von der Nationalbank und den Casinos bis zu ÖBB und Asfinag.

WIDER

Für FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky war schon nach der ersten Hochrechnung am Sonntag klar: "Das Ergebnis ist kein Auftrag, die Regierung fortzusetzen." Noch deutlicher war der oberösterreichische Landeshauptmannstellvertreter Manfred Haimbuchner: "Die FPÖ wird in Opposition gehen." Allein diese vollmundigen Ansagen sprechen gegen eine Neuauflage von Türkis-Blau, denn ein späterer Schwenk seitens der FPÖ-Granden würde auf Kosten der eigenen Glaubwürdigkeit gehen.

Aus Sicht der FPÖ fällt die Wählerbilanz nach anderthalb Jahren in der Regierung derart katastrophal aus, dass man sich von einer Neuauflage wohl keine "Wählerrückholaktion" erwarten darf, auf die Herbert Kickl die Anhänger bei der "Wahlparty" noch einschwor. Zukünftige Stimmenzuwächse wird es für die FPÖ nur dann spielen, wenn sie sich als gewohnt rabiate Oppositionskraft profiliert, um so das Reservoir an Protestwählern und Enttäuschten abzuschöpfen.

Auch für die wichtige Wien-Wahl kommendes Jahr wäre die Ausgangslage in der Opposition wesentlich besser. Im Falle einer türkis-grünen oder türkis-roten Koalition könnte sich die FPÖ als letztes Bollwerk gegen einen vermeintlichen "Linksruck" inszenieren. In einem rechten Bündnis mit der ÖVP kann dieses Narrativ freilich nicht aufgehen.

Was die FPÖ außerdem von einem neuerlichen Bündnis mit Kurz abhalten dürfte, ist die Verschlechterung der Machtverteilung: Mit 16 Prozent ist der blaue Traum vom Innenministerium sowieso ausgeträumt und die ÖVP könnte als dominanter Partner alle Schlüsselressorts für sich reklamieren.

Das allein wäre für die ÖVP zwar verlockend, doch die FPÖ ist derzeit zu unberechenbar, um für eine verlässliche Kooperation dienstbar zu sein. Zwar hat Heinz-Christian Strache am Dienstag in einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz seine Mitgliedschaft ruhend gestellt, doch niemand weiß, wie lange Strache in den nächsten Jahren tatsächlich still sein wird. Nicht ausgeschlossen, dass er bald ein Comeback inszeniert – es wäre nicht das erste gebrochene Versprechen seines politischen Lebens. Straches Vorgänger Jörg Haider perfektionierte bekanntlich das Spiel mit Rückzügen und Comebacks. Einen ehemaligen Vizekanzler, der mit Querschüssen von außen Spannung in seine ehemalige Partei und damit in die Regierung trägt, kann sich jedenfalls auch Sebastian Kurz nicht wünschen.

Doch nicht nur Strache könnte gefährlich werden, auch ein Klubobmann Herbert Kickl ließe sich nicht noch einmal ins Korsett der türkisen Message-Control zwängen. Der mittlerweile angestaute Hass auf die ÖVP bei Kickl und Konsorten würde ein stabiles Regieren verunmöglichen.

Noch weniger als in Österreich ließe sich eine Neuauflage im Ausland begründen, das dem auf sein Image bedachten Sebastian Kurz besonders wichtig ist. Nach unzähligen rechtsextremen Einzelfällen und Ibiza ist die FPÖ bei gemäßigten Politikern in der EU ein rotes Tuch. (Theo Anders, 1.10.2019)