"What?", brüllte ich Fabrizio in brillantem Englisch an. Fabrizio hatte einen Helm auf, ich hatte einen Helm auf. Wir saßen in einem Ferrari, der Motor lief. Wir standen in der Boxengasse der Pista de Fiorano, der hauseigenen Rennstrecke von Ferrari nahe dem Stammwerk in Maranello. Der Wagen war einer der ganz neuen Ferrari F8 Tributo. Fabrizio ist Testfahrer bei Ferrari, das ist sein Beruf, und offensichtlich versuchte er mir den Tributo zu erklären. Ich war mir nicht ganz sicher, ob er Englisch oder Italienisch sprach, nickte nach dem vierten wirkungslosen "What?" aber verständnisvoll, um Fabrizio nicht zu frustrieren.

Der F8 Tributo auf der Rennstrecke von Fiorano, wo einst Michael Schumacher den Rundenrekord aufgestellt hat. Wir legten noch ein paar Minuten drauf.
Foto: Ferrari

"... fantastico ...", "... grip ... ", "... incredible ...", "... cool to drive ...", drangen zwischen dem heiseren Keuchen des Achtzylinders ein paar Wortfetzen zu mir herüber. Der Motor saß direkt hinter meinen Schultern, und als Fabrizio aus der Boxengasse auf die Strecke fuhr, bekam ich den Eindruck, der Motor wollte sich mir auf den Schoß setzen.

Die Strecke ist nicht rasend lang, etwa drei Kilometer, den Streckenrekord hält immer noch Michael Schumacher. Und zwar seit dem Jahr 2004. Die Zeit: 0.55.999 min. Fabrizio ist jetzt kein Schumacher, aber professioneller Ferrari-Fahrer, die Strecke kennt er wie seine Westentasche, und in dieser wühlte er gerade herum. Was man wissen muss: Der F8 Tributo hat 720 PS und beschleunigt von null auf hundert in 2,9 Sekunden. Ja, wirklich, ich kann es bezeugen. Und was vielleicht noch relevanter ist: von null auf 200 km/h in 7,8 Sekunden. Kann ich auch bezeugen.

2,9 Sekunden reichen dem Ferrari F8 Tribute für den Sprint von 0 auf 100 km/h. Alternativ kann man ihn aber auch quer fahren.
Foto: Ferrari

Was Fabrizio mir offenbar nahebringen wollte: Man kann mit dem Tributo nicht nur wirklich schnell fahren, sondern auch so richtig Spaß haben, oder was er halt so darunter versteht: Jede Kurve mit quietschenden Reifen quer genommen. Fabrizio genoss es, er lächelte aufmunternd zu mir herüber. Mein Kopf wackelte, wie gut, dass ich einen Helm trug. "Und was passiert, wenn wir die Traktionskontrolle zur Gänze ausschalten?", wollte ich wissen und deutete mit dem Finger auf den Drehknopf. Fabrizio zuckte mit den Schultern, drehte den Knopf nach rechts, und dann griffen 720 PS ungebremst in den Asphalt, bis wir die Haftung verloren, dann fing Fabrizio den Wagen wieder ein, schob ihn wieder über die Haftung hinaus, wir nahmen ein paar Curbs mit, machten fürchterlich Lärm und qualmten. Ich begriff, dass man dazu Autofahren können muss.

Fahrerwechsel

Zurück in der Boxengasse, verabschiedete ich mit zittriger Hand Fabrizio, ordnete meinen Magen – und dann überließ man mir tatsächlich einen F8 Tributo. Ein Mechaniker kontrollierte noch die Reifen, dann hielt er mir freundlich die Wagentüre auf. Ein anderer schob mich hinein. Na gut. Dann halte dich fest, Pista. Als ich aus der Boxengasse fuhr, nahm ich aus dem Augenwinkel wahr, wie sich der Feuerwehrmann bereitmachte, wie der Abschleppwagen gestartet wurde, wie sich der Rettungsfahrer hinters Steuer setzte. Dieses Maß an Misstrauen kränkte mich ein wenig.

Das Heck des Ferrari.
Foto: Ferrari

Ich wurde überwacht, im Wagen waren zwei Kameras angebracht, eine filmte mich, die andere vorne raus. Aber ich war alleine, niemanden redete mir drein. Und natürlich will man nicht der Langsamste sein. Wir fahren hier Ferrari, nicht Skoda, und zwar auf der Rennstrecke, also vergaß ich alles, was mir meine liebe Frau vorher eingebläut hatte. Von wegen ich müsste niemandem etwas beweisen. Und was ist mit mir?

Mit dem Messer zwischen den Zähnen

Auf dem Video, das ich mir nachher ansah, sah man eine Fratze. Angeblich ich. Dem Wahnsinn nahe. Mit einem imaginären Messer zwischen den Zähnen. Die Augen zu Schlitzen verengt, und ich bin mir nicht sicher, ob ich nicht auch brüllte, das hörte man so schlecht im Inferno des Motors. Die lange Gerade ist eine Mutprobe, weil man so richtig Tempo aufbaut, und dann darf man keinesfalls zu früh bremsen, sonst lachen einen die Streckenposten aus. So ab der zweiten Runde kam ich in den Flow, aus der Grimasse wurde ein Grinsen. Ich bremste spät, beschleunigte früh, ich fuhr im Race-Mode, da gibt es noch so etwas wie eine Traktionskontrolle, die das Gas aber nicht wegnimmt, sondern nur vorsichtig moduliert, wenn der Wagen in die Seitenbewegung kommt. Ganz am Beginn der langen Gerade, noch bevor man unter der Brücke durchfährt, steht rechts direkt an der Rennstrecke ein mehrstöckiges Wohnhaus. Ich fragte mich, was vorher da war: Rennstrecke oder Wohnhaus? Aber das war jetzt nicht meine Sorge.

Vier Liter Hubraum, acht Zylinder, 720 PS: Das taugt gut für die Rennstrecke. Lässt sich aber auch unkompliziert auf der Straße fahren.
Foto: Ferrari

Jedenfalls blickte ich dem Opa im zweiten Stock direkt in die Augen, als ich das Gaspedal niederdrückte. Der Motor brüllte, und ich entzog mich mit fliehendem Gesicht dem Opa. Am Ende der Geraden holten mich Teile des Gehirns ein, bremsenbremsenbremsen, dann rechtsrechtsrechts, S-Kurve und brüll und kreisch. Gut, Schumacher ist das keiner, wird sich der Opa gedacht haben, aber ambitioniert. Schafft die Strecke vielleicht in drei bis vier Minuten. Zeiten hat man mir dann keine gezeigt, und ich selbst war viel zu beschäftigt, um auch nur einen Blick auf den Tacho werfen zu können. Ich brachte das Auto jedenfalls wieder heil zurück, bei Feuerwehr, Abschleppdienst und Rettung gab es Entwarnung, nachdem ich schweißnass aus dem Tributo gekippt und mit dem Helm am Asphalt aufgepäppelt war.

488 GTB-Nachfolger

Am Abend zuvor hatten insgesamt acht leitende Mitarbeiter von Ferrari versucht, den Wagen zu erklären – und zwar bis tief in das Getriebe hinein, und ich folgte jedem Luftzug, der aerodynamisch über den Wagen streichen könnte. Der Tributo heißt so, weil sich der Wagen als Tribut an den Achtzylindermotor versteht, von dem die Ferrari-Menschen selbst ganz ergriffen sind. Der Tributo ist der Nachfolger des 488 GTB, natürlich ist er schneller, stärker, leichter. Im Prinzip ist das ein astreiner Rennwagen, und die große Kunst besteht darin, den Wagen so komfortabel und fahrbar wie nur möglich zu machen, ohne allzu viel Kompromisse bei der Performance einzugehen. Nicht jeder, der sich einen Ferrari leistet, hat auch das Können und die Begabung, einen solchen wirklich fordernd zu fahren. Da geht es mehr ums Leistenkönnen und Besitzen, aber auch diese Menschen sollen ihren Spaß mit dem Wagen haben und ihn bewegen können. Wer das ganz arge Model braucht, greift zum kompromissloseren SF 90 Stradale.

Der Ferrari ist Rennwagen und Straßenauto in einem.
Foto: Ferrari

Der F8 Tributo kostet in Österreich 292.171 Euro und sollte ab sofort bestellbar sein. Nur zum Vergleich, was da alles an heimischen Steuern enthalten ist: In Deutschland kostet der gleiche Wagen 228.661 Euro. Alleine um die Differenz der Steuern ginge sich also ein Porsche Boxster aus.

Ich selbst durfte im Ferrari-Werk ein bisschen am Motor schrauben, quasi als Einstimmung auf das Fahren. Ich schraubte mit Hingabe und sehr sorgfältig, aber ich werde mir dieses Auto nicht kaufen. Es würde mich rasend machen, wenn der dann scheppert. (Michael Völker, 7.10.2019)